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# taz.de -- Ehemalige Heimkinder: "Viele von uns sind gescheitert"
> Ein runder Tisch tagt zum ersten Mal zum Schicksal ehemaliger Heimkinder.
> Die Betroffenen fordern finanzielle Entschädigungen für ihr Leiden.
Bild: Die frühere Bundestags-Vizepräsidentin Antje Vollmer leitet das erste T…
BERLIN taz Ehemalige Heimkinder haben bei einem runden Tisch im Bundestag
am Dienstag über ihr Schicksal berichtet. "Die Erzieher übten Macht und
Gewalt über uns aus", erzählte die heute 59-jährige Sonja Djurovic
sichtlich bewegt. Sie lebte von 1964 bis 1969 in kirchlichen
Erziehungsanstalten. "Wir wurden dem Leben immer mehr entfremdet, unserer
Jugend beraubt. Wir wurden auf das Leben draußen nicht vorbereitet, viele
von uns sind gescheitert."
Der runde Tisch zur Heimerziehung in den 50er- und 60er-Jahren traf sich
gestern zum ersten Mal. Die frühere Bundestags-Vizepräsidentin Antje
Vollmer (Grüne) leitet die Expertenrunde, die das Schicksal der mehr als
einer halben Million Betroffenen aufarbeiten soll.
In die bundesweit 3.000 Heime wurden in den frühen Jahren der
Bundesrepublik Kinder und Jugendliche oftmals aufgrund von Bagatellen
eingewiesen. Sie mussten in Werkstätten oder Großwäschereien der
Trägervereine schwerste Arbeiten verrichten, wurden vielfach misshandelt
und sexuell missbraucht.
"Wir sind hier nicht als Bittsteller, sondern verlangen eine angemessene
finanzielle Entschädigung, als Wiedergutmachung für das erlebte Unrecht",
forderte Djurovic. Ob es Entschädigungszahlungen geben wird, ist noch
unklar. "Wir werden alles prüfen, können nichts garantieren, schließen aber
auch nichts aus", sagte Vollmer. Sie wies darauf hin, dass nach Prüfung des
Petitionsausschusses bislang keine der geltenden gesetzlichen Regelungen
eine Entschädigung rechtfertige. Ziel des Tisches sei es, eine Lösung im
Konsens zu finden. Zunächst müssten die Betroffenen angehört, die
Verantwortlichkeiten der Geschehnisse geklärt werden, sagte Vollmer. "Warum
hat es damals einen gesellschaftlichen Konsens zum Ausschluss von
Jugendlichen gegeben?"
In der Runde sitzen neben Mitgliedern des Verbandes ehemaliger Heimkinder,
politischen Vertretern von Bund und Ländern auch Vertreter von
evangelischer und katholischer Kirche, in deren Trägerschaft sich die
meisten Heime befanden. "Wir bedauern zutiefst, dass auch in Diakonischen
Heimen Kindern und Jugendlichen in der damaligen Zeit schweres Leid
widerfahren ist", sagte Hans Ulrich Anke von der Evangelischen Kirche in
Deutschland. Ähnlich äußerte sich Johannes Stücker-Brüning von der
Deutschen Bischofskonferenz. Zur Bereitschaft der Kirchen, Entschädigungen
zu zahlen, machten sie keine Aussage. Für Hans-Siegfried Wiegand, der als
uneheliches Kind gleich nach seiner Geburt ins Heim kam, sind die
Entschuldigungen von Kirchenseite ein erster Schritt. Nur wenn all jene,
die Verantwortung getragen haben, Scham empfinden, "nur dann kann dieser
runde Tisch zu einem guten Ergebnis kommen", sagte er.
Dessen Organisation übernimmt die Arbeitsgemeinschaft Kinder- und
Jugendhilfe. Mit dieser Entscheidung wurde ein wochenlanger Streit zwischen
der Bundesregierung und dem Verein ehemaliger Heimkinder beigelegt. Das
Familienministerium hatte den "Deutschen Verein für öffentliche und private
Fürsorge" benennen wollen, dem die Betroffenen Verstrickungen mit der
Heimerziehung der NS- und der Nachkriegszeit vorwerfen. Der runde Tisch
wurde auf Initiative des Petitionsausschusses im November 2008
eingerichtet. Er soll bis Ende 2010 alle zwei Monate tagen.
17 Feb 2009
## AUTOREN
Anna Corves
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