# taz.de -- In Vietnams größter Stadt: Stadt der fliegenden Fische | |
> Saigon ist mit kolonialer Architektur eine romantische Stadt. Auch wenn | |
> zur Folklore hier ein Krieg gehört und das Flanieren durch den ewigen | |
> Verkehr erschwert wird | |
Bild: Hotel Continental, Saigon | |
Am ersten Abend sitzen wir auf der Dachterrasse des „Rex“, öffnen ein Bier | |
nach dem anderen und freuen uns: an der warmen, wattigen Luft, dem | |
schrillen Glitzern der Bar und dem Knattern der Mofas unter uns. Der | |
Kellner bringt Frühlingsrollen, außen Reispapier, innen Krabben. „Saigon | |
ist ein schöner Ort, um ein paar Tage zu vertrödeln“, wusste schon 1923 der | |
Romancier William Somerset Maugham. „Es ist so angenehm, auf der Terrasse | |
des Hotel Continental unter der Markise zu sitzen, einen Ventilator direkt | |
über dem Kopf, einen unschuldigen Drink vor sich, und in der Lokalzeitung | |
von den hitzigen Debatten über die Angelegenheiten der Kolonie und von den | |
Geschehnissen in der Nachbarschaft zu lesen.“ | |
Die Kolonie ist längst keine mehr, die Terrasse weg, das Hotel immerhin | |
noch da. Seit 1986 gehört das 1880 erbaute Continental der staatlichen | |
Saigon Tourist Company - schließlich wird Vietnam seit 1975 kommunistisch | |
regiert. Die Rue Catinat heißt seither Duong Dong Khoi - Straße der | |
Volkserhebung -, Saigon offiziell Ho Chi Minh City. Sie erhielt ihren Namen | |
im Jahre 1976, nachdem Nord- und Südvietnam wiedervereinigt worden waren. | |
Die Stadt wurde nach Ho Chi Minh benannt, der im September 1945 die | |
Demokratische Republik Vietnam proklamierte und später die Führung des | |
Landes übernahm. Nach der Teilung Vietnams als Folge des Indochinakriegs | |
1954 wurde er Präsident der Demokratischen Republik Vietnam. | |
Immer noch stimmt, was Maugham einst bemerkte, und eine koloniale Terrasse | |
ist zum Vertrödeln so geeignet wie die nächste. Die Wechselfälle der | |
Geschichte, der Vietnamkrieg, der hier der Amerikanische Krieg heißt, und | |
der Neubeginn im sozialistisch vereinigten Staat haben der Stadt, in der | |
die Kathedrale Notre Dame heißt und die Cocktails „B 52“ oder „Good | |
Morning, Vietnam“, wenig von ihrem kolonialen Zauber genommen. Auch wenn | |
sie sich schnell verändert, die Rikschas von den Straßen verschwunden sind | |
und auch die Mofas ihren waghalsigen Slalom auf den breiten französischen | |
Alleen zwischen immer mehr Autos fahren: Saigon ist ein romantischer Ort. | |
Deshalb wohl wurde hier auch immer viel geliebt, viel gelitten und viel | |
über beides geschrieben. „Es war ein langes Liebeswerben voll | |
Enttäuschungen gewesen“, lässt Graham Greene seinen Protagonisten im Roman | |
„Der stille Amerikaner“ seufzen. Denn der in England verheiratete Fowler | |
kann Phuong, dem schönsten Mädchen Saigons, keinen Antrag machen, was den | |
Flirt erheblich erschwert: „So vergingen drei Monate, ehe ich sie auch nur | |
für einen Moment allein sprechen konnte. Es war auf einem Balkon des | |
Majestic ...“ Folgenschwerer für die Romanze des englischen Korrespondenten | |
Fowler mit der Vietnamesin ist indes das Continental. Dort begegnet er dem | |
stillen Amerikaner, der sich ebenfalls in Phuong verliebt. In dem | |
Traditionshotel gegenüber der Oper logierte auch Graham Greene, als er 1951 | |
seinen Roman über die Dreiecksgeschichte vor dem Hintergrund des | |
amerikanischen Eingreifens in Indochina begann. Wie es damit weiterging, | |
erzählt das „War Remnants Museum“, das früher deutlicher „Museum für | |
Kriegsverbrechen“ hieß. | |
Es ist die Geschichte zweier grausiger Kriege. Nachgebaute „Tigerkäfige“ | |
zeigen, wie Gefangene der Franzosen auf der Insel Con Son gehalten wurden - | |
in Verschlägen im Boden. Fotos von Folteropfern und von durch | |
Entlaubungsmittel missgebildeten Kindern, als Spielzeug getarnte Bomben, | |
Gasmasken, Gewehre und Kleider mit Brandspuren dokumentieren das | |
amerikanische Eingreifen in den Konflikt zwischen Nord und Süd, Kommunismus | |
und Kapitalismus. Die Abteilung für Kriegsverbrechen kommentiert die Taten | |
der Amerikaner mit einem Zitat aus der Unabhängigkeitserklärung: „Alle | |
Menschen sind gleich geschaffen, jeder hat ein Recht auf Leben, Freiheit | |
und das Streben nach Glück.“ | |
Der Umgang mit der siegreichen Ideologie ist pragmatisch. Nach Jahrzehnten | |
des Kommunismus erlebt Vietnam enormes Wirtschaftswachstum. Aus der | |
Kommandowirtschaft wurde ein Wirtschaftssystem mit stark | |
marktwirtschaftlicher Prägung. Aus einem Land mit Hungersnot entwickelte | |
sich eine der größten Exportnationen für Nahrungsmittel. Die Nummer zwei | |
bei Kaffee und Reis und aufstrebend bei Pfeffer, Tee, Cashewnüssen. In | |
Saigon ist fast jeder Unternehmer. Auf den Mofas sind Imbissbuden montiert, | |
fliegende Buchhandlungen, aus denen „Der stille Amerikaner“ und andere | |
Stadtgeschichten verkauft werden, und Zierfischgeschäfte. In Plastiktüten | |
voll Wasser schweben Goldfische durch den Fluss des Straßenverkehrs, als | |
machten sie eine Stadtrundfahrt. | |
Jeden Tag werden mehr als 450 Mopeds und 100 Autos zugelassen. Dabei ist | |
ein neues Moped mit 2.000 US-Dollar nicht eben billig. Der Straßenbau kommt | |
gegen diese Flut nicht an. Für ausländische Investoren hat jede Provinz | |
Industrieparks angelegt, in denen der Kommunismus aufgeweicht wird. Der | |
spiele nur mehr eine theatralische Rolle, erklärt der deutsche Konsul Peter | |
Seidel. So ist zwar aller Grund und Boden Volkseigentum. Doch gebe es | |
durchaus wohlhabende Menschen, die mit Immobiliengeschäften zu Geld kämen. | |
Und obwohl die meisten Menschen in Saigon mit 50 US-Dollar im Monat | |
zurechtkommen müssen, sei Sozialneid praktisch unbekannt. | |
Viele der touristischen Attraktionen haben mit den beiden Indochinakriegen | |
zu tun. Im „Ho Chi Minh City Museum“, einem luftigen Palast, der erst | |
Residenz des französischen Gouverneurs und später zeitweise Amtssitz des | |
südvietnamesischen Präsidenten Diemwar, lassen sich zarte Bräute in weißen | |
Kleidern neben verschwitzten Bräutigamen fotografieren. Die Relikte des | |
Kampfes gegen französische und amerikanische Besatzer, die uniformierte | |
Wärter und vereinzelte Touristen betrachten, stauben derweil langsam zu. | |
Am Abend sitzen wir im „Apocalypse Now“, wo Kellnerinnen in blauen | |
Minikleidern in Kindergrößen vor roten Lampions umher huschen, und später | |
auf der Dachterrasse des Caravelle Hotels. Von hier hatten die westlichen | |
Korrespondenten gegen Ende des Vietnamkriegs die Front im Blick. Unter uns | |
glitzern die Lichter der Stadt. | |
15 Jan 2009 | |
## AUTOREN | |
Stefanie Bisping | |
## TAGS | |
Reiseland Vietnam | |
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