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# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Gaza und keine Hoffnung
> Israels letzter Krieg gegen die Hamas in Gaza rückt die Aussicht auf eine
> Lösung des Nahost-Konflikts in weite Ferne. Überlegungen eines besorgten
> Historikers aus Israel.
Bild: Im heutigen Gaza spricht David Arabisch.
Golda Meir pflegte zu sagen, sie hasse die Araber, weil sie die Israelis
dazu brächten, sie zu hassen.(1) Der jüngste Angriff Israels auf den
Gazastreifen scheint nicht nur derselben Selbstgerechtigkeit zu
entspringen, sondern auch demselben hasserfüllten Pessimismus. Golda Meir
glaubte nie an einen Frieden mit den Arabern. Und die meisten Israelis von
heute haben diesen Glauben auch nicht mehr.
Der Militärschlag gegen Gaza war eine erwartete und quasi unvermeidbare
Operation. Das Timing schien perfekt. Von der Hamas aus dem Gazastreifen
abgefeuerte Raketen schlugen in Städten im Süden Israels ein. Die
Öffentlichkeit drängte die Regierung zum Handeln, während die für Anfang
Februar angesetzten Parlamentswahlen näher rückten. Israel konnte die
letzten Tage der Bush-Regierung ausnutzen, die Nachweihnachtszeit dämpfte
das Interesse der internationalen Gemeinschaft, und der klare Himmel über
Gaza ermöglichte pausenlose Luftangriffe.
Die genauen Ziele der Operation waren recht vage definiert. Aber Israel
ging fest davon aus, dass man den Palästinensern, wie schon so oft, eine
harte Lehre erteilen würde. Seit es die zionistische Bewegung gibt, bildet
sie sich ein, Gerechtigkeit, Fortschritt und aufgeklärte Vernunft zu
verkörpern, während die Araber nur ein primitiver und gewalttätiger Haufen
seien. Man musste also den Arabern das wahre Wesen des zionistischen Traums
begreiflich machen sowie vor allem die unbeirrbare Entschlossenheit und
Kraft der Israelis, diesen auch wahrzumachen.
Sogenannte Arabisten der zionistischen Organisation und später der
israelischen Regierung versuchten rastlos und immer wieder, "gemäßigte"
Kräfte in der arabischen Welt zu unterstützen und insbesondere die
Palästinenser dazu zu bringen, ihre nationalen Bestrebungen aufzugeben. Da
man dieses Konzept mittels Versprechungen und Drohungen, Bestechung und
Erpressung verfolgte, sprach man von einer
"Zuckerbrot-und-Peitsche-Politik".
In dieser ganzen langen Zeit gab es etliche Palästinenser, die sich von
Israel bestechen ließen, aber nur wenige lieferten dafür die erwartete
"Mäßigung". Die israelische Seite wiederum ging immer wieder repressiv
gegen die palästinensische Zivilbevölkerung vor und erwartete gleichwohl,
dass diese gegen ihre Führung rebelliert und sie durch "gemäßigtere" Kräfte
ersetzt. Diese Politik hat nie funktioniert. Sie ist auch in Gaza
gescheitert.
Als die Hamas-Leute 2007 nach einem kurzen, heftigen Kampf mit ihren
säkularen Rivalen von der Fatah die Macht im Gazastreifen übernahmen,
verhängte Israel eine Blockade. Damit trieb sie 1,5 Millionen Palästinenser
an den Rand einer humanitären Katastrophe und zerstörte für eine ganze
Generation die Chancen auf ein lebenswertes Leben. Die Hamas wurde dadurch
nur gestärkt.
Um es klar zu sagen: Israelische Städte mit Raketen anzugreifen, ist
genauso grausam wie ein Angriff auf Gaza. Und Israel hat wie jedes andere
Land der Welt die Pflicht, seine Bürger zu verteidigen. Die unmittelbare
Verantwortung für die jüngsten Ereignisse liegt im Grunde in Kairo, denn
erst die Korruption und Unfähigkeit der ägyptischen Seite machte es der
Hamas möglich, ihre Raketen nach Gaza zu schmuggeln.
Die Hamas ist freilich nicht nur eine terroristische Organisation, sondern
auch eine nationale und religiöse Bewegung, die eine Mehrheit der Menschen
im Gazastreifen hinter sich hat. Der Versuch Israels, diese Bewegung
wegzubomben, hatte wenig Aussicht auf Erfolg. Drei Wochen nach dem Beginn
der israelischen Militäroperationen war die Hamas angeschlagen, aber nicht
am Ende.
Trotz schrecklicher Verluste an Menschenleben - darunter ganze Familien und
hunderte von Kindern - kapitulierte die Hamas nicht. Das hat die Zahl der
Opfer natürlich erhöht, zugleich aber wahrscheinlich zur Entstehung eines
Mythos vom heldenhaften Widerstand beigetragen.
Tatsächlich kann die Hamas heute einen Großteil der historischen Mythologie
Israels für sich reklamieren, bis hin zum Mythos des Kampfes der Wenigen
gegen die Vielen, der Schwachen gegen die Starken, von David gegen Goliath.
Im heutigen Gaza spricht David Arabisch.
Der jüngste israelische Angriff auf Gaza hat wieder einmal hunderte
Reporter aus aller Welt in die Region gebracht. Viele von ihnen fragen
sich, warum sich Israelis und Palästinenser nicht einfach dazu durchringen,
das Land aufzuteilen. Tatsächlich unterstützt die israelische Führung eine
Zweistaatenlösung, die in Israel früher nur die extreme Linke befürwortet
hat. Und die Führung der Palästinenser, wenn auch nicht die Hamas, hat sich
entschlossen, diese Lösung zu akzeptieren. Dem Anschein nach müssen nur
noch die Details eines entsprechenden Abkommens ausgearbeitet werden.
Doch das Problem ist leider viel komplizierter. Denn der Konflikt geht
nicht nur um Land und Wasser und gegenseitige Anerkennung. Er geht auch um
die nationale Identität. Israelis wie Palästinenser definieren sich über
das "Heilige Land" - und zwar das ganze. Jeder territoriale Kompromiss
würde beide Seiten zwingen, einen Teil ihrer Identität aufzugeben.
Im Rückblick wird man den jüngsten Gewaltausbruch höchstwahrscheinlich als
weiteren Schritt auf dem langen Marsch in den Wahnsinn wahrnehmen, der 1967
begonnen hat. Kurz nach dem Sechstagekrieg erwog die israelische Regierung
die Möglichkeit, hunderttausende Palästinenser aus dem Gazastreifen ins
weniger als drei Autostunden entfernte Westjordanland umzusiedeln. Wäre es
damals so gekommen, wäre die heutige Situation womöglich weit weniger
unauflösbar.
Aber die Pläne blieben in der Schublade, weil einige der mächtigsten Leute
in der israelischen Regierung, darunter Menachem Begin und Mosche Dajan,
das gesamte Westjordanland exklusiv für jüdische Siedlungen reservieren
wollten. Dies war wahrscheinlich der schwerste Fehler in der Geschichte des
Landes. Da heute fast 300 000 Israelis im Westjordanland und weitere 200
000 im vormals arabischen Teil von Jerusalem leben, ist es nahezu unmöglich
geworden, beiderseits akzeptable Grenzen zu ziehen und einen Frieden zu
erreichen.
Aber das Riesenproblem, dass die Israelis zum Abzug aus dem Westjordanland
und zur Teilung Jerusalems bereit sein müssen, ist nicht das einzige. Es
gibt auch die Forderung der anderen Seite nach dem "Recht auf Rückkehr" in
das heutige Israel, und zwar für alle palästinensischen Flüchtlinge, die
während der Kämpfe von 1948/49 aus ihrer Heimat geflohen sind oder
vertrieben wurden. Viele von ihnen und ihre Nachkommen leben heute im
Gazastreifen.
Zudem wurde dieser irrationale Konflikt in den letzten Jahren mit dem
Aufstieg der Hamas und der wachsenden Militanz einiger jüdischer
Siedlergruppen zunehmend religiös aufgeladen. Das machte eine Lösung noch
schwieriger. Für islamische wie für jüdische Fundamentalisten ist der
Anspruch auf das Land zum Bestandteil ihres Glaubens geworden, und dieser
Glaube zählt für sie mehr als Menschenleben.
Was bedeutet das? Während viele Menschen in Israel wie in Europa und
anderen Teilen der Welt müßige moralistische Diskussionen über die Frage
führen, welche Seite recht und welche unrecht hat, haben immer mehr
Israelis aufgehört, an den Frieden zu glauben. Sie wissen, dass Israel ohne
Frieden womöglich nicht überleben kann, aber mit jedem Krieg haben sie ein
Stück von ihrem Optimismus eingebüßt. Das gilt auch für mich.
Ich gehöre zu der Generation von Israelis, die an den Frieden geglaubt hat.
Am Ende des Sechstagekriegs von 1967 war ich 23 und hatte keinen Zweifel,
dass vierzig Jahre später der israelisch-arabische Krieg zu Ende sein
würde. Heute glaube ich nicht mehr an eine Lösung des Konflikts. Die
Positionen beider Seiten sind inzwischen einfach zu weit auseinander.
Wohl aber glaube ich an ein besseres Konfliktmanagement - wozu auch
Gespräche mit der Hamas gehören. Die meisten Regierungen verkünden, sie
würden nie mit terroristischen Organisationen verhandeln, aber am Ende tun
sie es dann doch. Wir hatten eine ähnliche Erfahrung. Vor vielen Jahren
weigerte sich Israel, mit der PLO Jassir Arafats zu sprechen. Und
israelische Friedensaktivisten, die es taten, wanderten dafür ins
Gefängnis. Doch am Ende sahen wir 1993 den Handschlag zwischen Arafat,
Ministerpräsident Jitzhak Rabin und Außenminister Schimon Peres vor dem
Weißen Haus in Washington.
Die sogenannten Oslo-Vereinbarungen zwischen Israel und den Palästinensern
sind in erster Linie deshalb gescheitert, weil man sie zum Eckstein einer
dauerhaften Friedensregelung machen wollte, statt auf ihrer Basis
schrittweise ein konkretes Problem nach dem anderen zu lösen. Unter George
W. Bush wurde eine weitere diplomatische Fiktion geboren: der sogenannte
Friedensprozess. Nach dieser "Roadmap" zum Frieden hätte der
israelisch-palästinensische Konflikt spätestens Ende 2008 gelöst sein
sollen.
In Wirklichkeit hat es einen solchen "Prozess" gar nicht gegeben.
Stattdessen ging die Unterdrückung der Palästinenser verschärft weiter,
selbst nachdem Israel 2005 mehrere tausend Siedler aus dem Gazastreifen
zurückgeholt hatte. Dafür wurden nur noch mehr Siedlungen im Westjordanland
hochgezogen.
Viele Israelis setzen jetzt große Hoffnungen auf Barack Obama, einen
erklärten Freund Israels. Die neue Regierung in Washington könnte
nützlicher und erfolgreicher als die alte sein, wenn sie sich auf den
Versuch beschränken würde, den Konflikt beherrschbar zu machen. Sie sollte
sich also auf ein begrenztes, aber sehr dringliches Ziel konzentrieren: das
Leben für Israelis wie für Palästinenser erträglicher zu machen.
(1) Golda Meir (1898-1978) war eine zentrale Figur der Mapai, der späteren
Arbeitspartei, und Ministerpräsidentin Israels von 1969 bis 1974, also auch
während des Jom-Kippur-Kriegs von 1973.
Aus dem Englischen von Niels Kadritzke
[1][www.monde-diplomatique.de]
11 Feb 2009
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## AUTOREN
Tom Segev
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