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# taz.de -- Sicherheitskonzept zum Nato-Gipfel: Vorbild Heiligendamm
> Bundeswehreinsatz, Hausarrest für AnwohnerInnen, Aussetzung des
> Schengen-Abkommens: Die Sicherheitsbehörden bereiten sich auf den
> Nato-Gipfel in Baden-Baden vor.
Bild: Vorbild für den Nato-Gipfel: Polizeieinsatz in Heiligendamm 2007.
Das Land Baden-Württemberg rüstet sich für den größten Polizeieinsatz
seiner Geschichte. Anlass ist der Jubiläumsgipfel zum 60. Geburtstag der
Nato, der am 3. und 4. April in Baden-Baden, Kehl und auf französischer
Seite in Straßburg stattfinden soll. Allein die Polizei auf der deutschen
Seite rüstet sich mit 14.000 BeamtInnen. Beim G8-Gipfel 2007 in
Heiligendamm waren es nur 2.000 mehr.
Ähnlich wie in Heiligendamm hat die Polizei eine Sondereinheit gegründet.
Sie heißt: Besondere Aufbauorganisation (BAO) "Atlantik". Für eine Fläche
von 250 Kilometern in der Länge und 50 Kilometern in der Breite soll sie
zuständig sein. Ohnehin haben die baden-württembergischen
Sicherheitsbehörden den Einsatz in Heiligendamm zum Vorbild genommen. Bei
einer Innenausschusssitzung des Landtags in Stuttgart Anfang Januar hatten
sich die ParlamentarierInnen explizit mit den "Lehren befasst, die aus den
Polizeieinsätzen während des Weltwirtschaftsgipfels G8 in Heiligendamm
gezogen werden können", heißt es in einem Schreiben des Landtags.
Hunderte Schwerverletzte zuviel
"Der Gesamteinsatz der Polizei für den Nato-Gipfel fußt auf
Falschmeldungen", kritisieren hingegen die GegnerInnen des Gipfels. Es sei
im Ausschuss behauptet worden, dass es in Heiligendamm damals 500
schwerverletzte PolizistInnnen gegeben habe. Dabei handelte es sich jedoch
um eine gezielte Desinformation der Polizei, wie inzwischen bekannt ist.
Auf Grundlage dieser Felinformationen hat das Bundesverfassungsgericht
bereits in Heiligendamm Demonstrationsverbote gerechtfertigt, beklagen die
Nato-Gipfelgegner. Nun würden die Behörden mit derselben Begründung neue
Verschärfungen durchsetzen.
Streit zwischen den Behörden und den Protestierenden gibt es auch über die
zugelassene Größe der vorgesehenen Protestcamps. Eine Evaluation des
Polizeieinsatzes von 2007 hatte ergeben, dass Camps mit 10.000 bis 15.000
Personen nicht geduldet werden dürften, weil sonst rechtsfreie Räume
entstünden, sagte der Vorsitzende des Innenausschuses im
baden-württembergischen Landtag, Hans Georg Junginger (SPD) zur taz. "Es
ist selbstverständlich, dass das Gewaltmonopol des Staates durchgesetzt
werden muss."
Nachdem Innenminister Heribert Rech (CDU) zunächst angedroht hatte, die
Camps auf deutscher Seite gänzlich zu untersagen und die Stadt Kehl 10.000
Euro Platzmiete verlangte, haben sich die GipfelgegnerInnen von der Idee
eines Camps auf deutscher Seite verabschiedet. Es wird nun ein zentrales
Camp in Straßburg geben.
Hausarrest für Kehler BürgerInnen
Die Stadt Kehl soll während der Gipfeltage von der Polizei in mehrere Zonen
eingeteilt werden, für die unterschiedliche Bestimmungen gelten. Besonders
hart trifft es die BewohnerInnen der so genannten "Gelben Zone": "Wer sein
Grundstück verlässt, muss sich zuvor mit der Polizei in Verbindung setzen",
sagte Reinhart Renter, Polizeichef des Ortenaukreises. "Dann wird er von
einem Beamten permanent begleitet." Betroffen sind rund 700 Menschen.
„Das nennt man gemeinhin Sippenhaft, so als ob sich unter den untadeligen
Kehler Bürgern der gefürchtete Terrorist verbirgt", kommentierte dies der
innenpolitische Sprecher der baden-württembergischen Grünen, Uli Sckerl.
Für Baden-Baden ist ein ähnliches Konzept geplant.
Auch die BewohnerInnen von Straßburg werden mit Einschränkungen zu rechnen
haben. 110 Kindergärten, Grundschulen und Kindertagesstätten werden während
des Gipfels geschlossen bleiben, ebenso U-Bahnstationen und Parkhäuser. Am
4. April darf sich in der Altstadt nur aufhalten, wer dort wohnt und dies
mit einem Ausweis belegen kann.
Bundeswehr im Einsatz
Die Bundeswehr wird wie auch in Heiligendamm erneut die Polizei bei ihrer
Arbeit unterstützen. Das geht aus einer Antwort des
Bundesverteidigungsministeriums auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten
Ulla Jelpke (Die Linke) hervor. Vier Amtshilfeersuchen liegen dem
Ministerium demnach vor, darunter eines um Unterstützung bei der
Gewährleistung der Sicherheit im Luftraum.
Gerade für den Einsatz der Armee in der Luft gab es in Heiligendamm scharfe
Kritik. Die Kampfflugzeuge wurden dafür genutzt, Luftaufnahmen der
Protestcamps anzufertigen. "Innenminister Schäuble hat die
G-8-Demonstrationen genutzt, um die Bevölkerung weiter daran zu gewöhnen,
dass man immer mehr mit dem Militär im Inneren arbeitet", kommentierte
damals der FDP-Innenexperte Max Stadler.
Schengen außer Kraft
Besondere Brisanz erhält das Schengen-Abkommen bei den Gipfelprotesten,
weil diese in zwei verschiedenen Staaten stattfinden. Durch das Abkommen
sind Grenzkontrollen zwischen den Mitgliedsstaaten, zu denen auch
Deutschland und Frankreich gehören, eigentlich abgeschafft worden.
Anlässlich großer Demonstrationen wurde es aber in der Vergangenheit
mehrfach außer Kraft gesetzt. Bürgerrechtsgruppen befürchten nun,
Protestierenden könnte der Grenzübertritt verweigert werden.
„Es wäre in unserem Interesse, wenn es Grenzkontrollen geben würde“, sagte
eine Sprecherin des baden-württembergischen Innenministeriums der taz. Eine
Aufhebung des Abkommens müsse jedoch vom Bundesinnenministerium beantragt
werden, was bislang noch nicht geschehen ist. Ausschließen konnte ein
Ministeriumssprecher dies auf Anfrage aber nicht. „Auf der Grundlage der
Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden werden an den Grenzen lageangepasste
Maßnahmen getroffen werden“, hieß es weiter aus dem Ministerium.
Gewappnet für Festgenommene
Das Landesinnenministerium gab unterdessen an, bis zu 500 Festgenommene in
nahe gelegenen Gefängnissen und Polizeidienststellen unterbringen zu
können. Weiterhin werde geprüft, ob es „mobile Haftzellen“ in Containern
geben könne, sagte Innenminister Rech. „Wenn die schwer bewaffnet ankommen,
dann sperre ich die weg für die Zeit. Da bin ich auch nicht zimperlich",
kündigte der Minister in der Badischen Zeitung an.
Hanne Jobst vom Protestbündnis Gipfelsoli kennt das aus Heiligendamm: „Über
1.700 Demonstranten wurden in Gewahrsam genommen, meist wegen
fadenscheinigen Begründungen, etwa weil nicht der Gehweg benutzt wurde.“ Zu
Verurteilungen kam es jedoch kaum, es fehlte die Rechtsgrundlage: „Die
meisten Verfahren wurden eingestellt”, sagt Jobst.
Ob hieraus auch Lehren für den Einsatz in Baden-Württemberg gezogen wurden,
wird der Polizeieinsatz zeigen müssen. „In Heiligendamm hat die Polizei zu
einer Strategie tendiert, Menschen an der Ausübung ihres
Demonstrationsrechts zu hindern“, sagte der Rechtsanwalt Peer Stolle vom
Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein der taz. Dass sich dies
grundlegend geändert hat, ist bislang nicht ersichtlich.
25 Feb 2009
## AUTOREN
Benjamin Laufer
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