# taz.de -- Debatte Obama-Vereidigung: Seien Sie gegrüßt, Herr Präsident! | |
> Die Rituale zur Amtseinführung des US-Präsidenten tragen monarchistische | |
> Züge. Gleichzeitig ist klar: Obamas Entscheidungsspielraum ist begrenzt. | |
Nichts erhellt die monarchische Natur unseres Präsidentenamts so sehr wie | |
die bestehenden Rituale zur Amtseinführung. "Hail to the Chief" - auch die | |
Präsidentenhymne wird wieder zu hören sein. De facto aber ist unsere | |
Monarchie alles andere als absolut. | |
Bislang hat Barack Obama die Minister für sein Kabinett ernannt, ebenso wie | |
die Mitarbeiter des Weißen Hauses, die sie kontrollieren werden. Er hat mit | |
dem Kongress und den führenden Senatoren über weitere Summen für die | |
zusammenbrechenden US-Banken verhandelt, und zweifellos hat er (unfertige) | |
Pläne in petto, wie mit dem selbstzerstörerischen Klientelstaat Israel | |
weiterzuverfahren ist. Die Finanzindustrie, die Legislative und die | |
omnipräsente Israellobby werden ihm dabei ins Gedächtnis gerufen haben, | |
dass seine Macht begrenzt ist. | |
Obgleich sich Obama laut Umfragen derzeit an einer 70-prozentigen | |
Zustimmung seitens der Bevölkerung erfreuen kann, diese Begeisterung bietet | |
keine Garantie für legislative und politische Triumphe. Nicht umsonst | |
spricht die amerikanische Politikwissenschaft von einem "eisernen Dreieck". | |
Dieses verbindet den Kongress mit den Ministerien sowie den Lobbygruppen | |
aus Politik und Wirtschaft. Präsidenten kommen und gehen, das System | |
bleibt. | |
So erinnerte auch der Chef der demokratisch-konservativen Gruppierung "Blue | |
Dogs" unlängst in aller Öffentlichkeit daran, dass er sich durchaus in der | |
Lage sähe, gegebenenfalls mit den Republikanern zu stimmen, sollte er | |
Vorschläge von Obama stoppen müssen. Selbstverständlich, fügte er hinzu, | |
sei dies keine Drohung: Er sei sicher, dass Obama mit ihm darin | |
übereinstimme, dass Disziplin in Steuerfragen unumgänglich sei. Obama | |
seinerseits versuchte, sein 850-Milliarden-Dollar-Rettungspaket für die | |
Adepten des freien Marktes beiden Lagern schmackhafter zu machen, indem er | |
ein Drittel der zur Verfügung gestellten Summe für Steuerkürzungen | |
verwenden möchte sowie beabsichtigt, zusätzliche Anreize fürs Kapital zu | |
schaffen. Diese Politik geht zu Lasten von langfristigen Investitionen, die | |
den erwerbslosen Bürgern zugutekommen würden. Deren Zahl ist in den letzten | |
Wochen bekanntlich rasant gestiegen. | |
Hinzu kommt: In der jüngeren Vergangenheit waren die demokratischen | |
Mehrheiten im Kongress und im Senat unter sowohl demokratischen als auch | |
republikanischen Präsidenten viel größer. Wenn die Demokraten nun im Senat | |
59 von 100 Sitzen bekommen werden, fehlt ihnen genau eine Stimme, um ihre | |
Gesetzesvorhaben durchbringen zu können, will heißen, um Blockaden zu | |
verhindern. Und wer weiß schon, wie viele bei den Demokraten mit den | |
reformistischen Traditionen des New Deal oder der Vereinigten Gesellschaft | |
etwas anfangen können. | |
Was der neue Präsident tatsächlich erreichen kann, wird damit weniger von | |
seinem eindrucksvollem politischen und rhetorischen Talent abhängen als | |
davon, ob er die Balance zwischen politischen und sozialen Kräften in der | |
Nation zu halten vermag. Der alternde und intellektuell eingeschränkte | |
McCain gewann mit seiner unwissenden und ressentimentbehafteten | |
Vizepräsidentschaftskandidatin immerhin 46 Prozent der Stimmen. Und 25 | |
Prozent der Amerikaner halten sich für quasi enteignet, weil sie hinnehmen | |
müssen, dass heute die Familie Obama ins Weiße Haus einziehen wird. | |
Unterdessen sind die Medien voll mit Ratschlägen und Mahnungen an den | |
Präsidenten, keinesfalls auf die "Linken" zu hören - als würde die linke | |
Wochenzeitung The Nation wöchentlich 2 Millionen Hefte verkaufen und nicht | |
bescheidene 200.000. Die Gruppe der progressiven Parlamentarier mit ihren | |
rund 80 Mitgliedern steht 435 Mitgliedern des Abgeordnetenhauses gegenüber. | |
Etwa 25 (der 100) Senatoren haben ein sozialdemokratisches Profil. Die | |
Amerikanische Linke generell setzt sich aus den unterschiedlichsten | |
Interessengruppen zusammen. Weder existiert ein gemeinsamer Nenner, noch | |
kann man sich auf ein gemeinsames historisches Projekt berufen. In der | |
amerikanischen Öffentlichkeit gibt es zwar durchaus eine Mehrheit, die vom | |
Staat erwartet, dass er regulierend und umverteilend eingreift, doch | |
bislang ist es nicht gelungen, diese Mehrheit im parlamentarischen Sinne zu | |
organisieren. | |
Obama hat gerade erst deutlich gemacht, dass er den jüngsten Vorstoß der | |
Gewerkschaften nicht länger unterstützen wird. Diese wollten die | |
Rekrutierung von Mitgliedern und das Einwerben von Geldern juristisch | |
erleichtern. Seine Berater schüchterten mit ihrem Vorstoß ein, dass sie | |
Guantánamo schließen werden - nach und nach. In Sachen Außenpolitik | |
herrschte in den letzten Tagen vor der heutigen Amtseinführung Schweigen. | |
Sicher scheint nur: Der neue Präsident wird seine Sechste Flotte nicht zu | |
humanitären Zwecken nach Gaza senden - oder die Waffenlieferungen an Israel | |
unterbrechen. Er wird auch weder nach nationalem noch nach internationalem | |
Recht prüfen lassen, ob ihr Einsatz gegen die palästinensische Bevölkerung | |
rechtmäßig ist. Die Vernunft wird nur langsam Einzug in die Politik im | |
Nahen Osten halten. | |
Der britische Außenminister David Miliband forderte dieser Tage, endlich | |
von der vulgären Vereinfachung des "Kriegs gegen den Terror" Abstand zu | |
nehmen. Es gibt daher wenig Anlass zu der Annahme, dass Obama umgehend eine | |
politische Strategie verordnen wird, die die Nation von ihren | |
imperialistischen Obsessionen heilen könnte. John F. Kennedy hat mit | |
solchen Aktionen gewartet bis fünf Monate vor seiner Ermordung - womöglich | |
ausgelöst durch seine Courage (erinnern Sie sich bitte an seine Rede zur | |
Beendigung des Kalten Krieges am 10. Juni 1963). | |
Schwerwiegende wirtschaftliche Argumente sprechen dafür, den enorm | |
angeschwollenen Rüstungsetat zu kürzen. Der CIA jedoch hat in seinem | |
Bericht zum Nationalen Rat der Geheimdienste, "Global 2025", davor gewarnt, | |
dass das Ende der US-amerikanischen Hegemonie bereits eine Tatsache sei. | |
Obama und sein engster Sicherheitsberater General Jones sind sich dieser | |
Situation vollkommen bewusst. Gleichzeitig hat Obama klar entschieden, dass | |
seine Hauptsorge der sich weiter verschärfenden Krise des US-amerikanischen | |
Kapitalismus gelten wird. Unsere disfunktionalen politischen Institutionen, | |
so sein Schluss, erlauben es nicht, dass zu viele verstörende Wahrheiten | |
auf einmal öffentlich problematisiert werden. | |
In seiner Autobiografie beschreibt Obama, wie er als Student viele Tage und | |
Nächte darauf verwandt hat, Klassiker zu lesen, die die Möglichkeiten einer | |
sozialen Transformation diskutieren. Wünschen wir ihm alles Gute bei der | |
schwierigsten Aufgabe seines Lebens, und vertrauen wir dem 48 Jahre alten | |
Staatsmann, dass er den jungen Mann, der sich auf die Suche nach | |
Zukunftsperspektiven machte, nicht vergisst, während er sich in die | |
Turbulenzen der Geschichte stürzt. | |
Übersetzung: Ines Kappert | |
19 Jan 2009 | |
## AUTOREN | |
Norman Birnbaum | |
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