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# taz.de -- Berlin und seine Partyszene: Der Easyjetset fliegt auf diese Stadt
> Jedes Wochenende kommen Techno-Touristen nach Berlin, um in den Clubs zu
> feiern. Wie die Billigflieger die Ausgehkultur umwälzen und warum ohne
> sie jeder dritte Laden schließen müsste.
Bild: Spanier, Italiener oder Deutsche? Mit Easyjet können alle ins Partymekka…
Ein Flugzeug als Taxi - das treffendste Sinnbild für die Kultur des
Easyjetraves kommt nicht von der Firma Easyjet selbst, sondern von der
Konkurrenz. Alle Maschinen der Germania, der Billigflugtochter der
Hapag-Lloyd, sind gelb angemalt und haben einen Schachbrettstreifen an der
Seite: eine Referenz an die New Yorker Yellow Cabs. Eine Weile machte
Germania auch mit seinen "Taxitarifen" Werbung.
Mit dem Taxi in eine andere Stadt - was vor zehn Jahren noch reichen
Exzentrikern vorbehalten war, ist heute europäische Normalität. Wer
rechtzeitig bucht, kann vielleicht nicht zum Taxitarif, aber doch für
deutlich weniger als 100 Euro von einer Stadt in die andere fliegen - am
Freitag hin, am Montag zurück. Es ist aber vor allem deshalb ein so
treffendes Bild, weil das Taxi das bevorzugte Transportmittel all
derjenigen ist, die zum Feiern fahren. Wer es so richtig krachen lassen
will, lässt Auto und Fahrrad zu Hause. Genauso ist der Easyjetset
entstanden: Jedes Wochenende fliegen Tausende mit dem Taxi nach Berlin,
weil man hier feiern kann wie in keiner anderen europäischen Metropole.
Der Easyjetraver ist das bestimmende Subjekt der europäischen Ausgehkultur
der Nullerjahre. Er kam, ohne sich groß anzukündigen, und hat sich zu einer
der wichtigsten subkulturellen Figuren der Gegenwart entwickelt. Seine
Bedeutung ist enorm. Er hat die europäische Clubgeografie gründlich
durcheinandergebracht. Und in Anbetracht seiner enormen Wirkung ist es
höchst erstaunlich, dass der Easyjetraver das Zufallskind zweier
Entwicklungen ist, die im Grunde nichts miteinander zu tun haben: der
Liberalisierung des europäischen Luftverkehrs und des Entstehens der
Billigfluglinien auf der einen Seite und des ökonomischen Ruins der Stadt
Berlin auf der anderen.
Ersteres entwertete das Fliegen: Es ist nicht länger ein teurer Luxus,
sondern ein preiswertes Massenvergnügen, übers Wochenende in europäische
Metropolen zu jetten; Städtetourismus ist zum Massenphänomen geworden,
dafür ist der Service nicht besser als in der zweiten Klasse eines ICE. Der
wirtschaftliche Einbruch Berlins ist das traurige Ergebnis einer allzu
optimistischen Rechnung aus den frühen Neunzigern. Damals wurden für die
künftige Hauptstadt Entwicklungsparameter festgelegt, die in wenigen Jahren
eine florierende Weltstadt hervorbringen sollten.
Nichts davon traf ein. Die Folge: Berlin, eine Stadt, in der dreieinhalb
Millionen Menschen leben, die aber für rund fünf Millionen Einwohner
ausgelegt ist, wuchs nicht etwa, sondern schrumpfte. Mit der Konsequenz,
dass die Brachflächen und ungenutzten Gebäude in zentraler Lage erhalten
blieben. Und eine Partyszene, die in den Neunzigern gelernt hatte, wie man
aus diesen Gelegenheiten temporäre Clubs und Partys macht, gab es ja schon.
Die Berliner Flughafengesellschaft machte aus der ökonomischen Not eine
Tugend. Die Berliner Flughäfen Tegel und Schönefeld sind zwar kein
wichtiges Drehkreuz im internationalen Luftverkehr, anders als Frankfurt
und München etwa. Die Flughafenbetreiber sorgen aber seit einigen Jahren
dafür, dass die Airlines, die hier landen, öfter als anderswo
Billig-Airlines sind. Dass die beiden Berliner Airports zusammen den
drittgrößten deutschen Flughafen bilden, wenn man es an der Zahl der
Fluggäste misst, liegt schlicht daran, dass überdurchschnittlich viel
Billigflieger hier landen. Air Berlin hat einen großen Schalter in Tegel,
Tausende von Menschen steuern ihn täglich an.
Doch wichtiger als Tegel ist der Flughafen Schönefeld, der in den
vergangenen Jahren ein erstaunliches Wachstum verzeichnen konnte: von knapp
1,7 Millionen Fluggästen im Jahr 2003 auf 6,3 Millionen Fluggäste im Jahr
2007. Und 80 Prozent dieser Fluggäste kommen mit einem Billigflieger.
Easyjet hat einen riesigen Schalter in Schönefeld. Im Sommer 2008 gab die
Fluglinie stolz bekannt, im Monat Juli zum ersten Mal rund die Hälfte aller
Passagiere abgefertigt zu haben, die in Schönefeld landeten - rund 330.000
Menschen. Natürlich gibt es keine Statistiken, wie viele davon zum Ausgehen
nach Berlin kommen. Aber mit einer Zahl von 10.000 Billigfluggästen in
Berliner Clubs pro Wochenende dürfte man nicht so falsch liegen.
Die Folgen sind gewaltig. Man stelle sich vor einem beliebigen Berliner
Club an einem beliebigen Abend in die Schlange: Gut die Hälfte der Leute,
die mit einem warten, sind aus dem Ausland. Man hört Englisch, Französisch,
Italienisch, Spanisch. Die Leute sind für das Wochenende nach Berlin
geflogen, um auszugehen. Man kann sich mit jedem Berliner Clubmacher
unterhalten - mehr oder weniger offen geben alle zu, dass ohne die
Easyjetraver jeder dritte Laden schließen müsste.
Es ist falsch, sich den Easyjetset als eigene, womöglich gar homogene
Subkultur vorzustellen. Er ist einfach eine Teilmenge der Subkulturen, die
House und Techno hervorgebracht haben - lauter Leute von irgendwoher, die
die Musik lieben. Und wenn man die Fluggäste beobachtet, die am brüllend
orangefarbenen Easyjetschalter am Flughafen Schönefeld in die Empfangshalle
strömen, sieht man nichts, woran man die Menschen erkennen könnte, die man
später auf der Tanzfläche wiedertreffen wird.
Die Easyjetraver sind Leute wie Anna, eine dänische Studentin Anfang
zwanzig. Ich treffe sie vor der Tür des Plattenladens Rotation am
Weinbergsweg. Anna steht vor der Tür und raucht eine Zigarette, während ihr
Freund sich im Laden ein paar Platten anhört. Sie hat sich die T-Shirts
angeschaut, die im Eingang des Ladens hängen, dann eine Weile auf dem Sofa
gesessen und gewartet. Ihr ist langweilig.
Ich frage sie, ob sie Lust hat, einen Kaffee zu trinken, sie sagt ihrem
Freund Bescheid, und wir gehen in ein Café auf der anderen Straßenseite. Es
ist ein Freitagnachmittag im September, sie sind am Donnerstagabend aus
Kopenhagen gekommen. Zu viert, sie und ihr Freund und noch zwei Freunde.
Sie wohnen in einer Wohnung, die Eltern von Freunden in Kreuzberg gekauft
haben. Sie ist das erste Mal in Berlin. Was sie für Erwartungen an die
Stadt hat, kann sie nicht so richtig beantworten. Sie sei neugierig, sagt
sie.
Am Sonntag treffe ich sie noch einmal, auf der Kastanienallee. Es ist
Nachmittag, und sie kommen gerade vom Flohmarkt. Am Freitag seien sie und
ihre Freunde ins Watergate gegangen, was sie "great" fand, und dort bis zum
frühen Morgen geblieben. Am Samstag wollten sie ins Berghain, aber da war
die Schlange an der Tür zu lang, also sind sie zur Bar 25, aber dort kamen
sie nicht rein, also sind sie noch einmal ins Watergate. Danach saßen sie
noch eine Weile an der Spree.
Auch Michele aus Mailand könnte man als Easyjetraver bezeichnen. Mit ihm
komme ich in der Schlange vor dem Berghain ins Gespräch. Er ist Ende
zwanzig und nicht zum ersten Mal in Berlin. Seit ein paar Jahren, sagt er,
komme er regelmäßig, immer nur für ein paar Tage, um dann ziemlich
ausgiebig auszugehen. Er liebt den Berliner Minimal-Sound, vor allem das
Label Perlon hat es ihm angetan.
Später treffe ich ihn noch mal an der Bar, und er erzählt, dass er
eigentlich im Sommer für ein paar Wochen nach Berlin kommen wollte, es
ergab sich dann aber leider doch nicht, wegen eines Jobs musste er in
Italien bleiben. Er ist Softwareprogrammierer und arbeitet projektgebunden,
hat also sehr intensive Arbeits- und Abgabephasen, die sich mit etwas
lockeren Perioden abwechseln, die er nutzt, um nach Berlin zu kommen - es
muss aber nicht Berlin sein, er fahre auch in andere Städte.
Der Easyjetset besteht aus Menschen wie dem Techno-DJ aus Avignon, der alle
paar Monate nach Berlin fliegt, weil er das Gefühl hat, dass die Clubs hier
einen anderen Spirit atmen und er sich diesem Zustand regelmäßig aussetzen
muss, um nicht die Orientierung zu verlieren (oder so ähnlich, wir waren im
Watergate an der Bar und alles andere als nüchtern). Oder den zwei
Schweizern, die in der Bar 25 unbedingt Drogen kaufen wollen oder zumindest
welche tauschen und die aus Zürich eingeflogen sind. Tausende Easyjetraver
bevölkern die Clubs der Stadt, jeder mit seiner eigenen Geschichte. Jeder,
der in Europa lebt und House und Techno liebt, ist irgendwann in den
letzten Jahren einmal nach Berlin gekommen. Jeder.
Nun hätte es die ganze europäische Ravekultur, wie sie sich in den
Neunzigern entwickelte, ohne Tourismus niemals gegeben. Acid House, der
Soundtrack des "Summer of Love" von 1987, mag musikalisch ein Import aus
Chicago gewesen sein. Aber die Kulturtechniken, die daraus eine riesige
Sause machten, entwickelten britische DJs, als sie den Sommer in Ibiza
verbrachten. Von dort nahmen sie diese mit zurück nach England.
Tatsächlich beschränkt sich auch der heutige Ravetourismus nicht auf die
Gäste der Clubs und Freunde dieser Musik. Die Billigfliegerei hat auch die
Jobbeschreibung des DJs verändert. Wer in den Neunzigern überall in Europa
gebucht werden wollte, der musste schon einen sehr großen Namen haben.
Anders waren die Kosten gar nicht zu decken, wenn man für einen Abend in
einen Club eingeflogen werden wollte. Wer kein großer Star war, spielte in
den Clubs, die man mit dem Auto oder der Bahn erreichen konnte.
Das hat sich heute gründlich verändert. Auch für Clubbetreiber, die DJs
buchen, die um die 500 Euro pro Auftritt bekommen, sich also in der breiten
ökonomischen Mittelschicht der DJ-Welt bewegen, lohnt es sich, die Künstler
einzufliegen. Früher hätten sie geschaut, wer aus der eigenen Stadt oder
Region zu haben ist. Heute schaut man, wen man in Europa kriegen will - die
Flugkosten machen nur einen kleinen Teil der laufenden Kosten aus.
Das hat Konsequenzen. Wenn es nämlich so einfach und billig ist, in Europa
herumzufliegen, wird der eigene Wohnort weniger wichtig für die eigenen
Bookings. Man muss nicht mehr dort wohnen, wo man spielt. Was bedeutet,
dass viele DJs sich erlauben können, nach Berlin zu ziehen, auch wenn sie
ihr Geld mit Auftritten woanders verdienen. Die Szene, die in den
Neunzigern weltweit noch mehrere Zentren hatte und sich auf Städte wie
Chicago, New York, London, Manchester, Sheffield, Paris, Frankfurt und Köln
verteilte, konzentriert sich mittlerweile sehr stark auf Berlin.
Sicher spielen auch der Zusammenbruch der amerikanischen Raveszene und der
kulturelle Konservativismus der Bush-Jahre eine Rolle dabei, dass so viele
US-Amerikaner nach Berlin übersiedelten. Aber es sind ja nicht nur
Amerikaner. Auch aus ganz Europa sind Techno-Aktivisten nach Berlin
gezogen. Und wer nicht hierhergezogen ist, hat zumindest ein Zimmer hier.
Denn in Berlin lebt es sich nicht nur billig, man kommt auch billig hin.
Und wieder weg.
20 Feb 2009
## AUTOREN
Tobias Rapp
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