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# taz.de -- Das 57. Kind der 26. Frau: Trommeln für die Zukunft
> Ein deutsch-ghanaisches Ehepaar bietet Urlaubern afrikanisches Dorfleben,
> Trommelkurse und das ökologisch einwandfreie Kompostklo. Kasapa - ein
> besonderes Tourismusprojekt in Ghana
Bild: Wenn die Fischerboote zurückkommen, gibt's Leben im Dorf
Düsseldorf - Tripolis - Accra - Kasapa. Das sind die Stationen unserer
langen Reiseroute. Kurz vor Mitternacht sind wir endlich da, im Kasapa
Centre. Die kleine Ferienanlage liegt eine Autostunde westlich der
ghanaischen Hauptstadt Accra an einer Steilküste des Atlantiks. Übermüdet
sacken wir auf die Stühle des Restaurants, einem halboffenen Pavillon unter
einem filigranen Holzdach in Form eines aufgespannten Regenschirms. Noch
ist es T-Shirt-warm, vom benachbarten Nyanyano wehen stampfende
Highlife-Beats herüber. Totenwache bei Nacht. Lautstark betrauert das Dorf
einen Verstorbenen. Trunken vor Erschöpfung (und einem Bier) taumeln wir zu
den Bungalows unter das Moskitonetz.
Ein deutsch-ghanaisches Ehepaar, Susanne Stemann-Acheampong und ihr Mann
Kofi ("der am Freitag geborene") betreibt Kasapa. Sie ist ausgebildete
Theologin, er gelernter Hochbauingenieur. Der Name ihrer Anlage ist
Programm: Das Wort, das aus der Twi-Sprache stammt, bedeutet "ein gutes
Gespräch" oder "eine gute Rede". Das Kasapa Centre will Verständnis wecken,
Verständigung schaffen, interkulturelle Begegnung ermöglichen. Nicht nur
mit Worten, sondern auch mit "sprechenden" Trommeln und Tänzen. Dummerweise
heißt inzwischen auch das ghanaische Handynetz Telekom Kasapa. Seit 1996
bieten Susanne und Kofi für ihre Gäste - meist Deutsche, häufig
alleinreisende Frauen - Trommel- und Tanzworkshops an und arrangieren von
Kasapa aus mehrtägige Exkursionen quer durch Ghana: ins Herz des
Ashantilands, in die Volta-Berge im Norden, an die Küste mit den
Sklavenfestungen und dem Kakum Nationalpark.
Am nächsten Morgen führt uns Susanne durch ihre weitläufige Oase mit
Kokospalmen und Agaven, Bäumen mit Mangos und Papayas. Happy Hour? Pool?
Hotelzimmer mit Klimaanlage? Wer solchen Komfort sucht, ist hier fehl am
Platz. Stattdessen vereinen sich afrikanische Bautraditionen mit moderner
Umwelttechnik. Sechs runde, klimagerechte Lehmhütten mit Reetdächern und
überdachten Veranden bieten 24 Gästen Unterkunft.
Susanne führt uns zu den überdachten Duschen und Komposttoiletten. Letztere
sind in die Erde gebaut, darüber liegt eine Zementdecke, Kaminen gleich
dienen vier vertikale Außenrohre der Belüftung. "Guter Kompost stinkt
nicht", sagt Susanne kategorisch, die Klos müssten nur gut belüftet sein
und in der Sonne stehen. "Eine ideale Lösung für die Dritte Welt", meint
sie und sagt, dass sich auch die Ghana Prison Authority für das hygienische
Klomodell interessiert habe. Dann steigen wir auf das Dach des Küchen- und
Bürotrakts - der Solartechnik wegen. Denn die Elektrizität kommt in Kasapa
nicht aus der Steckdose, sondern von 13 Solarpaneelen. Sie liefern 675
Watt, macht bei sechs Stunden Sonnenschein 4.050 Watt Leistung. Ein
kleiner, schamhaft versteckter Generator deckt den Zusatzbedarf, zum
Beispiel bei einer großen Party. Und die Abwasser? Versickern langsam und
biodynamisch in zwei unterirdischen, allerdings überdimensionierten Becken
einer Schilfkläranlage.
Gäste sind in Kasapa keine Nummern und die Mitarbeiter haben Namen. Akous
und Joana helfen in der Küche und servieren das Essen, Sister Efua arbeitet
als Waschfrau und gibt den Gästen ein Gebet mit auf den Weg, wenn sie zu
einer Exkursion aufbrechen. Sister werden Frauen respektvoll genannt, die
ein bestimmtes Alter und ein soziales Gewicht erreicht haben. Bismark heißt
der stets fröhliche Fahrer des Allradautos und Prinz Abdallah der smarte
Reiseführer, der gern erzählt, dass er das 57. Kind der 26. Frau seines
Vaters ist, der insgesamt 149 Kinder von 33 Frauen habe. Und Jaw
("Donnerstag"), den Allrounder-Assistenten, treffen wir in der Früh, wenn
er die Klos und Duschen reinigt und bei Einbruch der Dunkelheit, wenn er
uns die Kerosinlampen auf der Terrasse anzündet. Frank ist der Supervisor
und wichtiger Kontaktmann zum Dorf-Chief. Dazu die saisonal beschäftigten
Trommler. "Keine fremdbestimmten Arbeitsplätze mit ausländischem
Management, sondern ein afrikanischer Familienbetrieb", lautet der
Firmenkodex. Susanne ist die einzige Weiße.
Kasapa ist eine weitgehend autonome touristische Enklave und will im
Kleinen ein Beispiel geben, was mit klima- und umweltgerechten Technologien
in sonnigen tropischen Ländern möglich ist, zum Beispiel Fotovoltaikanlagen
zu installieren. "Im Allgemeinen orientieren sich afrikanische Länder in
ihrem Verständnis von Technologie, Modernität und Entwicklung an dem, was
in Deutschland als industrielle Steinzeit gilt", sagt Susanne. Development
in Ghana bedeute: mehr Autos, mehr Stromverbrauch, mehr ölbefeuerte
Kraftwerke.
Die Ursprungsidee zum Kasapa-Projekt kommt nicht vom Obroni, vom weißen
Mann, sondern von Mustafa Tettey Addy. Der ghanaische Master Drummer stammt
aus einer Fetischpriesterfamilie und trat als junger Mann zum Islam über.
Eines Abends gibt er in Kasapa im Schein der Petroleumlampen ein
Solokonzert; nach und nach tauchen die Mitarbeiter auf und tanzen stampfend
zu den Rhythmen. Einige Jahre lehrte Mustafa Gruppen in Deutschland das
Trommeln, bevor er Anfang der Achtzigerjahre Deutsche, meist Studenten,
nach Ghana zu Ferienworkshops im Trommeln und Tanzen einlud, damit sie hier
das Einmaleins der afrikanischen Rhythmen und Bewegungen erlernen konnten.
Für Mustafa waren es zwei Paar Trommeln, ob man drumming in Düsseldorf oder
Accra erlernt. Ihr Europäer, sagte er damals, könnt Entwicklungshilfe in
Körpergefühl und Rhythmus brauchen, während wir Afrikaner Entwicklungshilfe
durch den Trommel- und Tanztourismus benötigen.
Heute morgen empfängt uns Obeng Wiabo V., der Chief von Nyanyano, in seiner
Residenz. Der 50-jährige oberste Repräsentant der Gemeinde - "ich bin
genauso alt wie Ghana" - thront an der Stirnseite des Raums. Wie die
Elders, seine Berater, die ihn flankieren, trägt er ein buntes bodenlanges
Gewand. Wir werden gebeten, den Grund unsere Reise zu erklären - "What is
your mission?" -, dann erzählt uns der Chief vom Alltag in seinem Dorf, den
Nöten der Fischer, weil ausländische Trawler-Flotten die küstennahen
Gewässer leer gefischt hätten, er erzählt von der bescheidenen
Salzgewinnung, und von der fruchtbaren Kasapa-Connection. "Kasapa hat von
Anbeginn geholfen, dass sich unser Dorf entwickelt", sagt er und meint
damit Einrichtungen wie das Hospital, die Bücherei, zwei Schulen.
Nachmittags führt uns Ekow, der Sohn von Sister Efua durch sein Dorf. Der
Hamatan, ein trockener Wüstenwind, wirbelt mächtig Staub auf und fegt
Plastikmüll durch die Luft. Vor 20 Jahren gab es in Ghana noch keinen
Plastikabfall, damals wurde Essen noch in Bananenblättern verkauft. Wir
besuchen eine kleine Krankenstation, die ohne Doktor auskommen muss. Ein
neues Hospital wird gerade, unter anderem mit Kasapa-Spenden, errichtet.
Am Hafen tobt das Dorfleben. Kleine Verkaufsbuden, ein Meer von
Fischerbooten. Frauen schleppen fangfrischen Fisch in Flechtkörben ab,
Männer sitzen auf dem staubigen Boden und bessern Fangnetze aus, Jungen
rollen alte Autoreifen spielend über die Brache, Hühner, Schafe und Hunde
nagen am Plastikmüll. Auf einem wackligen Holztisch verkauft ein Mädchen
geschälte Orangen, ein Tankwagen bringt Trinkwasser ins Dorf. Überall in
den nahen Klippen hocken Menschen und machen ihr Geschäft. Wir schwimmen im
Gewusel mit, im Schlepptau von Ekow, den hier jeder kennt, Wellen der
Neugierde schwappen uns entgegen.
Kasapa ist kein abgeschlossenes Touristengetto, sondern im Dorf verankert.
Deswegen umgibt auch kein Zaun die Ferienanlage, der Zugang zum Meer ist
frei, natürlich gibt es Wächter am Zugang, doch "unser eigentlicher Schutz
ist die Integration ins Dorf", sagt Kasapa-Chefin Susanne. Ihr privates
Tourismusprojekt unterstützt die Gemeinde und die dörfliche Infrastruktur
auf vielfältige Weise, beim Bau der neuen Klinik, bei medizinischen
Notfällen, etwa einer Herzoperation oder einer Beinprothese, bei der
Förderung von zwei Schulen und der Berufsausbildung von Jugendlichen.
Obendrein sponsern ehemalige Gäste die Schulausbildung von 30 Kindern. Der
Verein "Kasapa Bridge", den das Ehepaar Acheampong im Jahr 2007 ins Leben
gerufen hat, soll langfristig eine finanzielle und emotionale Verbindung
zwischen Kasapa und seinen (meist) deutschen (Stamm-)Gästen und dem Dorf
herstellen. Schon im ersten Jahr konnte der Verein rund 50.000 Euro
einsammeln.
Susanne Stemann-Acheampong träumt davon, eines Tages mit dem Solarmobil auf
den Markt ins Nachbardorf zu fahren. Der Transfer moderner
Umwelttechnologie nach Ghana liegt ihr besonders am Herzen. Deshalb
trommelt sie unablässig für einen nachhaltigen Tourismus in Afrika, für
einen Tourismus, der als ökologischer Motor im Zielland dient.
31 Jan 2009
## AUTOREN
Günter Ermlich
## TAGS
Reiseland Ghana
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