# taz.de -- Debatte Papst: Der Gott der Vernunft | |
> Dafür, dass er an den Piusbrüdern fest hält, muss man Papst Benedikt XVI. | |
> kritisieren. Die rustikal-naive Bibelkritik des Theologen Gerd Lüdemann | |
> hilft da jedoch nicht weiter. | |
Bild: Papst Franziskus legt sich wieder mit dem Kapitalismus an. | |
Nach zahlreichen Protesten hat Papst Benedikt XVI. es jetzt abgelehnt, den | |
Reaktionär Gerhard Maria Wagner zum Weihbischof von Linz zu ernennen. Er | |
hat sich ja schon genug in die Nesseln gesetzt, als er die Exkommunikation | |
von vier Bischöfen aufheben ließ. Die Debatte drehte sich vor allem um | |
Bischof Richard Williamson, der die Vernichtung der Juden bezweifelt. Die | |
grundsätzliche Auseinandersetzung mit der "Priesterbruderschaft St.Pius | |
X.", 1970 von Bischof Marcel Lefebvre gegründet, geriet dahinter etwas aus | |
dem Blick. | |
Franz Schmidberger ist Statthalter der Bruderschaft in Deutschland und | |
wurde schon 2005 vom Papst empfangen. Zusammen mit den ebenfalls 1988 | |
exkommunizierten Bischöfen Bernard Fellay und Bernard Tissier de Mallerais | |
gehört er zu den Einpeitschern der Bruderschaft. Alle drei orientieren sich | |
am Erbe des 1991 verstorbenen Lefebvres, der "die Idole des modernen | |
Menschen: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Demokratie" und das Zweite | |
Vatikanische Konzil (1962-65) schroff ablehnte. Die Aufklärung bezeichnete | |
Tissier de Mallerais noch 2006 als "Krankheit", ein integraler Bestandteil | |
der Lehren der Bruderschaft ist ihr kategorisches Nein zur Anerkennung des | |
Judentums. Diese wurde 1965 in der Enzyklika "Nostra Aetate" | |
festgeschrieben: "Obgleich die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern | |
auf den Tod Christi gedrungen haben, kann man dennoch nicht die Ereignisse | |
seines Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den | |
heutigen Juden zur Last legen." Damit wurden die Juden von der Jahrhunderte | |
währenden, pauschalen Stigmatisierung als "Christusmörder" befreit. Die | |
Piusbrüder haben diese Befreiung nie akzeptiert. Franz Schmidberger meinte | |
noch im Oktober 2008, "die Juden unserer Tage sind nicht nur nicht unsere | |
älteren Brüder im Glauben", sondern "mitschuldig" am Kreuzestod Christi, | |
solange sie sich nicht taufen lassen. | |
Wie die Fundamentalisten aller Religionen hängen auch die Piusbrüder am | |
Wortlaut der Schrift. Im neuen Testament gibt es Stellen, in denen die | |
Juden pauschal für die Kreuzigung verantwortlich gemacht werden, obwohl | |
auch unter den frühen Christen viele jüdischer Herkunft waren - wie Jesus | |
selbst. Papst Benedikt leistete der wörtlichen Lesart der Bibel im März | |
letzten Jahres insofern Vorschub, als er die Karfreitagsliturgie | |
revidierte. Von 1570 bis 1959 war darin von "treulosen Juden" die Rede. Die | |
Revision von 2008 macht das nicht gerade rückgängig. Sie formuliert den | |
Text aber so trickreich, dass heutige Juden sich nur als missionsbedürftige | |
Gläubige - "Brüder" minderen Ranges - betrachten müssen. | |
Mit dem Festhalten am Wortlaut der Bibel bedienen die Piusbrüder alte | |
antijudaische und antisemitische Ressentiments. Dies wird in ihren | |
Publikationen deutlich, und dafür muß man sie kritisieren. Fragt sich nur, | |
wie. Schließlich gibt es zweierlei Religionskritik - eine intellektuell | |
anspruchsvolle und eine selbstgerecht-grobianische. Der anspruchsvollen | |
Religionskritik in der Zeit der Aufklärung ging es weder um eine Verdammung | |
noch um eine Beschimpfung der Religionen - sondern darum, eine Grenze | |
zwischen Glauben und Wissen zu ziehen, also Wissen vor religiösen | |
Übergriffen abzusichern und gleichzeitig dem "Glauben Platz" (Kant) zu | |
lassen. Die Bedeutung und den Stellenwert der Religionen dagegen bestritt | |
diese Religionskritik nicht. Sie hätte mit einem solchen Beweisgang ihre | |
auf Erfahrung und verallgemeinerbare Moralgesetze gestützte | |
Selbstbegrenzung überschritten. | |
Der evangelisch-lutherische Theologieprofessor Gerd Lüdemann ist zwar | |
Kirchenmitglied, kämpft aber mit seinen Büchern ("Der Große Betrug" 1998, | |
"Jesus nach 2000 Jahren" 1999, "Im Würgegriff der Kirche" 1998) gegen die | |
Offenbarungsreligion und für "die Freiheit der theologischen Wissenschaft". | |
Das ist sein gutes Recht in einer Gesellschaft, in der Meinungs- und | |
Religionsfreiheit herrschen. Doch die Art, wie Lüdemann kritisiert, weist | |
ihn als intellektuell grobschlächtigen Religionskritiker und | |
Zwillingsbruder der katholischen Fundamentalisten aus. Denn wie diese, | |
liest auch er die Bibel wörtlich - freilich nicht, um ihr beizustimmen, | |
sondern um sie "wissenschaftlich" zu widerlegen. Vom Podest der | |
historisch-kritischen Bibelkritik herab sieht er das Neue Testament "stark | |
von Antijudaismus geprägt", weil er die Bibel wie eine historische Quelle | |
liest - oder wie ein Koranschüler den Koran - und nicht wie eine durch und | |
durch vom Glauben geprägte Sammlung von Geschichten, Legenden und | |
Gleichnissen. Solche rustikal-naive Bibelkritik, die sich zu Unrecht | |
"historisch-kritisch" nennt, übernimmt sich und fällt in einen | |
Selbstwiderspruch, wenn sie dekretiert: "Die ganze frühchristliche Lehre | |
steht auf tönernen Füßen. Sie wurzelt in Glauben an die Auferstehung. Diese | |
hat aber nie stattgefunden." Da fragen sich weniger Eifernde und | |
aufgeklärte Nicht-Gläubige nur, woher Lüdemann das so genau weiß. Glauben | |
darf er seinen Satz allemal. Aber er war so wenig "Augenzeuge" wie die | |
Evangelisten, denen er genau das vorwirft. | |
Geradezu grotesk ist Lüdemanns Verständnis von Geschichte überhaupt und | |
Religionsgeschichte im Besonderen. Er wirft dem Gott des Alten wie jenem | |
des Neuen Testaments und dem des Koran ernsthaft vor, sie würden nicht "die | |
Werte unseres freiheitlich-demokratischen Staates" teilen. Mit solcher | |
Boulevard-Rhetorik ließe sich auch Johann Sebastian Bachs bibeltreue | |
"Matthäuspassion" im Handstreich als "antisemitisch" denunzieren. Die | |
Artikulation von Religionen ist keine Verfassungs- und keine Gesinnungs-, | |
sondern eine Glaubensfrage. Vom Recht tangiert sind Religionen nur | |
insofern, dass sie niemandem etwas zumuten dürfen, was der Rechtsordnung | |
widerspricht - zum Beispiel die Beschneidung von Mädchen. | |
Religiöser Fundamentalismus und Vernunftfundamentalismus sind zwei Seiten | |
einer Medaille. Die eine Seite destilliert aus religiösen Schriften | |
granitene Glaubenssätze für ewige Zeiten, während die andere die Potentiale | |
von Aufklärung und Vernunft überdehnt. | |
Papst Benedikt XIV. kennt sich in beiden Fundamentalismen aus. In seiner | |
Regensburger Rede von 2006 zitierte er einen byzantinischen Kaiser mit dem | |
Satz, der Prophet Mohammed habe an Neuem "nur Schlechtes und Inhumanes" in | |
die Welt gebracht. Der Skandal war jedoch nicht dieser Glaubenssatz, | |
sondern die These des Papstes, nur das Christentum bürge für eine "Einheit" | |
von Glauben und Vernunft. Nicht-Christen sind demnach genuin vernunftlose | |
Fanatiker oder Gläubige zweiter Klasse. | |
Mit der Behauptung solcher "Einheit" desavouierte Ratzinger Glauben und | |
Vernunft wie Lüdemann. Letzerer karikiert kritische, sich ihrer Grenzen | |
bewusste Vernunft als "theologische Wissenschaft", wenn er das Ende "der | |
christlichen Offenbarungsreligion" glaubt beweisen zu können. Derlei ginge | |
als münchhausische Kapriole zur Selbstrettung durch, wenn sie nicht so | |
abgestanden und selbstgerecht daherkäme. | |
16 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
## TAGS | |
Papst | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Papst Franziskus legt Öko-Enzyklika vor: Befreiungstheologie in Grün | |
In einer bislang unautorisierten Enzyklika „Laudato Si“ fordert der Papst | |
eine „ökologische Bekehrung“, mehr Rechte für Arme und das Ende von Kohle | |
und Öl. |