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# taz.de -- Biomilch boomt: Mehr Milch machts
> Die beiden Biomolkereien in Brodowin und Münchehofe haben alle Hände voll
> zu tun, den Durst der Berliner nach Biomilch zu stillen. Deshalb wollen
> sie ihre Molkereien vergrößern.
Bild: Auch Kälber stehen auf Milch
Für Käse ist gerade kein Platz auf Europas größtem Demeterhof. Die
Käsemaschine steht zwar in einer Ecke in der Molkerei des Ökodorfs
Brodowin, "aber es ist hier einfach zu eng, um sie bedienen", sagt
Meiereimeister Axel Müller. Es wäre außerdem gar keine Zeit, auch noch Käse
herzustellen, denn Müller und seine Mitarbeiter haben alle Hände voll mit
der Milchproduktion zu tun. Die alte Pasteurisationsmaschine schafft nur
1.000 Liter in der Stunde - sie war auch nur für ein Viertel der Milchmenge
konzipiert, die Brodowin derzeit verarbeitet. Also arbeiten sie hier in
Schichten, früh um eins ist die erste - damit sie den Durst der Berliner
nach ihrer Milch stillen können.
Immer mehr Berliner kaufen Biomilch, und die zwei Brandenburger Molkereien
Brodowin und Münchehofe kommen mit der Produktion kaum hinterher. Rund 5
Millionen Liter Rohmilch verarbeiten beide zusammen im Jahr. Verzehrt
werden in der Metropolenregion aber fast 26 Millionen Liter pro Jahr, das
heißt das Fünffache von dem, was durch die Brandenburger Milchschläuche
fließt, besagt eine Studie des Instituts für Ökologische
Wirtschaftsforschung. Das heißt aber auch, vier Fünftel der Milch in den
Regalen der Bio- und Supermärkte kommt irgendwoher, nur nicht aus
Brandenburg.
Das soll bald anders werden. Sowohl Brodowin als auch Münchehofe wollen
neue Produktionshallen bauen und ihre Verarbeitungskapazität erhöhen. Ein
Quantensprung für die Ökologische Landwirtschaft wäre das. Denn dadurch
könnten erstmals die Bauern ihre Milch in der Region verarbeiten lassen.
Schließlich ist es ja nicht so, dass es keine Kühe in Brandenburg gibt. Und
sogar Biokühe gibt es zuhauf. So viele, dass jährlich 20 Millionen Liter
Milch zusammenkommen. Fast so viel, wie der Berliner Markt eigentlich
benötigt. Nur werden bisher rund 14 Millionen Liter davon irgendwo
verarbeitet, nur nicht in Brandenburg.
Die Milchwirtschaft ist nur ein Beispiel für die gesamte Branche. Ein
enormes Potenzial wird Brandenburg immer wieder in Marktanalysen
bescheinigt. "Da liegen Arbeitsplätze auf der Straße", sagt Michael Wimmer.
Er ist Geschäftsführer der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau (FÖL).
Für einen Oberbayern wie Wimmer ist es unglaublich: so viel Ökoanbauflächen
- so wenig verarbeitende Betriebe. Während in Süddeutschland in Sachen
Absatzmarkt "die kritische Masse", wie er es nennt, längst erreicht sei,
stehe hierzulande "ein riesiges Scheunentor weit offen".
In das offene Scheunentor tuckert ein Betrieb wie Brodowin allerdings recht
langsam. Einen Bauantrag hat das Ökodorf gestellt, um die Molkerei in ein
größeres Gebäude zu verlagern. Eine Investition im fünfstelligen Bereich
will Brodowin tätigen, größere Maschinen anschaffen, eine Schaumolkerei für
Besucher ist angedacht, und auch die Käsemaschine soll wieder angeschaltet
werden. Müller könnte dann seinen Traum erfüllen und Schnittkäse
produzieren. Doch die Anlage wird frühestens 2010 fertig sein. "Wir bauen
dem Absatz hinterher", sagt Müller.
Schneller auf den Markt reagiert hat die Hofmolkerei in Münchehofe. Aber
dahinter steht auch Ostdeutschlands größte Biomolkerei, die Firma "Gläserne
Meierei" mit Sitz in Upahl bei Schwerin. Dort in Münchehofe, im Spreewald,
rund 40 Kilometer südlich von Berlin, wird bis Herbst für 6 Millionen Euro
eine "Gläserne Molkerei" mit transparentem Besuchergang und einer
Produktionskapazität von 15 Millionen Liter errichtet. "Dann können wir die
Milch aller umliegenden Biobauern in der Region verarbeiten", sagt Kirsten
Böhmann von der "Gläsernen Meierei".
Denn noch liegen auf dem Milchweg von Brandenburg nach Berlin andere
Bundesländer. Im Fall von Demeterbauer Kai Dech aus dem Havelland ist es
Mecklenburg-Vorpommern. Gerade mal 70 Kilometer von Berlin entfernt
produzieren seine Kühe 125.000 Liter Milch im Jahr, ins Tetrapack kommt sie
aber in der Gläsernen Meierei in Upahl. Und das ist für Dech bereits ein
enormer Fortschritt: Bevor die größte Biomolkerei in Ostdeutschland in
Betrieb ging, musste er zusehen, wie seine Demetermilch in eine
konventionelle Rostocker Molkerei gekippt wurde. "Total Scheiße" sei das
gewesen; da ist es jetzt nur noch "nicht ganz optimal", dass seine Milch
500 Kilometer Umweg machen muss, um in einem Kühlregal in Berlin zu landen.
Solche Beispiele gibt es in Brandenburg genug, und es ist nicht nur das
strukturelle Defizit einer Region, das dafür verantwortlich ist, sondern
auch mangelndes Wissen über eine Branche und deren Marktmechanismen. Aus
reinem Idealismus habe er Anfang der Neunziger auf Bio umgestellt, erzählt
Dech. "Über den Absatz haben wir uns keine Gedanken gemacht." Deshalb will
die Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau die Brandenburger Bauern auf
ihrer Bioscholle auch wirtschaftlich fit machen. "Die Betriebe müssen mehr
Peilung bekommen", sagt Wimmer. Noch wichtiger als Wissen und Struktur
wären dem FÖL-Geschäftsführer aber mehr solcher Quantensprünge wie der in
der Milchwirtschaft. Von "Kristallisationskeimen" spricht Wimmer und meint
damit große Investoren und kluge Köpfe, die aus dem Vorhandenen etwas Neues
und Anziehendes auf die Beine stellen wollen. "Wir würden uns wünschen,
dass Leute mit Visionen und Tatendrang hier aufschlagen." Aber Investoren
fallen nicht vom Himmel, weiß Wimmer. Und wenn doch, wie vor zwei Jahren,
als jemand mehrere Millionen Euro für eine Gemüselagerhalle ausgeben
wollte, gab es nicht genug Möhren und Salat, damit sich das Geschäft auch
rentiert. Der Investor sprang wieder ab.
Deshalb müsse die Politik "aus dem Knick kommen", fordert Wimmer. Neben
einem "Ansiedlungsprogramm" schweben ihm Fördermittel für mittelständische
Verarbeitungsbetriebe vor. Aber außer Verlautbarungen sei bisher nichts
geschehen, moniert er. Weder der Brandenburger Agrarminister noch der
Berliner Wirtschaftssenator würden Taten sehen lassen.
Lobende Worte findet Wimmer hingegen für die Senatsverwaltung für
Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz. Mit deren Hilfe kann die FÖL
derzeit die erste Informations- und Beratungsstelle für den Einsatz von
regionalen Bioprodukten in der Gemeinschaftsverpflegung - also in Schulen
und Kitas, Mensen und Kantinen - aufbauen. Damit Berlin und Brandenburg
besser zusammenpassen. Bis die Milchwirtschaft in Brandenburg ordentlich
aufgebaut ist, geht manch Bauer aber auch seine eigenen Wege: Jürgen
Templin vom Bauerngut Templin aus Libbenichen bei Frankfurt/Oder hat zwar
30 Mutterkühe, doch seine Melkanlage hat er ausgeschaltet, seit er keinen
Abnehmer für seine Demetermilch mehr hat. Er werde sie erst wieder in
Betrieb setzen, "wenn die Strukturen stimmen", sagt er. Bis dahin dienen
die Tiere der Fleischproduktion - und um immer guten Mist für die
Kartoffeln und das Getreide zu liefern.
24 Jan 2009
## AUTOREN
Grit Weirauch
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