# taz.de -- Debatte Islamischer Unterricht: Streiten muss sein | |
> In Österreich zeigt sich, was man bei der Integration des Islam alles | |
> falsch machen kann. Daraus lassen sich Lehren für den islamischen | |
> Religionsunterricht in Deutschland ziehen. | |
Wenn in den vergangenen Jahren über islamischen Religionsunterricht in | |
Deutschland diskutiert wurde, dann verwiesen dessen Verfechter immer wieder | |
auf Österreich als Vorbild: Dort, so hieß es, sei man dem Islam durchweg | |
positiver gesonnen als in Deutschland. Dort ist der Islam den Kirchen in | |
allen Belangen gleichgestellt, und an den Schulen gebe es daher schon lange | |
einen islamischen Religionsunterricht, der vorbildlich sei und landesweit | |
erteilt werde. Mit derart lobenden Tönen dürfte nun jedoch Schluss sein. | |
Denn Österreich erlebt seit Wochen und unter großer Anteilnahme der Medien | |
einen Skandal, in dessen Mittelpunkt der islamische Religionsunterricht | |
steht. | |
Ausgelöst hat ihn eine Studie des Islamwissenschaftlers Mouhanad | |
Khorchidee, die über muslimische Religionslehrer in Österreich alarmierende | |
Fakten präsentierte. Nicht nur, dass mehr als 70 Prozent der befragten | |
Fachkräfte über keinerlei pädagogische oder theologische Ausbildung | |
verfügte. Ein gutes Fünftel (21,9 Prozent) lehnten die Demokratie ab, weil | |
sie sich angeblich nicht mit dem Islam vereinbaren lasse. Fast genauso | |
viele (18,2 Prozent) zeigten Verständnis dafür, dass "Muslime, die vom | |
Islam abgefallen sind, mit dem Tod bestraft würden", und fast ein Drittel | |
sah einen Widerspruch "zwischen Muslimsein und Europäersein". | |
Große Teile der österreichischen Öffentlichkeit zeigten sich schockiert | |
über derlei Ansichten. Es hagelte Kritik - vor allem an die Adresse der | |
"Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich", die den Islamunterricht | |
in personeller und inhaltlicher Hinsicht zu verantworten hat. Der Verband | |
war wegen undemokratischer Gepflogenheiten und mangelnder Repräsentativität | |
schon früher mehrfach ins Gerede gekommen. Doch jetzt kochte die Woge der | |
Empörung so hoch, dass das österreichische Bildungsministerium die | |
Reißleine zog. | |
Zusammen mit der islamischen Religionsgemeinschaft, die kräftig unter Druck | |
geriet, wurde umgehend ein Fünf-Punkte-Paket auf den Weg gebracht, das | |
helfen soll, die Missstände alsbald zu beheben. Bereits ab kommendem | |
Schuljahr gibt es für alle Islamlehrer neue Dienstverträge, in denen das | |
Bekenntnis zu Demokratie und Menschenrechten verbindlich festgeschrieben | |
werden. Darüber hinaus gibt es einen neuen Lehrplan sowie einen | |
wissenschaftlichen Beirat, der das eingesetzte Lehrmaterial überprüfen | |
soll; außerdem werden die Lehrkräfte künftig überprüft und kontrolliert. Ob | |
diese Maßnahmen, die viele noch für unzureichend halten, zum Erfolg führen | |
können, lässt sich noch nicht absehen. Man kann aber zum jetzigen Zeitpunkt | |
schon ein paar wichtige Lehren aus dem österreichischen Islamdebakel | |
ziehen. | |
Hierzulande wird häufig ins Feld geführt, eine Integration des Islam falle | |
schwer, weil komplizierte rechtliche Vorbehalte einer Anerkennung als | |
Religionsgemeinschaft im Wege stünden. Dass dieses Argument unzutreffend | |
ist, zeigt das Beispiel Österreich. Dort wird die islamische | |
Religionsgemeinschaft seit 1979 als Körperschaft öffentlichen Rechts | |
anerkannt und in allen Belangen den christlichen Religionsgemeinschaften | |
gleichgestellt. Die aus muslimischer Perspektive idealen rechtlichen | |
Gegebenheiten führten jedoch nicht dazu, dass sich eine islamische | |
Religionsgemeinschaft herausbildet hat, die die Muslime Österreichs in | |
ihrer ganzen Vielfalt vertritt. Im Gegenteil, die Geschicke der | |
"Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich" (IGGiÖ) werden gerade mal | |
von einem Prozent der Muslime Österreichs bestimmt. Die Zusammensetzung der | |
Entscheidungsgremien ist deshalb hoch umstritten, die Mehrheit der Muslime | |
fühlt sich von der IGGiÖ nicht vertreten. So bleiben sie, wie ihre | |
deutschen Glaubensbrüder und -schwestern, ohne offizielle Vertretung und | |
meiden auch mehrheitlich den an Schulen erteilen Religionsunterricht der | |
IGGiÖ - mit gutem Grund, wie man nun sieht. | |
Die "Islamische Glaubensgemeinschaft" und der österreichische Staat haben | |
vorgemacht, wie man einen islamischen Religionsunterricht auf keinen Fall | |
organisieren darf. Erstens sollte man keine Religionsgemeinschaft in die | |
Schulen lassen, die sich nicht auf zivilgesellschaftliche Mindeststandards | |
einlässt. Eine Organisation, deren Präsident in einem Schulbuch einen | |
"Märtyrer" mit Gewehr und Handgranate abgebildet ist, ist mit Sicherheit | |
kein guter Partner. Zweitens sollte man unbedingt darauf achten, nur | |
qualifiziertes Personal in die Schulen zu lassen. Die Tatsache, dass 70 | |
Prozent der Fachlehrkräfte keinerlei Examen in der Tasche haben, stellt für | |
sich genommen bereits einen Skandal dar. Drittens gilt: Bevor man | |
landesweit islamischen Religionsunterricht anbieten kann, braucht man eine | |
etablierte islamische Theologie und Religionspädagogik, die an heimischen | |
Universitäten gelehrt wird und den üblichen Standards entspricht. | |
Der größte Fehler war mit Sicherheit jedoch, dass die österreichische | |
Gesellschaft, insbesondere die verantwortliche Politik, den schulischen | |
Aktivitäten der IGGiÖ in den vergangenen zwei Dekaden faktisch keine | |
Aufmerksamkeit widmete: Man ließ sie einfach gewähren. So kam es, dass | |
muslimisches Lehrpersonal mit fragwürdigen Ansichten und Lehrmaterialien | |
ihren Dienst in öffentlichen Schulen versahen. Kritische Berichte, die | |
immer wieder zu vernehmen waren, wurden weitgehend ignoriert. Stattdessen | |
gab man sich der Illusion hin, dass in Österreich mit dem Islam alles zum | |
Besten bestellt sei. Mit Ignoranz lässt sich jedoch kein | |
Integrationsprozess erfolgreich gestalten. Schon seit den bahnbrechenden | |
Forschungsarbeiten des Soziologen Robert E. Park, der die berühmte | |
Chicagoer Schule begründete, wissen wir, dass zum erfolgreichen | |
Integrationsprozess auch der Konflikt gehört. Deshalb müssen sich | |
Zuwanderer und Aufnahmegesellschaft an divergierenden Vorstellungen | |
abarbeiten, um das verbindende Gemeinsame formulieren zu können. Dies gilt | |
gerade auch für die Debatte um den Islam in seinen vielfältigen | |
Ausdrucksformen. | |
Betrachtet man die schulische Integration des Islam unter diesem | |
Gesichtspunkt, dann ist es in Deutschland in den vergangen Jahren deutlich | |
besser gelaufen als in Österreich. Die Bildungspolitiker und | |
Schulverantwortlichen der Länder, vor allem in Nordrhein-Westfalen, haben | |
es bislang mit Augenmaß und großer Umsicht vermieden, beim islamischen | |
Religionsunterricht irreversible Fakten zu schaffen. Da die schwierige | |
Frage der muslimischen Ansprechpartner, die bei einem ordentlichen | |
Religionsunterricht mit einer erheblichen Machtfülle ausgestattet werden, | |
noch nicht befriedigend zu klären war, gibt es bislang nur Modellversuche, | |
die dafür ausgesprochen gut funktionieren. Man streitet sich noch mit den | |
muslimischen Verbänden - und das ist gut so. Denn nur die beharrlich | |
geführte Auseinandersetzung kann die Basis für eine verträgliche | |
Partnerschaft von Staat und Religionsgemeinschaft in einer werteplural | |
orientierten Gesellschaft schaffen. | |
26 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Michael Kiefer | |
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