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# taz.de -- Thomas-Bernhard-Stück in Paris inszeniert: Zarter Piccoli
> Ohne Gift und Galle: Michel Piccoli ist ein weicher und trauriger
> "Minetti" in der aktuellen Theaterinszenierung des Thomas-Bernhard-Stücks
> in Paris. Das ist anrührend. Bernhard ist es nicht.
Bild: Der große Michel Piccoli ist und ist nicht der große Bernhard Minetti.
Thomas Bernhard hat Schauspieler so sehr gehassliebt, dass er Stücke nach
ihnen benannte: "Minetti" etwa oder auch "Ritter, Dene, Voss". Die so
Geehrten haben in den Siebziger- bzw. Achtzigerjahren die jeweilige
Uraufführung von Claus Peymann gespielt, der damals noch einer der
bestimmenden Regisseure der Gegenwart war.
Später sind die Stücke von anderen Darstellern nachgespielt worden, was bei
"Ritter, Dene, Voss" am Deutschen Theater Berlin derzeit nicht so recht
funktioniert. In Paris ist jetzt, produziert vom Théâtre Vidy in Lausanne,
der große Michel Piccoli als der große Bernhard Minetti zu sehen, und auch
das hat seine Tücken - vielleicht liegen ja Bernhardsche Verbotsflüche auf
diesen Werken.
"Der Schriftsteller vernichtet den Schauspieler / wie der Schauspieler den
Schriftsteller vernichtet / auslöscht, verstehen Sie", heißt es in
"Minetti". Piccoli war neben seinen vielen Filmen immer wieder auf der
Bühne zu sehen, er hat mit Peter Brook, Patrice Chéreau, Luc Bondy
gearbeitet und vor drei Jahren in der Regie von André Engel sehr
erfolgreich den Lear gespielt. "Minetti", der Schauspieler, der nur Lear
sein will, sonst nichts, scheint wie eine Verlängerung davon, das ideale
Follow-up - und genau da liegt das Problem.
Denn Regisseur und Schauspieler kümmert weder Stück noch
"Kunstgewalttäter", sie verkleinern beide, treiben ihnen den Wahnsinn aus
und lehren sie Bescheidenheit. Was bleibt, ist ein höflicher alter Herr,
der sein Leben lang Pech hatte, nicht ein Tyrann, der Gift und Galle
spuckt. Das kann man so machen, nur ist Bernhard ohne Bernhard-Furor, ohne
rechthaberischen Dünkel und wühlende Wut einfach nicht sehr interessant.
Bühnenbildner Nicky Rieti hat eine große, altmodische Hotelhalle entworfen,
in der die Zeit stehen geblieben ist und der Glanz verstaubt. Es ist
Silvester in Oostende, es schneit, eine einsame Dame in Rot (Evelyne Didi)
hält den Auftaktmonolog: Sie will um elf ins Bett gehen, ihre Affenmaske
aufsetzen und Champagner trinken. Dann wird ein Ungetüm von Koffer
hereingebracht, der Besitzer folgt - und von jetzt an spricht nur noch er:
dass er auf den Schauspieldirektor von Flensburg warte, bei dem er zur
Zweihundertjahrfeier des Theaters den Lear spielen soll; dass er in diesem
Hotel James Ensor getroffen habe, der ihm eine Lear-Maske malte, die heute
sein kostbarster Besitz sei.
Er erzählt der nun stummen Dame sein Leben: Theaterdirektor in Lübeck, von
den Senatoren verjagt, weil er sich "der klassischen Literatur
verweigerte", Zuflucht bei der Schwester in Dinkelsbühl, wo er 30 Jahre in
der Dachkammer hauste, an jedem 13. eines Monats mit der Ensor-Maske vor
den Spiegel tretend und den Lear spielend. "Mit den Menschen gebrochen /
mit allem und jedem gebrochen." Und nun der erhoffte Aufbruch, zurück in
die Welt, zum letzten (oder ersten?) Triumph.
Wenn die Dame sich verabschiedet (Bett, Affenmaske, Champagner), findet er
ein neues Opfer: ein junges Mädchen mit Kofferradio, das auf seinen
Liebhaber wartet. Julie-Marie Parmentier war die Cordelia zu Piccolis Lear,
nun nennt er sie so, und prompt geht ein wohliges Raunen durchs Publikum,
das der Autor vermutlich mit einem "Die Welt will unterhalten sein / aber
sie gehört verstört" gegeißelt hätte.
Michel Piccoli spielt seine Rolle ganz weich, ganz verletzlich und traurig,
mit zarten, kleinen Gesten und einem wundersam staunenden Kinderlächeln.
Das ist anrührend, bewegend, manchmal sentimental - Bernhard ist es nicht.
Und da sein Redefluss in dieser Aufführung kaum strukturiert ist, schleicht
sich eine gewisse Monotonie ein - man ertappt sich dabei, auf die Hänger zu
lauern, statt zuzuhören (es gibt etliche, schließlich ist der Mann 83 und
der Text monströs). Piccoli ist imposant, weil er Piccoli ist, aber
"Wahrheitsfanatismus", "Gesellschaftsvernichtung", "Kunstkatastrophen" gar
sind seine Sache nicht. Minettis Wahlspruch "Für die Schauspielkunst -
gegen das Publikum" ist ihm nur einen Lacher wert, nicht auch einen
Schmerz.
Die Inszenierung von André Engel wirkt flach, unentschieden und manchmal
geradezu ärgerlich harmlos. Die beiden Zuhörerinnen tun nichts, als
zuhören, die seltsamen Hotelgäste bleiben so geheimnislos wie Portier und
Lohndiener, und die Auftritte der lärmenden Silvestergesellschaft, die das
Stück strukturieren, haben hier keinerlei Funktion mehr. Das Nachspiel -
Minetti mit Ensor-Maske im Schneesturm - ist gleich ganz gestrichen.
Stattdessen sitzt er auf seinem Koffer, und aus dem Radio grüßt Tom Waits
"Waltzing Mathilda" - Selbstmord "in der Geistesfalle" statt mit Pillen?
Théâtre National de la Colline, Paris - bis 6. Februar.
16 Jan 2009
## AUTOREN
Renate Klett
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