# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Ufos, Invasoren und Verschwörungen | |
> Sind Menschen, die an fliegende Untertassen glauben Spinner oder wichtige | |
> Verfechter eines Recht des Einzelnen auf Aufklärung? Eine kleine | |
> Geschichte der Ufologie. | |
Bild: Nach dem Absturz der grünen Männchen: Ufo-Museum in Roswell, New Mexico. | |
Spekulationen über die Existenz von Außerirdischen gibt es seit der Antike, | |
doch erst mit Herbert George Wells' "Krieg der Welten" von 1898 begann man | |
sich auszumalen, wie Wesen aus dem All unseren Planeten einnehmen könnten. | |
Zu neuen Ruhm gelangte der Roman 1938, als der damals 23-jährige Orson | |
Welles für den Radiosender CBS eine Hörspieladaption inszenierte. | |
Sein Stück beginnt mit mehreren beunruhigenden Meldungen: Astronomen hätten | |
an der Oberfläche des Mars Lichter entdeckt, und es seien außerdem | |
gleichzeitig mehrere Meteoriten abgestürzt. Die Ereignisse überschlagen | |
sich, als sich herausstellt, dass die vermeintlichen Meteoriten Raumschiffe | |
vom Mars sind, die die ganze Menschheit bedrohen. So wird der CBS-Reporter, | |
nachdem er die ersten Schreie der Opfer übertragen hat, vom tödlichen | |
Strahl aus der Laserwaffe eines Marsianers getroffen. | |
Am darauffolgenden Tag war in der Presse nur noch von der sensationellen | |
Täuschung die Rede, die Welles mit seinem Hörspiel gelungen sei: "Die | |
verängstigten Hörer halten eine Fiktion über den Krieg für die Realität", | |
titelte am 31. Oktober 1938 die New York Times. Und der Boston Herald: | |
"Eine angebliche Marsinvasion versetzt das Land in Angst und Schrecken." In | |
zahllosen Artikeln wird das Entsetzen von tausenden Hörern beschrieben, die | |
die Meldungen über die Marsmenschen für bare Münze genommen und versucht | |
hätten, vor den extraterrestrischen Eindringlingen zu fliehen. Noch Jahre | |
später wurde darüber berichtet. | |
Tatsächlich handelte es sich bei der Berichterstattung über Massenpanik, | |
Selbstmorde und Plünderungen um die größte Zeitungsente der Geschichte.(1 | |
)Nur wenige erschrockene Hörer, die die Fiktion nicht als solche erkannt | |
hatten, waren damals interviewt worden, wurden aber von allen immer wieder | |
zitiert. | |
Neun Jahre später schien die Fantasie von Wells und Welles Wirklichkeit | |
geworden zu sein: Es war an einem Mittwoch, genauer gesagt, am 25. Juni | |
1947, als die Presse meldete, in der Nähe des Vulkans Mount Rainier im | |
US-Bundesstaat Washington seien Außerirdische gesichtet worden. Am Vortag | |
hatte der Hobbypilot Kenneth Arnold neun merkwürdige Flugkörper gesichtet, | |
mit rundem Bug und dreieckigem Heck. Das erzählte er Pilotenfreunden und | |
Journalisten vom East Oregonian in Pendleton, Oregon, die die seltsamen | |
Erscheinungen flugs als flying saucer, fliegende Untertasse, oder flying | |
disk, fliegende Scheibe, bezeichneten. | |
In den folgenden Wochen und Monaten berichtete die Presse von hunderten | |
ähnlicher Beobachtungen. Es war die erste große Welle der Sichtung von Ufos | |
(unidentified flying objects), wie der ein paar Jahre später eingeführte | |
und bald international anerkannte Name für die unidentifizierten | |
Flugobjekte lautete. Auch wenn die meisten das Phänomen als Aberglaube oder | |
pure Einbildung abtaten, so waren doch bald einige der festen Überzeugung, | |
dahinter verberge sich ein streng gehütetes Geheimnis. Bereits im September | |
1947 wurde J. Edgar Hoover, der Chef des FBI, allen Ernstes gefragt, ob er | |
an der Verschleierung der Fakten über die mysteriösen Flugkörper beteiligt | |
sei . | |
Science-Fiction-Zeitschriften wie Amazing Stories begannen die neuesten von | |
Lesern kolportierten Gerüchte über abgestürzte Ufos zu veröffentlichen, die | |
von der Armee entdeckt und sofort versteckt worden seien. Diese Geschichten | |
wurden zunächst nur von wenigen zur Kenntnis genommen. | |
Das änderte sich ab 1950 mit dem Erscheinen des Bestsellers "Behind the | |
Flying Saucers" von Frank Scully, der Kolumnist beim Hollywood-Magazin | |
Variety war. Zu diesem Zeitpunkt traten auch die ersten | |
Amateur-Ufo-Forscher auf den Plan; sie organisierten sich und | |
veröffentlichten sogar Berichte. Zwei Tendenzen begannen sich abzuzeichnen: | |
Die einen vertraten die Auffassung, man müsse vor allem Augenzeugenberichte | |
sammeln, um damit die Existenz von Ufos zu beweisen, die anderen | |
verdächtigten die US-amerikanische Luftwaffe, bereits im Besitz des | |
Beweises zu sein oder zumindest über ernstzunehmende Hinweise zu verfügen. | |
Die 1952 gegründete Aerial Phenomena Research Organization (Apro) gehörte | |
zur Fraktion der Beweissammler. | |
## Friedensgrüße aus dem All | |
Das National Investigation Comittee on Aerial Phenomena (Nicap), das vier | |
Jahre später ins Leben gerufen wurde, hielt an der zweiten Theorie fest und | |
verlangte die Offenlegung der angeblich von der Armee geheim gehaltenen | |
Informationen. Major Donald Keyhoe, ein ehemaliger Soldat des | |
US-Marine-Corps und Autor erfolgreicher Ufo-Bücher, wurde 1957 Vorsitzender | |
des Nicap. Er verstand es, einflussreiche Persönlichkeiten aus Medien, | |
Militär und Politik für das Komitee zu gewinnen, zum Beispiel Admiral | |
Roscoe Henry Hillenkoetter, den ersten Chef der 1947 gegründeten Central | |
Intelligence Agency (CIA). | |
Doch obwohl Keyhoe der Armee vorwarf, sie habe Fakten zurückgehalten, wies | |
er Scullys vermeintliche Enthüllungen über Unfälle von Ufos zurück; die | |
übrigens auch von einem kalifornischen Journalisten widerlegt wurden, der | |
herausgefunden hatte, dass Scullys Informanten dem FBI als Betrüger | |
einschlägig bekannt waren. | |
Neben dem Nicap, der Apro und anderen Organisationen der sogenannten | |
Ufologie entstanden kleine Underground-Gruppierungen, die ein tolles | |
Theater um die fliegenden Untertassen veranstalteten: Sie nährten Gerüchte | |
über Ufo-Stützpunkte in der Antarktis, geheimnisvolle schwarze Männer (die | |
berühmten men in black), verunglückte fliegende Untertassen und geheime | |
Treffen zwischen Präsident Eisenhower und den Außerirdischen. | |
"Kontaktierte", die das Glück hatten, den extraterrestrischen Piloten | |
leibhaftig begegnet zu sein, übermittelten bei öffentlichen Vorträgen | |
Friedensbotschaften und andere Nachrichten aus dem All. Ihr berühmtester | |
Vertreter, George Adamski, wurde 1959 sogar von Königin Juliana von Holland | |
empfangen. | |
In den 1960er-Jahren entwickelte sich eine bemerkenswerte öffentliche | |
Kontroverse über Ufos. Forscher der jüngeren Wissenschaftlergeneration | |
nahmen die Theorien über die Außerirdischen sehr ernst und teilten die | |
Fragestellungen der Ufologen. Diese Entwicklung fiel zusammen mit einer | |
wachsenden Kritik an dem Ufo-Forschungsprogramm der U.S. Air Force. Die | |
Luftwaffe hatte ihren wissenschaftlichen Berater, den Astronomen Josef | |
Allen Hynek, tatsächlich direkt damit beauftragt, für eine Reihe von | |
spektakulären Ufo-Sichtungen eine Erklärung zu erfinden: Augenzeugen hatten | |
berichtet, dass im März 1966 ein Geschwader fliegender Untertassen in einem | |
Sumpfgebiet im Bundesstaat Michigan gelandet wäre. | |
Hynek kam auf die Idee, das Phänomen mit Irrlichtern zu erklären, | |
verursacht durch Sumpfgas. Das war wohl kein guter Einfall gewesen. Nicht | |
nur die Presse fiel über ihn her, auch Politiker, allen voran der | |
Republikaner und spätere US-Präsident Gerald Ford (1974-1977), damals noch | |
Mitglied des Repräsentantenhauses für Michigan, forderten Aufklärung. | |
Die wissenschaftliche Kontroverse nährte immer mehr den Verdacht, dass | |
Informationen geheim gehalten wurden. Das Pentagon trennte sich schließlich | |
von seinem Ufo-Forschungsprogramm, dem "Project Blue Book", und betraute | |
eine Forschungskommission an der Universität Colorado mit dem heißen Eisen. | |
Die Leitung übernahm der brillante Wissenschaftler und für seine | |
Unvoreingenommenheit bekannte Physiker Edward Condon. Condon war zunächst | |
offen für alle Theorien, kam aber 1968 zu einer für Ufologen enttäuschenden | |
Schlussfolgerung: Man könne zwar nicht die Nichtexistenz von Ufos beweisen | |
(Condons Bericht enthält eine Reihe von Fällen, die sein Team nicht | |
aufklären konnte), doch sei das Thema aus wissenschaftlicher Sicht | |
uninteressant und deshalb solle die Ufo-Forschung nicht mehr öffentlich | |
gefördert werden. Dieses Urteil trennte die Ufologen- von der | |
Wissenschaftskultur. Für viele Ufologen war unbegreiflich, warum die | |
Wissenschaftler sich dem Thema nicht zuwenden wollten, und verdächtigten | |
sie mitunter der Mittäterschaft an der "stillen Verschwörung". | |
Derweil traten weitere Autoren mit neuen Theorien auf den Plan, was auch | |
nicht weiter verwunderlich ist, denn das Phänomen entzieht sich nun mal | |
einer wissenschaftlichen Beweisführung. Der Astronom und Informatiker | |
Jacques Vallée, der in seinem Buch "Passport to Magonia" (1969) Berichte | |
über Begegnungen mit Ufo-Piloten in die Nähe von Volkslegenden und Märchen | |
über "die kleinen Leute" (Trolle, Wichtel, Kobolde und so weiter) rückte, | |
vertrat die Theorie, das Phänomen organisiere seine eigene | |
Verschleierung.(1) Auch der Schriftsteller John A. Keel betrachtete die | |
Ufos, die oft als Lichtphänomene beschrieben wurden, nicht als konkrete | |
Flugkörper, sondern als die Form, in der die Erde, die als lebendes Wesen | |
betrachtet wird, in Erscheinung trete.(2) | |
## Verschwörungstheorien und die Roswell-Affäre | |
Der Einfluss der Verschwörungstheorie blieb zunächst begrenzt. Erst in den | |
1970er-Jahren, als nach der Watergate-Affäre in den USA der Zugang zu | |
Verwaltungsdokumenten erleichtert wurde, stieß die Behauptung, es handle | |
sich hier um eine "stille Verschwörung", auf ein breiteres Interesse. | |
Nachdem FBI, CIA und sogar die Nationale Sicherheitsbehörde NSA mit | |
Anfragen überflutet wurden, veröffentlichten sie ihre Dokumente. Es stellte | |
sich heraus, dass die Behörden fälschlicherweise behauptet hatten, es | |
hätten keine Untersuchungen über Ufos stattgefunden. | |
An der Popularisierung der Verschwörungstheorie wirkte maßgeblich Steven | |
Spielbergs Science-Fiction-Film "Unheimliche Begegnung der dritten Art" von | |
1977 mit. In dem Film geht es um ein geheimes Regierungsprogramm, mit | |
dessen Hilfe die Erdbewohner in Kontakt mit Außerirdischen treten können. | |
Die Öffentlichkeit wird von den Behörden getäuscht, während überall auf der | |
Welt extraterrestrische Wesen auftauchen und die Menschen in ihren Bann | |
ziehen. | |
Drei Jahre nach Spielbergs Film erschien das erste Buch über den | |
sogenannten Roswell-Zwischenfall(3) (von dem bis dahin kaum jemand gehört | |
hatte). Es war ein großer Erfolg. Darin wird von dem angeblichen Crash | |
einer fliegenden Untertasse im Juli 1947 in Roswell (New Mexico) berichtet; | |
die Wrackteile und Habseligkeiten der Außerirdischen seien damals vom | |
Militär beiseitegeschafft worden. Die Roswell-Story und zahlreiche Berichte | |
über Raumschiffe, die von der US-Luftwaffe versteckt worden seien | |
(kolportiert der Ufologe Leonard Stringfield), stießen auf ein wachsendes | |
Interesse. Dass Roswell aber seit Mitte der 1990er-Jahre zu einem stehenden | |
Begriff wurde, lag an einer ganzen Serie von Ereignissen. | |
Es begann 1987, als auf einem Ufologen-Kongress in Washington vermeintliche | |
Topsecret-Dokumente über eine Arbeitsgruppe namens Majestic-12 auftauchten, | |
die Harry S. Truman angeblich 1947 beauftragt haben sollte, sich mit dem | |
Roswell-Zwischenfall zu befassen. Die Echtheit der Unterlagen, die anonym | |
eingereicht worden waren, wurde in Zweifel gezogen. Schließlich konnte zwar | |
bewiesen werden, dass es sich um eine Fälschung handelte. Doch die Fälscher | |
hatten dafür ein anderes Ziel erreicht: Durch die Verbreitung der Dokumente | |
war die Roswell-Affäre nun in aller Munde. | |
Die Ufologen starteten daraufhin eine Kampagne, die schließlich dazu | |
führte, dass der US-Rechnungshof Ermittlungen zur Rolle der Air Force in | |
der Roswell-Affäre einleitete. In der Hoffnung, einen Schlussstrich unter | |
die Geschichte setzen zu können, veröffentliche die Luftwaffe 1994 einen | |
umfangreichen Bericht, worin sie erklärte, bei dem Roswell-Ufo habe es sich | |
um einen Spionageballon gehandelt, der im Rahmen eines Geheimprogramms | |
entsandt worden sei. Zeitgleich startete die Fernsehserie "Akte X", die den | |
Verschwörungstheorien über Ufos neue Nahrung gab. Und es kursierte ein | |
Video, das die angebliche Obduktion eines Außerirdischen dokumentierte. | |
Die Majestic-12-Geschichte, die als Fälschung enttarnt worden war, | |
entfaltete ein unkontrolliertes zweites Leben, indem sie sich mit früheren | |
Geschichten vermischte. Anfang der 1970er-Jahre, so wurde kolportiert, sei | |
ein Fernsehproduzent an geheime Filme gekommen, die eine Begegnung zwischen | |
Außerirdischen und Soldaten auf dem Holloman-Luftwaffenstützpunkt in New | |
Mexico zeigten. Diese Legende sowie eine Reihe von Geschichten über | |
merkwürdige Machenschaften eines Agenten des Geheimdienstes der | |
US-Luftwaffe Afosi auf dem Kirkland-Luftwaffenstützpunkt wurden ergänzt | |
durch eine Flut von Gerüchten über unterirdische Ufo-Basen, Verträge | |
zwischen der US-Armee und Wesen aus dem All und Entführungen von Menschen | |
zum Zweck genetischer Manipulationen und Hybridenzeugung. | |
1990 schalteten sich Individuen, die nicht nur zur Ufo-Szene gehörten, über | |
das Netzwerk Paranet, einen Vorläufer des Internet, in die Diskussionen ein | |
und behaupteten, Informationen über ein Watergate im Weltraum zu besitzen. | |
Diese Leute gehörten zur amerikanischen extremen Rechten und waren zum Teil | |
ehemalige Militärs. | |
Die Beiträge über die sogenannte große Verschwörung nahmen immer | |
fantastischere Züge an. John Lear, ehemaliger CIA-Pilot und Sohn des | |
Flugzeugbauers, und Milton William Cooper, ehemaliger Soldat bei den | |
Marines und der militanten rechtsextremen Szene zugehörig, taten sich mit | |
einem gewissen Robert Lazar zusammen, der angeblich in der geheimen "Zone | |
51" (Nevada) als Ingenieur und Physiker auf Ufos gearbeitet hatte, und | |
produzierten eine neue haarsträubende Verschwörungsgeschichte, die von den | |
Autoren der TV-Serie "Akte X" weidlich ausgeschlachtet wurde. Der | |
phänomenale Erfolg der Serie verlieh diesen Storys den Status einer | |
Volksmythologie. Mit Ausnahme des französischen | |
Science-Fiction-Schriftstellers Jimmy Guieu wollten jedoch die meisten | |
Ufologen mit dieser Art von Literatur nichts zu tun haben und kritisierten | |
vehement dergleichen "Enthüllungen". | |
## Wissenschaftler oder Spinner | |
Es liegt nahe, zwischen den verschiedenen Strömungen nicht weiter zu | |
differenzieren und sämtliche Ufologen zu bloßen Anhängern von | |
Verschwörungstheorien zu erklären; doch man muss auch sehen, dass es eine | |
zunehmende Tendenz hin zum Irrationalismus gibt. Auf diese Weise lässt sich | |
eine unverfälschte Wissenschaftskultur von obskurantistischen | |
volkstümlichen Vorstellungen abgrenzen, ein bisschen wie früher die | |
Unterscheidung zwischen wahrer Religion und Aberglauben. | |
Die Ufologen werden weder von der Politik noch von der Wissenschaft ernst | |
genommen. Betrachtet man jedoch die Geschichte der Wissenschaftskultur, so | |
entdeckt man, dass auch sie ursprünglich auf einer Verschwörungstheorie | |
basierte: Bevor sie sich durchsetzen konnte, musste die Wissenschaft erst | |
einen erbarmungslosen Kampf mit den aufklärungsfeindlichen Mächten einer | |
omnipotenten Kirche ausfechten - Galilei gegen die Inquisition. In unserer | |
populären Vorstellung von der Wissenschaft gehen wir üblicherweise davon | |
aus, dass die sogenannte objektive Wahrheit, kaum dass sie ans Licht | |
gekommen ist, sofort die unterschiedlichsten Interessen gegen sich hat. | |
Der Diskurs über die Ufo-Verschwörung lässt sich direkt auf diese weit | |
verbreitete Betrachtungsweise der Wissenschaften beziehen: Dass es nämlich | |
nicht im Interesse der Mächtigen sei, dass Volk aufzuklären, und man es | |
deshalb im Zustand der Unwissenheit halte. Unsere Darstellung der | |
Wissenschaftsgeschichte ist eng verknüpft mit dieser Auffassung von einer | |
"obskurantistischen Verschwörung gegen die Vernunft" - wie sie der | |
österreichische Philosoph Karl Popper bezeichnet hat. In seinem 1963 | |
erschienenen Buch "Vermutungen und Widerlegungen" widerspricht er heftig | |
diesem Denkkonstrukt. | |
Die Menschen, die an Ufo-Verschwörungen "glauben", tun dies also nicht aus | |
Wissenschaftsfeindlichkeit, sondern im Gegenteil, weil sie glauben, den | |
Kampf der wissenschaftlichen Wahrheit gegen die Inquisition fortzusetzen. | |
Die Rekordverkaufszahlen des Buchs "Was macht der Fakir auf dem | |
Nagelbrett?" des Physiknobelpreisträgers Georges Charpak(4) legen nahe, | |
dass Gelehrte wie Ungelehrte die Vorstellung teilen, das Wissen werde von | |
der Macht bekämpft. | |
"Die Renaissance magischer, okkulter und paranormaler Praktiken ist sehr | |
schnell vonstatten gegangen", schreibt Charpak. "Sogar so schnell, dass man | |
sich mit Recht einmal die Frage stellen muss: Welche Umstände haben dieses | |
Bedürfnis erzeugt und vielleicht unbewusst zu seiner Ausbreitung | |
beigetragen?" Charpak zitiert den Genetiker Albert Jacquard mit den Worten: | |
"Viele Machthaber träumen davon, die Staatsbürger in unterwürfige Schafe zu | |
verwandeln. Es gibt zahlreiche Mittel, um dieses Ziel zu erreichen: Sie mit | |
Parawissenschaften zu füttern, kann recht wirksam sein." | |
Beharrt man auf der Trennung zwischen rationalistischer und "paranormaler" | |
Kultur, wird man den großen Erfolg von Charpaks Buch nicht begreifen | |
können. Viele Leser sehen deutliche Analogien zwischen dem historischen | |
Krieg der Kirche gegen die wissenschaftliche Erkenntnis zur Zeit Galileis | |
und einer zeitgenössischen Verschwörung gegen die Wahrheit über Ufos. Dem | |
starren Rationalismus wird mit dem gleichen Misstrauen begegnet wie früher | |
der Kirche, als sie Galilei vor die Inquisition zerrte. | |
Der Historiker und Galilei-Experte Stillman Drake fragt sich allerdings, ob | |
Galilei, der sich übrigens keineswegs als Verfechter der wissenschaftlichen | |
Wahrheit gegen religiöse Aufklärungsfeindlichkeit verstanden wissen wollte, | |
nicht viel eher versucht habe, den Glauben zu schützen. Drake schlägt vor, | |
die Geschichte Galileis auch aus dieser Perspektive, nicht nur aus der | |
einer konstruierten Verschwörung der Kirche zu betrachten.(5) | |
Kann die Geschichte der Verschwörungstheorien über die Ufos nicht in | |
ähnlicher Weise interpretiert werden? Man könnte, statt sich über die | |
mangelnde Glaubhaftigkeit der Verschwörungstheorien zu mokieren, auch | |
überlegen, ob die Menschen, deren seltsame Theorien denen der Rationalisten | |
so ähnlich sind, nicht in gleicher Weise einer "heroischen" Anschauung von | |
der Wissenschaft anhängen. | |
Fußnoten: | |
(1) Siehe Jacques Vallée, "Le Collège invisible", Paris (Albin Michel) | |
1975. | |
(2) John A. Keel, "Die Mothman Prophezeiungen - Tödliche Visionen", München | |
(Heyne) 2002. | |
(3) Charles Berlitz, "Der Roswell-Zwischenfall", Wien (Zsolnay) 1980. | |
(4) Georges Charpak und Henri Broch, "Was macht der Fakir auf dem | |
Nagelbrett? Erklärungen für unerklärliche Phänomene", München (Piper) 2003… | |
(5) Stillman Drake, "Galilei, Freiburg (Herder) 1999. | |
Aus dem Französischen von Uta Rüenauver | |
22 Jan 2009 | |
## AUTOREN | |
Pierre Lagrange | |
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