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# taz.de -- Der britische Fotograf Paul Graham: Trivial, unseriös, wahr
> Kein Zutritt für Fußballtrainer: Das Museum Folkwang zeigt die erste
> deutsche Retrospektive des Fotografen Paul Graham, der Farbe in die
> Dokumentarfotografie Europas brachte.
Ernsthafte Fotografie muss immer schwarz-weiß sein. So lautete lange Zeit
das Dogma. Als das New Yorker MoMA 1976 William Eggleston als erstem
Künstler eine Einzelausstellung mit Farbfotografien einrichtete, reagierte
die Kritik mit Unverständnis, Spott und Wut. Farbe galt bis dahin als
trivial und unseriös.
Allem Widerstand zum Trotz publizierte auch Paul Graham seine erste
Fotoserie fünf Jahre später nicht in Schwarz-Weiß. Denn erst die Farbe
ermöglichte ihm, die Dinge so genau abzubilden, wie er es sich immer
gewünscht hatte. Eben so, wie sie sind. Uninszeniert und doch ästhetisch
überhöht. Seitdem arbeitet der in New York lebende Brite mit Erfolg an der
Erneuerung der fotografischen Praxis zwischen traditioneller
Dokumentarfotografie und künstlerischer Form.
Das Museum Folkwang zeigt derzeit mit elf Werkgruppen aus den Jahren 1981
bis 2006 die erste Übersichtsschau Paul Grahams in Deutschland. Eine klug
konzipierte Großtat. Paul Graham (Jahrgang 1956) studierte zunächst
Mikrobiologie, bevor er sich autodidaktisch der Fotografie zuwendete. Vor
allem die Lektüre amerikanischer Fotobücher der 60er- und 70er-Jahre prägte
sein Kunstverständnis, namentlich Werke von Künstlern wie Robert Frank,
Gary Winogrand und Lee Friedlander.
Insbesondere der Einfluss der New Topographics, die sich urbanen Randzonen
und Nicht-Orten widmeten, kennzeichnet Grahams frühe Serie "A1 - The Great
North Road". Entlang der 658 Kilometer langen Fernstraße dokumentierte er
Auffahrten, Raststätten, Parkplätze, Grün am Seitenrand, Lkw-Fahrer und
Reisende. Mit dem Bild eines Diners in der Abenddämmerung eröffnet die
Schau. Einem überdimensionierten Display gleich wird die schuhkartonförmige
Funktionsarchitektur von innen beleuchtet und scheint anheimelnd in der
Dunkelheit. Gestört wird die perfekt ausgewogene Komposition von Form und
Farbe nur durch ein Detail: Im mittleren Fenster des Lokals verbietet ein
Schild Fußballtrainern den Zutritt.
Einer anderen Form gesellschaftlicher Ausgrenzung ist die Werkreihe "Beyond
Caring" gewidmet. In den Achtzigern hatte die neoliberale Politik der
Konservativen jede Hoffnung auf eine mögliche Besserung der Lage der sozial
Benachteiligten zunichte gemacht. Die Folge des Thatcherismus waren
überfüllte Sozialämter. Hier fotografierte Paul Graham desillusionierte
Antragsteller in schäbigen Warteräumen. Der Fußboden ist mit Kippen
übersät, das unbequeme Mobiliar abgenutzt und die Wände mit Anschlägen
tapeziert, die für die Menschen wie Hohn klingen müssen: "Kein
Arbeitsplatz? Wir haben hunderte." Indem Graham, der zu dieser Zeit selbst
arbeitslos war, für die Serie den Blickwinkel eines Wartenden wählte,
vermittelt sich direkt die Trostlosigkeit der Situation. Die unvermittelte
Perspektive ist in Grahams Werk jedoch die Ausnahme.
In der Reihe "Troubled Land" nähert sich der Künstler dem Bürgerkrieg in
Nordirland und bettet Kriegs- in Landschaftsfotografie ein. Dabei vermeidet
er gängige Motive der Fotoreportage. Er zeigt keine Soldaten, die hinter
Häuserecken in Stellung gehen, keine bewaffneten Kinder, Orte von
Bombenattentaten und Demonstrationszüge.
Stattdessen verweisen unscheinbare Spuren auf den eigentlichen Konflikt.
Verblassende Wahlkampfplakate, ein Militärhubschrauber am Horizont,
Farbschlieren auf der Fahrbahn und der Union Jack in einer Baumkrone
verweisen auf die Komplexität der Verhältnisse, die nur fragmentarisch zu
erfassen ist. In der saftig grünen Landschaft wirken die Details wie
Fremdkörper. Paul Graham spricht von vergifteter Schönheit.
Noch weiter von der auf Eindeutigkeit abzielenden Dokumentarfotografie
entfernen sich die Werkkomplexe "New Europe" und "Empty Heaven". Auf seinen
Reisen durch Europa und Japan beobachtete Graham das zeitliche
Nebeneinander von kommerzialisiertem Freizeitverhalten und dem Umgang mit
geschichtlichem Erbe. Ganz in der Gegenwart verortet ist hingegen die Serie
"American Nights", die den Betrachter formal wie inhaltlich mit
gesellschaftlichen Ungleichheiten konfrontiert. Die Fotografien von
vereinzelten Schwarzen in städtischen Randzonen sind extrem überbelichtet,
sodass die Motive fast zu verschwinden drohen. In dieser Helligkeit wird
das Elend der Menschen im Wortsinne transparent. Auf die Gegenüberstellung
von Weißbilder und farbgesättigten Aufnahmen von schmucken Vorstadthäusern
einerseits und Porträts unterprivilegierter Schwarzer andererseits hätte
Graham durchaus verzichten können. Die Aussage ist eindeutig. Doch nicht
zuletzt seine experimentelle Lust an der Entwicklung neuer ästhetischer
Ansätze und Präsentationsformen macht Paul Graham zu einem der bedeutenden
Fotografen der Gegenwart.
6 Feb 2009
## AUTOREN
Markus Weckesser
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