# taz.de -- Von der Leyen will nicht entschädigen: Heimkinder gehen leer aus | |
> Familienministerin von der Leyen will ehemalige Heimkinder, die | |
> Zwangsarbeit leisten mussten, nicht entschädigen. Ausgerechnet die | |
> Täterverbände sollen die Aufklärung leiten. | |
Bild: Keine starke Leistung, Frau Ministerin. | |
Auf Bund und Länder könnten Entschädigungsforderungen in Milliardenhöhe von | |
ehemaligen Heimkindern in Deutschland zukommen. Doch | |
Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) scheint eine Debatte | |
über diese Forderungen schon im Vorfeld verhindern zu wollen. In einem der | |
taz vorliegenden Brief an Berlins Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) | |
schreibt sie: "Die Einrichtung eines nationalen Entschädigungsfonds wird | |
von Bundestag und Bundesregierung nicht angestrebt." | |
Damit unterläuft die Ministerin nach Ansicht der Mitglieder des Vereins für | |
ehemalige Heimkinder (VEH) einen Beschluss des Bundespetitionsausschusses. | |
Dieser hatte sich im Dezember für die Einrichtung eines runden Tischs zur | |
Aufarbeitung der westdeutschen Heimerziehung zwischen 1945 und 1975 | |
ausgesprochen. Über etwaige Entschädigungszahlungen hätte im Rahmen des | |
runden Tischs diskutiert werden sollen. | |
Oft aus nichtigen Gründen waren etwa 800.000 Kinder und Jugendliche in der | |
Nachkriegszeit vom Staat in rund 3.000 westdeutsche Heime eingewiesen | |
worden. Unter der Obhut kirchlicher Trägervereine wie der Caritas und dem | |
Diakonischen Werk waren die Jungen und Mädchen in den Heimen zum Teil | |
gequält und misshandelt worden. "Viele Betroffene leiden heute noch unter | |
den Folgen der Geschehnisse", beklagt der Sprecher des Opfervereins, | |
Michael-Peter Schiltsky. "Sie mussten folterähnliche Bestrafungen | |
hinnehmen, harte industrielle Arbeit ohne Bezahlung und ohne | |
Rentenansprüche ableisten, sie bekamen ungefragt Psychopharmaka, viele | |
wurden über Jahre sexuell missbraucht." | |
Manfred Kappeler, der sich mit dem Thema seit 40 Jahren wissenschaftlich | |
befasst und den VEH unterstützt, sieht in der Stellungnahme der Ministerin | |
den "Versuch, dieses außerordentlich heikle Thema im Wahljahr auf kleiner | |
Flamme zu kochen und nach der Wahl stillschweigend zu entsorgen". Das | |
Bundesfamilienministerium wollte sich auf Nachfrage nicht zu den Vorwürfen | |
äußern. Der Vorgang müsse noch mit den Ländern abgestimmt werden. Zu einem | |
laufenden Beschlussverfahren könne man keine Stellung nehmen, so ein | |
Sprecher. | |
Mit Hilfe des runden Tischs, der Ende Januar zu seiner ersten Sitzung | |
zusammentreten könnte, sollen die Menschenrechtsverletzungen in deutschen | |
Erziehungsheimen nun aufgearbeitet werden. Unter der Moderation der | |
Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, Antje Volmer (Grüne), wollen die | |
Opfer mit den verantwortlichen Heimträgern die noch vorhandenen Akten | |
sichten und auswerten, sowie Lösungsvorschläge zur Rehabilitierung der | |
misshandelten Heimkinder und zur Berücksichtigung von individuellen | |
Rentenansprüchen entwickeln. | |
Doch nicht einmal die Zusammensetzung des runden Tischs ist konsensfähig. | |
Das ursprüngliche Konzept hatten die Kinder- und Jugendhilfe | |
Dachorganisation AFET und das Deutsche Institut für Jugend- und | |
Familienrecht DIJUV erarbeitet. Wie aus einem Schreiben des | |
Parlamentarischen Staatssekretärs im Familienministerium, Hermann Kues | |
(CDU), an den Petitionsausschuss hervorgeht, will das Ministerium nun statt | |
der beiden kirchenunabhängigen Vereine den "Deutschen Verein für | |
öffentliche und private Fürsorge" mit der Organisation des runden Tischs | |
betrauen - ausgerechnet den Dachverband der ehemaligen Täterorganisationen. | |
Für die Mitglieder des VEH ist diese Entscheidung nicht zuletzt aufgrund | |
der NS-Vergangenheit des Vereins untragbar. | |
Zudem kritisiert der VEH, dass von der Leyen neben Entschädigungsansprüchen | |
auch auf die Einrichtung einer Hotline für ehemalige Heimkinder und die | |
Unterstützung der Opfer bei ihrer Traumatherapie verzichten will. Zu guter | |
Letzt sollen nach dem Willen des Ministeriums lediglich zwei Betroffene am | |
runden Tisch teilnehmen dürfen. Die Opfer befürchten, dadurch | |
marginalisiert zu werden. | |
12 Jan 2009 | |
## AUTOREN | |
Marlene Halser | |
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