# taz.de -- Weltsozialforum in Brasilien: "Ein Kampf der Ideologien" | |
> Die Teilnehmer kämen bei dem Treffen in Brasilien gar nicht zum | |
> Nachdenken, sagt der brasilianische Journalist Lúcio Flávio Pinto. An | |
> Veränderungen in Amazonien glaubt er nicht. | |
Bild: "Eine andere Welt ist möglich!" - das Motto der Weltsozialforen. | |
taz: Herr Pinto, am Dienstag hat das Weltsozialforum in Amazonien begonnen. | |
Wird es die Region verändern? | |
Lúcio Flávio Pinto: Das Forum ist wichtig, weil es Leute aus aller Welt in | |
persönlichen Kontakt mit Einheimischen bringt. Sie sehen, dass Amazonien | |
nicht nur aus wilder Natur besteht. Aber auf dem Weltsozialforum passiert | |
zu viel gleichzeitig, als dass die Leute zum Nachdenken kämen. Diese | |
Überflutung ist eine Art Gegenpropaganda, ein Kampf der Eliten, der | |
Ideologien, doch ändern wird sich wohl wenig. Im Jahr 1992 fand in Rio der | |
UN-Umweltgipfel statt, seitdem hat sich im Grunde nichts geändert außer der | |
Verpackung, der Sprache. | |
Also keine Rückendeckung für die sozialen Bewegungen hier? | |
Die gute Stimmung auf dem Forum hält ja nicht an. Die Solidarität mit | |
Amazonien bleibt eine Episode, und ohne Kontinuität gibt es auch keinen | |
kulturellen Wandel. | |
Wie zeigt sich die Globalisierung im Amazonasgebiet? | |
Die Industrieländer, aber auch China, wollen Rohstoffe in Hülle und Fülle | |
und zum geringstmöglichen Preis. Als 1984 die weltgrößte Eisenerzmine von | |
Carajás eröffnet wurde, rechnete man damit, dass jährlich höchstens 20 | |
Millionen Tonnen Erz gefördert würden. Im Jahr 2008 wurde die | |
90-Millionen-Marke überschritten. Es gibt riesige Aluminiumhütten, alles | |
wird exportiert. Vale, unser Erzmulti, erwirtschaftet 20 Prozent der | |
brasilianischen Devisen - doch das ist eine Enklavenwirtschaft, der | |
Bundesstaat Pará gehört immer noch zu den ärmsten Brasiliens. | |
Warum werden unter Präsident Lula da Silva keine neuen Strategien für | |
Amazonien entwickelt? | |
Die Linke glaubt nach der alten Etappenmentalität, zuerst müsse hier die | |
kapitalistische Revolution stattfinden. Nach seiner Wahl 2002 hat Lula | |
erklärt, er bewundere die Amazonaspolitik der Militärs (1964-85), ihre gute | |
Planung und die Umsetzung. Was ist sein "Wachstumsbeschleunigungsprogramm"? | |
Die Fortsetzung des Militärregimes! Diese Linke mag guten Willens sein, | |
aber sie ist autoritär, messianisch, sie hat einen kolonialen Blick. Wenn | |
Lula zu den Großprojekten kommt, hebt er ab - ganz der Arbeiter, der | |
Maschinen will, um zu produzieren. Indianer, der Wald, das interessiert | |
nicht. Es ist eine leninistische Vision von oben, nicht die Vision | |
Gramscis. Amazonien ist ein Fremdkörper im Denken Brasiliens geblieben, die | |
Unwissenheit ist enorm. | |
Liegt in der Weltwirtschaftskrise vielleicht eine Chance, Alternativen | |
umzusetzen? | |
Brasilien hat oft von den großen Krisen profitiert, etwa durch den Aufbau | |
eigener Industrien. Doch heute ist die Abhängigkeit von außen brutal. Lula | |
hat bislang die Illusion verbreitet, dass es den Leuten in den letzten | |
Jahren wegen der Entwicklung Brasiliens besser gegangen ist. Dabei lag das | |
an den unvorstellbar hohen Rohstoffpreisen. | |
Was halten Sie vom neuen Amazonasfonds der Regierung, der Projekte gegen | |
die Entwaldung fördern soll? | |
Den müsste die Gesellschaft managen, nicht die Regierung. Mit so einem | |
Fonds könnte man ein großes Programm angewandter Wissenschaft finanzieren, | |
durch das Wissenschaftler vor Ort ausgebildet werden und forschen. Sonst | |
bleibt es bei hübschen Projekten, die isoliert sind wie Tiere im Zoo, aber | |
durch die sich nichts Grundlegendes ändert. | |
Wie wird Amazonien in 50 Jahren aussehen? | |
Eine heiße Steppe mit ein paar Palmen, unregelmäßigen Regenfällen, ähnlich | |
wie andere Teile Brasiliens. Ich fürchte, wir verspielen die Chance, eine | |
Waldzivilisation zu entwickeln. Möglich wäre es, die wissenschaftlichen | |
Kenntnisse haben wir. | |
28 Jan 2009 | |
## AUTOREN | |
Gerhard Dilger | |
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