# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Entwicklungshilfe zum Selbermachen | |
> Die Rücküberweisungen von afrikanischen Migranten in ihre Heimatländer | |
> nehmen zu und wecken allerorten Begehrlichkeiten. Ein Bericht über | |
> gierige Banken und neue entwicklungspolitische Strategien. | |
Bild: Transferunternehmen, wie die US-Bank Western Union verdienen bestens am G… | |
Weltweit überweisen jährlich etwa 200 Millionen Migranten mehr als | |
umgerechnet 190 Milliarden Euro in ihre Heimatländer. Und 12,5 Milliarden | |
transferieren Arbeitsmigranten aus Afrika (1), deren Rücküberweisungen seit | |
Beginn des 21. Jahrhunderts um 55 Prozent gestiegen sind. "Für seine | |
Entwicklung braucht Afrika aber viel dringender Humankapital als | |
Finanzkapital", sagt der Wirtschaftswissenschaftler Ravinder Rena vom | |
Eritrea Institute of Technology: "Wenn wir nicht umdenken, wird Afrika arm | |
bleiben. Und das viele Geld aus aller Welt wird nicht viel geholfen haben." | |
(2) | |
Besonderes Interesse wecken die Milliarden, die nach Afrika fließen, bei | |
der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und westlichen | |
Regierungen. So sind laut den Ergebnissen verschiedener Studien(3) die | |
Rücküberweisungen, die in manchen afrikanischen Ländern das Sieben- bis | |
Achtfache der öffentlichen Entwicklungshilfe (APD) ausmachen, eine | |
verlässlichere und stabilere Einnahmequelle als die Entwicklungshilfe oder | |
die Investitionen der Privatwirtschaft. Tatsächlich speist sich zum | |
Beispiel auf den Kapverden ein Viertel des Wirtschaftsaufkommens aus den | |
Überweisungen der Migranten. Die Nationalbank von Ghana schätzt, dass diese | |
Gelder etwa einem Fünftel des nationalen Exportvolumens entsprechen. Und in | |
Lesotho kommen 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus | |
Rücküberweisungen, die im benachbarten Südafrika erwirtschaftet werden, dem | |
wichtigsten Zielland der innerafrikanischen Migration. | |
In Nigeria, dem Land, das alle Stärken und Schwächen des Kontinents in sich | |
zu vereinen scheint, ist das Phänomen besonders augenfällig: Jeder fünfte | |
afrikanische Migrant kommt aus Nigeria. Diese Auswanderer haben bereits ein | |
Netz von Handels- und Geschäftsbeziehungen geschaffen, das sich von São | |
Paulo nach Houston, von London nach Dubai und Atlanta und von Neu-Delhi | |
nach Hamburg spannt. Schätzungsweise 17 Milliarden Euro haben Nigerianer in | |
den vergangenen zehn Jahren aus dem Ausland an ihre Familien überwiesen, | |
laut Weltbank knapp 2 Milliarden Euro allein im Jahr 2007.(4) Etwa 30 | |
Prozent der Überweisungen, die die auf derartige Transfers spezialisierte | |
US-Bank Western Union im südlichen Afrika abwickelt, gehen nach Nigeria. | |
Die nigerianische First Bank, Geschäftspartner von Western Union, unterhält | |
im ganzen Land mehr als 200 Geschäftsstellen, bei denen vorwiegend | |
Auslandsüberweisungen eingehen: "Das ist mit Abstand der wichtigste | |
Geschäftszweig unserer Bank", erklärt Filialleiter Bola Adebanjo. "Hier | |
herrscht von morgens bis abends Hochbetrieb." | |
Satte Gewinne erhoffen sich inzwischen auch andere nigerianische Banken | |
durch die Partnerschaft mit Geldtransferunternehmen. So arbeitet die United | |
Bank of Africa seit 2007 mit dem US-Finanzdienstleister MoneyGram zusammen. | |
"Nigeria sollte eine Vorreiterrolle spielen in der Einbindung seiner im | |
Ausland lebenden Bürger", meint der frühere US-Botschafter in Nigeria, | |
Howard Jeter. "Deren finanzielles, intellektuelles und technologisches | |
Potenzial ist von unschätzbarem Wert. Afrika müsste all diese Ressourcen | |
nutzen: für die Entwicklungspolitik, die Ernährungssicherheit, die | |
Bekämpfung von Umweltzerstörung und Aids."(5 ) | |
Man ahnt, was gemeint ist: Wer, wenn nicht die Migranten, könnte zu Hause | |
am besten helfen? Doch der Westen tut alles, um die Migranten möglichst | |
fest in die internationalen Geldkreisläufe einzubinden, weil es ihm einfach | |
darum geht, "die Entwicklungsländer ihre Entwicklung selbst bezahlen zu | |
lassen"(6) - und dabei auch noch Prozente einzustreichen. | |
Eine von der Afrikanischen Entwicklungsbank (AfDB) und vom französischen | |
Wirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Studie(7) vom Januar 2008 hat | |
vier afrikanische Länder untersucht, die mit Frankreich historisch und | |
migrationsbedingt eng verbunden sind. Im Senegal, in Mali und auf den | |
Komoren wurden insgesamt 2 000 Haushalte befragt: Im Jahr 2005 wurden in | |
den Senegal 449 Millionen Euro rücküberwiesen (19 Prozent des BIP und 218 | |
Prozent der öffentlichen Entwicklungshilfe), in Mali waren es 295 Millionen | |
(11 Prozent des BIP und 79 Prozent der Entwicklungshilfe) und auf den | |
Komoren 70 Millionen (24 Prozent des BIP und 364 Prozent der | |
Entwicklungshilfe). Das Monatseinkommen der von diesen Überweisungen | |
unterstützten Haushalte lag jeweils über dem nationalen Durchschnitt. Die | |
betreffenden Haushalte konnten in Marokko mit diesem Geld mehr als die | |
Hälfte ihre Einkommens decken, in Mali waren es zwei Drittel und in Senegal | |
und auf den Komoren etwas weniger als die Hälfte. | |
Wirken sich diese Gelder tatsächlich auf die gesamte Volkswirtschaft aus, | |
wie die Werbebroschüren der Western Union vorgaukeln? Dem widerspricht | |
Jean-Pierre Garson, Migrationsexperte bei der Organisation für | |
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD): "Eindeutige | |
Auswirkungen auf die Entwicklung sind nicht feststellbar, zumal die | |
Emigration für diese Länder zunächst einen Verlust an Arbeitskräften | |
bedeutet." Zweifellos helfen die Geldtransfers einigen Familien, doch sie | |
schaffen zugleich neue Abhängigkeiten. Und nur ein sehr geringer Teil des | |
Geldes generiert neue Einkommen: "Die Überweisungen tragen nicht zur | |
Entwicklung bei, weil sie nicht investiert werden. Das Geld wird zumeist | |
nicht für produktive Zwecke, sondern für Reisen, Schuldentilgung, Miete, | |
Landerwerb und Ähnliches verwendet, manche horten es auch oder stecken es | |
in Prestigeobjekte, mit denen sie dann protzen können", erklärt Ravinder | |
Rena.(8) | |
Von den Überweisungen aus dem Ausland gehen mehr als drei Viertel für | |
Lebensmittel drauf. Was übrig bleibt, wird in ein weiteres Grundbedürfnis, | |
nämlich das Wohnen investiert. In Ghana kam eine interdisziplinäre | |
Forschergruppe zu dem Befund, dass das Geld von Migranten zur | |
Bodenspekulation beiträgt: "Die Preise für Wohneigentum steigen und für die | |
Ortsansässigen und ärmeren Leute bleiben weniger Angebote übrig. [] Schon | |
weil die Migranten in bar zahlen und höhere Preise akzeptieren, verkaufen | |
die Grundeigentümer lieber an sie als an Leute, die schon dort leben."(9) | |
Die neue französische Entwicklungs- und Migrationspolitik verfolgt | |
vornehmlich ein Ziel: Steuerung der Migrationsströme durch | |
"Co-développement". Die Überweisungen der Migranten sollen in nachhaltige | |
Investitionsvorhaben fließen, wie zum Beispiel in Projekte im Bildungs- und | |
im Gesundheitswesen sowie in Unternehmensgründungen, die potenziell | |
Ausreisewillige dazu bewegen können, in Afrika zu bleiben. | |
Auf dieser Grundlage bieten französische Sparkassen allen Migranten mit | |
einer Aufenthaltserlaubnis spezielle "Co-développement-Sparkonten" an. Wer | |
den eingezahlten Betrag für eine Investition in seinem Herkunftsland | |
einsetzt - ob für die Gründung oder Übernahme einer Firma, einen | |
Mikrokredit oder die Finanzierung einer gewerblichen Immobilie - bekommt | |
eine Steuererleichterung von 25 Prozent. Ein weiteres Angebot besteht in | |
der Einrichtung eines "Co-développement-Sparbuchs", das Migranten eine | |
Sonderprämie zubilligt, wenn sie ihr Erspartes für Investitionszwecke | |
einsetzen. | |
Manch einer hat längst begriffen, worum es bei diesen politisch-korrekten | |
Maßnahmen eigentlich geht. In seinem Blog auf der Website Soninkara(10) | |
mokiert sich Armand Adotevi, ein Wirtschaftsanwalt aus Benin, über die | |
billigen Tricks der Pariser Strategen: "Kaum hat der Meister gemerkt, dass | |
hier eine Menge Geld abzuzweigen ist, mit dem man zum Wohle der | |
französischen Wirtschaft kurz- und langfristig auf den internationalen | |
Finanzmärkten wuchern kann, versucht er dem Schüler auch schon | |
nahezubringen, das komme auch ihm und seinem Heimatland zugute. Dabei zieht | |
er alle Register der Bauernfängerei: Von Steuererleichterungen ist die | |
Rede, von Verdopplung und Verdreifachung der Zinsen auf Sparguthaben. Doch | |
kein Wort davon, dass er selbst nur eine Gelegenheit ergreift, um sich aus | |
seinen Verpflichtungen zur Entwicklungshilfe herauszuwinden. Hat man jemals | |
davon gehört, dass afrikanische Regierungen Europäern, ob als private oder | |
juristische Person, Vorschriften machten, wie sie die nach Hause | |
transferierten Gewinne aus afrikanischen Geschäften anlegen sollen?" | |
Tatsächlich sorgen diese Steuerungsinstrumente nur dafür, dass die | |
Ungleichheiten in den internationalen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen | |
bestehen bleiben. Und sie liefern dem Westen den Vorwand, sich aus der | |
Verantwortung zu stehlen, die lästige Entwicklungshilfe loszuwerden und sie | |
denen aufzubürden, die an der Unterentwicklung leiden. Das Geld der | |
Migranten kann aber die Armut nur lindern, aus der Welt schaffen wird es | |
sie nicht. | |
Fußnoten: | |
(1) Siehe dazu Dilip Ratha und Zhimei Xu, "Migration and Remittances | |
Factbook 2008", Washington D. C. (The World Bank) 2008; sowie: "Immer der | |
Arbeit nach. Migration im Zeitalter der Globalisierung", Edition Le Monde | |
diplomatique, Heft 4, Berlin, 2008. | |
(2) Ravinder Rena, "Brain drain and brain gain in Africa", Africa Economic | |
Analysis, 23. Januar 2008. | |
(3) Hinweise dazu auf [1][www.remittances.eu] (Website der 2006 in Den Haag | |
gegründeten Foundation for International Migration and Development). | |
(4) Dilip Ratha und Zhimei Xu, siehe Anmerkung 1. | |
(5) Zitiert nach Gumissai Mutume, "L'importance de canaliser les transfers | |
de fonds", [2][afrik.com], 18. Mai 2006. | |
(6) Johnson Mbengue, "Comment intégrer les immigrés dans le circuit | |
bancaire", "Walf Fadjri, Dakar, Juli 2004. | |
(7) Banque Africaine de Developpement, "Les transferts de fonds des | |
migrants, un enjeu de développement", Tunis, Oktober 2007, siehe | |
[3][www.co-developpement.org/?p=445]. | |
(8) Siehe Ravinder Rena, siehe Anmerkung 2. | |
(9) Siehe Kaakyre Kwame Appiah, "Pour un nouveau cosmopolitisme", Paris | |
(Odile Jacob) 2008. | |
(10) Siehe [4][www. soninkara.com]. | |
Aus dem Französischen von Edgar Peinelt | |
Le Monde diplomatique Nr. 8786 vom 16.1.2009 | |
6 Feb 2009 | |
## LINKS | |
[1] http://www.remittances.eu/ | |
[2] http://afrik.com/ | |
[3] http://www.co-developpement.org/?p=445 | |
[4] http://www.soninkara.com/ | |
## AUTOREN | |
A.-C. Robert | |
J.-C. Servant | |
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