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# taz.de -- US-Satireblatt "The Onion": Unter der Haut
> "The Onion", das weltweit größte Satiremagazin, legt die Schwächen von
> Politikern und sozialen Probleme der USA offen. Doch auch sie muss sich
> auf die Post-Bush-Ära einstelllen.
Bild: So viel Humor wie "The Onion" steckt nicht in jeder Zwiebel...
"Endlich ist der lang anhaltende Albtraum von Frieden und Wohlstand
vorbei". Diese vermeintliche Antrittsrede hat die Satirezeitschrift The
Onion George W. Bush im Jahr 2001 in den Mund gelegt, ohne zu wissen, wie
recht sie damit behalten sollte. Denn der Artikel war geradezu prophetisch:
Die Redakteure ließen Bush darin mindestens einen Golf-Krieg beginnen
("Warum haben wir denn sonst eine Armee?"), die Wirtschaft in eine tiefe
Rezession rutschen und Arm und Reich noch weiter auseinander driften.
Angesichts der bitteren Realität, in die sich dieser Witz heute verwandelt
hat, könnte einem das Lachen im Hals stecken bleiben. Dennoch hatte die
Präsidentschaft von George W. Bush auch positive Auswirkungen: Sie
bescherte dem Magazin einen ungeahnten Aufschwung. Gerade in Zeiten des
"embedded journalism" entpuppte sich die Satire als das probateste Mittel,
Kritik an den bestehenden Verhältnissen zu äußern. Das bewusste
Überschreiten von Grenzen macht es möglich, Themen auf eine Weise
anzusprechen, wie es sich keine der seriösen Nachrichtenstationen trauen
würde. The Onion ist daher viel mehr als reiner Klamauk, sie ist vor allem
als scharfe Sozialkritik zu verstehen.
Dies sehen auch die Amerikaner so, wie die Verkaufszahlen belegen: Mit rund
700.000 verkauften Exemplaren ist The Onion das größte Satiremagazin der
Welt. Was als Gag zweier Studenten vor rund 20 Jahren begann, ist heute ein
professionell geführtes Medienunternehmen mit Büros in zehn amerikanischen
Großstädten.
Den Durchbruch brachte vor allem das Internet, das mittlerweile bedeutend
wichtiger als die Druckausgabe ist. Über 5 Millionen Seitenaufrufe zählen
die Macher jeden Monat. Auf www.theonion.com sind nicht nur sämtliche
Artikel der Printausgabe archiviert, es werden auch eigens Radiobeiträge
und Videos produziert. Von einer solchen Reichweite kann die deutsche
Titanic, obwohl sie gut zehn Jahre älter ist und den gleichen Prinzipien
folgt, nur träumen. Im TV-vernarrten Amerika hat Satire, vor allem dank der
erfolgreichen Abendshows von Jon Stewart und Conan O'Brien, eine breitere
Akzeptanz, wovon auch The Onion profitiert.
Die 2007 erstmals ausgestrahlte Nachrichtensendung "Onion News Network"
berichtet in einem seriösen Stil über frei erfundene Ereignisse. Unter den
populärsten Beiträgen findet sich ein Enthüllungsstück, wonach die USA
jahrelang Entwicklungshilfe an Andorra gezahlt haben sollen, im Irrglauben
es handele sich um ein armes afrikanisches Land - eine Parodie auf die
Weltfremdheit der Amerikaner, von denen ein Viertel das eigene Land nicht
auf einer Weltkarte verorten kann.
Die Idee dahinter ist simpel: Nachrichten werden in ein seriöses Äußeres
verpackt, das sich bewusst an bekannten Marken orientiert. Die Printausgabe
ahmt die konservative Tageszeitung USA Today nach, das "Onion News Network"
orientiert sich an CNN. Wenn Moderator Brandon Armstrong einen Beitrag über
Kim Jong Ils Pläne ankündigt, den Mond mit Rakten nach Nordkorea zu holen,
um die amerikanische Flagge zu entfernen, dann geschieht dies mit einer
Ernsthaftigkeit, das es dem unbedarften Zuschauer schwerfällt, die Sendung
als Satire zu entlarven. Die Studiokulisse, die Jingles und das Auftreten
des Moderators sind bewusst bei MSNBC oder Fox News abgekupfert.
Verwechselungen mit ernsthaften News-Beiträgen sind deshalb nicht selten -
und auch genauso gewollt.
Die chinesische Zeitung Beijing Evening News berichtete nahm einen
Onion-Beitrag ernsthaft darüber, dass der US-Congress gedroht habe,
Washington zu verlassen, wenn kein neues Kapitol mit abnehmbarem Dach
gebaut würde. Hintergrund des Gags waren die Umzugs-Drohungen großer
US-Sportvereine, um so den Bau größerer Stadien auf Staatskosten zu
erzwingen. "Es sind die schönsten Momente, wenn wir ernsthafte Kommentare
über falsche Meldungen lesen", erklärt die Onion-Managerin Julie Smith.
Das zweite Element der Berichterstattung bilden Schlagzeilen über John Doe,
den amerikanischen Otto-Normalverbraucher, der gern auch mal ein bisschen
paranoid ist. Mit Meldungen wie "Teenager in der Nachbarschaft führt etwas
im Schilde" werden Sensationsreportagen der Boulevardpresse aufs Korn
genommen.
Die Absicht dahinter ist klar: die Menschen auf eine humorvolle Weise mit
der bitteren Realität konfrontieren und sie so zum Nachdenken anregen. In
Zeiten, in denen die Leute in den Abendnachrichten mit
Katastrophenmeldungen überschüttet werden, ist die Satire nicht nur einen
Möglichkeit, der schlechten Welt da draußen für einen Moment zu entfliehen.
Sie bietet vor allem einen Zugang zu gesellschaftlichen Problemen, der sich
leicht erschließt.
Denn im elitären Bildungssystem der USA wird nicht jeder Bürger mit den
Voraussetzungen ausgestattet, die gesellschaftlichen Debatten und die
Strukturen der Machtausübung zu verstehen. The Onion bietet so auch einen
demokratischeren Zugang zur Nachrichtenwelt. Denn wo keine Satire erlaubt
ist, ist es auch um die Demokratie schlecht bestellt. Nur ein geringer Teil
der Bevölkerung versteht die Problematik der hire-and-fire Personalpolitik
großer Konzerne; die Meldung "Vorstandsvorsitzender entlässt 5.000
Angestellte um Freundin zu beeindrucken" dagegen führt einem die Absurdität
des Themas sofort vor Augen.
Dabei kennt The Onion kaum Tabus: Ob Abtreibung, Magersucht oder Amokläufe,
kein Thema verbietet sich für eine Parodie. Mit der Schlagzeile über die
Anschläge vom 11. September, "Holy Fucking Shit - Attack on America",
verpassten die Macher nur knapp die Nominierung für den Pulitzer-Preis, wie
ein Jury-Mitglied später zugab.
Wegen ihrer Schonungslosigkeit hat The Onion regelmäßig Rechtsstreit mit
Politikern und Wirtschaftsvertretern. Unter anderem erhob das Weiße Haus
unter George Bush persönlich Anklage: In einer ausgedachten Videobotschaft
hatten die Redakteure illegalerweise das Siegel des US-Präsidenten benutzt,
worüber der Texaner anscheinend gar nicht lachen konnte.
Nun sind die fetten Jahre der Satire unter George W. Bush vorbei. Der neue
Präsident Barack Obama steht den Machern der Zeitschrift näher und wird
hoffentlich weniger Anlass für Parodien bieten. Es bleibt also abzuwarten,
wie The Onion mit dem neuen Mann im Weißen Haus umgehen wird. Erste Artikel
lassen eine Richtung erahnen: Bei der Amtseinführung soll in Zukunft neben
dem Eidschwur auch eine Tanzperformance mit Hip-Hop-Elementen verpflichtend
sein. Und die ersten Schwarzen beschweren sich schon über die penetrante
Freundlichkeit, mit der sie sich nun rumschlagen müssen.
17 Feb 2009
## AUTOREN
Alexander Steininger
## TAGS
Verschwörungsideologie
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