# taz.de -- Solidarnosc-Aktivist Wujec über Symbole: "Die Mauer fiel in Danzig" | |
> Der Solidarnosc-Aktivist Henryk Wujec saß 1989 mit am runden Tisch in | |
> Polen. Heute wünscht er sich ein Symbol, das Polens Rolle beim Untergang | |
> des Kommunismus würdigt. | |
Bild: "Uns war klar, es war viel möglich. Sehr viel." | |
taz: Herr Wujec, wie finden Sie das heutige Polen? | |
Henryk Wujec: Schön! Es ist das Polen, für das ich gekämpft habe. Natürlich | |
hat es immer noch viele Fehler und Mängel. Aber die kommenden Generationen | |
müssen ja auch noch etwas zu tun haben. Nein, im Ernst: Was wir geschafft | |
haben, ist eine große Sache. | |
Sie haben für Solidarnosc 1989 am runden Tisch in Warschau mit den | |
Kommunisten verhandelt. Haben Sie erwartet, dass Sie zwanzig Jahre später | |
in einer Demokratie leben würden? | |
Wir hatten nicht die geringste Ahnung. Schließlich lebten wir seit 1945 im | |
kommunistischen Block. Wir wussten, dass alle Versuche, sich von diesen | |
Fesseln zu befreien, mit dem Einmarsch der sowjetischen Armee enden würden. | |
So wie in 1956 Ungarn oder 1968 in der Tschechoslowakei. Unsere | |
Hauptforderung war nur die Wiederzulassung der unabhängigen Gewerkschaft | |
Solidarnosc. | |
Wie wirkten Glasnost und Perestroika? | |
Uns war klar, es war viel möglich. Sehr viel. Aber dass in Polen innerhalb | |
von ein paar Monaten eine demokratische Regierung entstehen könnte und sich | |
später sogar die sowjetische Armee freiwillig aus Polen zurückziehen | |
könnte, das hatten wir in unseren kühnsten Träumen nicht erwartet. | |
Am Gebäude der ehemaligen polnischen Botschaft in Berlin hängt ein Banner | |
mit der Aufschrift "Es begann in Gdansk". Warum ist das so wichtig? | |
Weil eben wirklich alles in Danzig begann, das freie Polen, der Fall der | |
Mauer, die samtene Revolution, das Ende des Kommunismus. Es begann mit den | |
Streiks auf der Lenin-Werft, wo die Arbeiter die erste unabhängige | |
Gewerkschaft im damaligen Ostblock erkämpften. Die Solidarnosc machte dann | |
allen anderen vor, dass es möglich ist, das scheinbar Unmögliche zu | |
erreichen. Der Fall der Mauer begann in Danzig. Daran sollten sich die | |
Deutschen erinnern. | |
Denken Sie, dass die Montagsdemonstrationen in Leipzig, Berlin und anderen | |
Städten die Solidarnosc-Streiks zum Vorbild hatten? | |
Die Polen waren schon frei. Sie hatten sich selbst befreit. Das gab allen | |
anderen Mut, auch den Deutschen. Sie würden es allein schaffen. Der Ruf | |
"Wir sind ein Volk!" zeigt das doch. Hilfe von außen war nicht notwendig, | |
keine amerikanischen Panzer und keine waffenstarrenden Armeen. | |
Als dann am 9. November in Berlin die Mauer fiel: Was war das für ein | |
Gefühl in Polen? | |
Das war ein furchtbares Wechselbad der Gefühle. Einerseits freuten wir uns | |
für die DDR-Deutschen, andererseits kroch in uns eine tief sitzende Angst | |
hoch. Kanzler Helmut Kohl war damals gerade zu Besuch in Polen. Als er | |
seine Visite unterbrach und nach Berlin fuhr, hielt ganz Polen den Atem an: | |
Würde Kohl nach Polen zurückkommen und die lang geplante Visite fortsetzen? | |
Er kam zurück. Das war gut. Aber die Angst wich lange nicht. Ich zum | |
Beispiel kam als Zweieinhalbjähriger ins KZ Majdanek. Meine Eltern konnten | |
flüchten und sich in den Wäldern verstecken. Ich wurde gegen Bezahlung | |
rausgeschmuggelt. Sonst hätte ich nicht überlebt. Das vergisst man nicht. | |
Bei der Wiedervereinigung Deutschlands dachte Kohl aber nicht an Polen und | |
unsere furchtbaren Kriegserfahrungen. Wir wollten, dass er so schnell wie | |
möglich die deutsch-polnische Grenze anerkennt. Er aber wollte Rücksicht | |
nehmen auf die Vertriebenen und erst die Wahlen gewinnen. Das hat uns | |
furchtbar verletzt. | |
Schmerzt es die Polen, dass der Fall der Mauer weltweit zum Symbol für das | |
Ende des Kommunismus wurde? | |
Ja, das tut schon weh. Der runde Tisch ist ein Möbelstück, das sich nicht | |
gut als Symbol eignet. Der Solidarnosc-Schriftzug ist zu polnisch, Papst | |
Johannes Paul II. wieder zu universal. Lech Walesa zerstörte seinen Ruhm | |
als Arbeiterheld in der Zeit seiner Präsidentschaft, dazu kamen später noch | |
die Vorwürfe aus dem Institut des Nationalen Gedenkens, dass Walesa als | |
Spitzel IM "Bolek" für die Stasi gearbeitet habe. Polen hat kein gutes | |
Symbol. Aber es ist eben so: Es begann in Danzig. | |
Würde sich der runde Tisch als nationales Symbol für den friedlichen | |
Übergang eignen? | |
Eher nicht. Denn mit dem runden Tisch sind zwei Mythen verbunden. Ein | |
positiver vom friedlichen Übergang zur Demokratie und ein negativer vom | |
angeblichen Verrat der Solidarnosc-Führer und einem Geheimpakt zwischen | |
ihnen und den Kommunisten. Das ist natürlich Unsinn. Es sind auch nie | |
irgendwelche Beweise aufgetaucht. Der runde Tisch ist zwar enorm wichtig, | |
eignet sich aber nicht als Symbol. Alle Stürme überstanden hat dagegen der | |
berühmte rote Schriftzug "Solidarnsc". | |
Sie haben 1989 das Wahlplakat mit Gary Cooper lanciert, das weltberühmt | |
wurde. | |
Ich organisierte damals mit anderen die Wahlen für die Solidarnosc. Wir | |
hatten nichts, kein Fernsehen, kein Radio, keine Zeitungen. Die Kommunisten | |
hingegen hatten Zugang zu allen Massenmedien. Wir hatten Angst, die Wahlen | |
zu verlieren, weil niemand wusste, wer zu uns gehörte. Bislang hatte die | |
Opposition immer dazu aufgerufen, die Wahlen zu boykottieren. Diesmal | |
sollten alle hingehen. Gesucht wurden Ideen für einprägsame Plakate und | |
Flugblätter. | |
Aber ein Cowboy in Polen? | |
Das war genial. Der amerikanische Cowboy stand für den Traum, in Polen | |
einst so frei leben zu können wie im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. | |
Ich habe diese Idee eines Kunststudenten gegen meine Kollegen durchgesetzt. | |
Heute erinnert dieses Plakat an den ersten großen Wahltriumph der | |
Solidarnosc. Mit Gary Cooper haben wir die Wahlen gewonnen! Am Ende war | |
Tadeusz Mazowiecki der erste nichtkommunistische Ministerpräsident in Polen | |
und im gesamten damaligen Ostblock. | |
Was ist aus der Solidarnosc geworden? | |
Die Gewerkschaft gibt es bis heute, wenn sie auch stark geschrumpft ist und | |
für andere Ziele kämpft als damals. Die Freiheitsbewegung zersplitterte | |
sich in viele kleine und einige größere Parteien. Schon vor dem runden | |
Tisch gab es einen ersten Bruch. Einige hielten es für falsch, sich auf | |
Verhandlungen mit den Kommunisten einzulassen. Andere meinten, dass die | |
Solidarnosc bereits 1981, als General Jaruzelski das Kriegsrecht über Polen | |
verhängte, untergegangen war. Aber die Masse hielt nach wie vor zu Lech | |
Walesa, dem Arbeiterhelden von 1980. Als geschlossene Einheit siegte die | |
Solidarnosc ein letztes Mal bei den ersten noch halbdemokratischen Wahlen | |
am 4. Juni 1989. | |
Und die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei? | |
Löste sich auf, um sich wenig später unter anderem Namen neu zu gründen. | |
Heute spielt die Herkunft aus dem Solidarnosc- oder Kommunistenlager aber | |
kaum noch eine Rolle. Die linken Parteien haben wirtschaftsliberale | |
Programme, und die rechten übernehmen schon mal die antideutsche Propaganda | |
aus der kommunistischen Gomulka-Zeit. Was in Polen fehlt, ist eine echte | |
sozialdemokratische Partei, der nicht das Odium des alten Sozialismus | |
anhaftet, den niemand zurückhaben will. | |
Haben zwanzig Jahre Freiheit das deutsch-polnische Verhältnis verändert? | |
Die Beziehungen wurden immer besser. Aber seit einigen Jahren haben rechte | |
Ideologen hüben wie drüben das Wort an sich gerissen und vergiften die | |
Atmosphäre. Das ist schade. Wir sollten die Jüngeren ans Ruder lassen. Mit | |
einer Versöhnungs- oder Verständigungsmission. Ich wäre sofort dabei. | |
5 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |