# taz.de -- Haiders politisches Erbe: Die Angst, Farbe zu bekennen | |
> Am Sonntag sind Landtags- und Gemeinderatswahlen in Kärnten. Fünf Monate | |
> nach Haiders Unfalltod fällt es seinem Nachfolger schwer, gegen diesen | |
> Mythos anzukommen. | |
Bild: Aufpasser aus Kärnten. | |
Weit spannt sich die ehemalige Lippitzbachbrücke über die Drau, Kärntens | |
größten Fluss. Sie heißt jetzt Jörg-Haider-Brücke, und man passiert sie | |
unweigerlich, fährt man von der Autobahn Richtung Bleiburg. Bleiburg liegt | |
im Süden Österreichs und nahe der slowenischen Grenze. Vor der Ortseinfahrt | |
prangt auf orangefarbenem Grund das Versprechen: "Wir passen auf dein | |
Kärnten auf. Garantiert". Jeder weiß, wer der Adressat dieser Botschaft | |
ist: Jörg Haider, ehemaliger Chef des Bündnisses Zukunft Österreich (BZÖ), | |
der sein Auto am 11. Oktober 2008 schwer angetrunken in den Tod steuerte. | |
Sein Geist schwebt über dem Wahlkampf für die Landtags- und Gemeindewahlen | |
in Kärnten am 1. März. | |
Landeshauptmann Gerhard Dörfler ist einer der politischen Erben Haiders. Er | |
tritt im Gasthaus Schwarzl auf. BZÖ-Bürgermeisterkandidat Karl Peter Kuehs | |
und zwei Parteigenossen in knallorange Anoraks halten sich bereit, um die | |
ankommenden Gäste zu begrüßen. Man kennt sich. Die BZÖ-Sympathisanten sind | |
hier eine überschaubare Gruppe. Die meisten waren früher bei der FPÖ, | |
andere sind erst in den letzten Jahren durch Jörg Haider für die Politik | |
begeistert worden. So der 20-jährige Installateur Stefan Hangl, der von der | |
wirtschaftlichen Belebung des Unterkärntner Raums in den letzten Jahren | |
schwärmt. Er zählt die Projekte auf - von der Lippitzbachbrücke bis zu den | |
Investitionen in den Skitourismus -, muss aber zugeben, dass ohne | |
SPÖ-Bürgermeister Stefan Visotschnig nichts gelaufen wäre: "Der wird wohl | |
auch wiedergewählt". | |
Langsam füllen sich die sechs Tische, die rund um das Rednerpult mit dem | |
Mikrofon aufgestellt sind. Gerhard Dörfler, der mit zehn Minuten Verspätung | |
eintrifft, hat keine Mühe, alle vier Dutzend Anwesenden mit Handschlag zu | |
begrüßen. | |
Er sei im Jahr 2001 von Jörg Haider als Quereinsteiger in die Politik | |
geholt worden, sagt er. Sein erstes Projekt als Verkehrslandesrat war dann | |
der Bau der Lippitzbachbrücke, für die sich Haider eingesetzt hatte. 11 | |
Millionen Euro habe sie gekostet. Angesichts der Verdienste seines | |
Vorgängers sei es gerechtfertigt gewesen, die Brücke nach ihm zu benennen, | |
"dem größten Landeshauptmann Kärntens". Nur Spielverderber, wie der | |
SPÖ-Bürgermeister von Bleiburg, seien dagegen gewesen. Dieser "Stefan | |
Irgendwas", so Dörfler mit Verachtung in der Stimme, der hätte die | |
Zeremonie herabgewürdigt, weil er gemeint hätte, als Nächstes würde man der | |
Statue des heiligen Nepomuk den Kopf abreißen und durch einen Haider-Kopf | |
ersetzen: "Schämen soll er sich: so a Miesling". | |
Am meisten Applaus erntet Dörfler aber für sein Versprechen, keine weiteren | |
zweisprachigen Ortstafeln im gemischtsprachigen Gebiet aufzustellen. "Bei | |
die Tafalan bin i so stur wie a Kampfpanzer", versichert Dörfler den | |
Anwesenden. | |
Bleiburg oder auch Pliberk liegt in Unterkärnten, das nach dem Ersten | |
Weltkrieg dem neuen SAS-Staat, dem späteren Jugoslawien, zugesprochen | |
wurde. Erst nach einem mehrwöchigen Kampf und einer Volksabstimmung blieb | |
die Region bei Österreich. Hier ist die slowenische Volksgruppe mit über 25 | |
Prozent in manchen Ortsteilen stark vertreten. Ihr im Staatsvertrag von | |
1955 verfassungsgemäß verankertes Recht auf zweisprachige Beschilderung ist | |
aber vielen Kärntnern noch immer ein Dorn im Auge. Jörg Haider verstand es, | |
mit diesen Ressentiments jahrelang erfolgreich Politik zu machen. | |
Die Friseurin Eva Mairitsch, die blonden Haare lila gefärbt, wählt deswegen | |
BZÖ. Keine andere Partei, so die 24-Jährige, habe eine so klare Haltung zu | |
den Schildern. Denn: "Das mit den Ortstafeln muss nit sein. Die san so a | |
klane Gruppe, und da miass ma alle drunter leiden." Der Jörg Haider sei | |
toll gewesen, schwärmt sie. Er habe ihr einmal mit Leuchtstift ein | |
Autogramm auf die Hand gemalt. Gegen so viel Charisma kommen alle | |
Spekulationen über Haiders Homosexualität nicht an. | |
Dörfler, wiewohl fünf Jahre jünger, hat nicht das burschikose Auftreten und | |
noch viel weniger den schlitzohrigen Charme seines Vorgängers und Vorbilds | |
Haider. In seinem knalligen orangefarbenen Sakko sieht der biedere | |
weißhaarige Mittfünfziger aus, als wäre er auf der falschen Veranstaltung. | |
Mit seinen Themen aber beansprucht er Haiders Erbe. Stichwort: Saualm. | |
Auf der Saualm, nicht weit von Bleiburg, hatte Jörg Haider in einem | |
ehemaligen Jugendgästehaus auf 1.600 Meter Höhe eine "Sonderanstalt für | |
straffällige Asylanten" eingerichtet. Das war einer seiner letzten Streiche | |
auf dieser Erde, der Fans wie Gegner dieses Projekts gleichermaßen | |
beschäftigt hat. 17 Kilometer von der nächsten Ortschaft entfernt wurden | |
auf Geheiß des Landeshauptmanns in einem abgewohnten Gebäude an die 20 | |
Asylbewerber aus verschiedenen Ländern interniert. Konzentriertes | |
Unterbringen von Problemfällen "ist aus sozialtherapeutischer Sicht ein | |
ausgesprochener Unfug", sagt Angelika Hödl dazu. Hödl ist Leiterin des | |
Minderheitensenders Radio Agora und hat die Vorgeschichte der 14 zuletzt | |
auf der Saualm Internierten recherchiert. Sie kam zu dem Schluss, dass | |
gegen sechs von ihnen nicht einmal eine Anzeige vorlag. | |
"Der Rohr", schimpft nun Dörfler, nämlich Reinhart Rohr, Spitzenkandidat | |
der SPÖ, wolle die Saualm zusperren. Das sei ein Skandal. Dörfler kommt bei | |
dem Thema in Fahrt. Von einer Journalistin gefragt, ob er sich bei den | |
unbescholtenen Asylwerbern entschuldigen werde, lacht er bloß: "Haben sich | |
denn die anderen bei mir entschuldigt?" | |
Aus dem Publikum kommt Zustimmung: "Die haben eh zu viele Rechte, die | |
Ausländer!" Kärnten habe immer bewiesen, dass es "ein humanitäres Land" | |
ist, sagt Dörfler. Aber: "Drogendealer, Taschlzieher, Vergewaltiger und | |
anderes Gelichter" brauche man hier nicht. Afrikaner stehen für Dörfler | |
pauschal im Verdacht des Drogenhandels: "Bis zum Gurktal sind sie schon | |
tätig, die schwarzen Murkln". | |
Jener Reinhart Rohr, Spitzenkandidat der SPÖ für Kärnten, will über Saualm | |
und Ortstafeln am liebsten gar nicht reden. Er ist drauf und dran, den | |
Rivalen vom BZÖ in den Umfragen einzuholen, und will sich nicht die Finger | |
verbrennen: "Wenn das die zentralen Wahlthemen sein sollen, dann geht man | |
an den Interessen der Kärntnerinnen und Kärntner vorbei", sagt er in seinem | |
Büro in der Landesregierung. Lieber spricht er über die 27.000 | |
Arbeitslosen, die wieder Arbeit brauchen, oder über die ausufernde | |
Korruption der BZÖ-Funktionäre. | |
Im Kärntner Landtag wurden Untersuchungsausschüsse eingesetzt, die die | |
Veruntreuung von Millionensummen bei der Kärnten-Werbung, der | |
Wörtherseebühne oder einem Tsunami-Wiederaufbauprojekt in Banda Aceh prüfen | |
sollen. Überall waren Günstlinge Jörg Haiders beteiligt. Seit 2005 hat die | |
Landesregierung keinen Rechnungsabschluss mehr zustande gebracht. Rohr | |
dazu: "Wir wissen nicht, wo das Geld verbraucht worden ist. Das wird vom | |
Finanzreferenten unter Verschluss gehalten." | |
Kärnten, so beweist die Statistik, ist nach zehn Jahren Haider nicht nur | |
das rückständigste Bundesland, sondern auch das am meisten verschuldete. | |
Pro Kopf seien die Schulden 18-mal höher als in Kalifornien, schreibt das | |
Wirtschaftsmagazin Trend. | |
Den populistischen Tiraden Haiders waren die SPÖ-Politiker in der | |
Vergangenheit nicht gewachsen. Auch beim Ortstafelnstreit haben sie sich | |
nicht mit Ruhm bekleckert. Die sozialdemokratischen Bürgermeister bangen um | |
ihre Stimmen, wenn sie sich für die verfassungsgemäßen Rechte der | |
schrumpfenden slowenischen Minderheit starkmachen. | |
Auch Reinhart Rohr, der sich bemüht, seiner Partei ein moderneres Image zu | |
verpassen, vermeidet eine klare Ansage zu den Ortstafeln: "Das ist Sache | |
der Bundesregierung." In der Frage der Asylwerber steht er jedoch auf dem | |
Boden der Rechtsstaatlichkeit: "Die Unschuldsvermutung muss auch für | |
Ausländer gelten". | |
Der Mythos bröckelt | |
Rolf Holub, Chef und Spitzenkandidat der Kärntner Grünen, die es vor fünf | |
Jahren mit 6,8 Prozent erstmals in den Landtag geschafft haben, spricht | |
eine etwas deutlichere Sprache. Als ehemaliger Kabarettist kann er treffend | |
formulieren: "Wenn sich der Rechtsstaat nicht durchsetzen kann, gewöhnen | |
sich die Leute daran." SPÖ und ÖVP wollten "aus Angst, Wähler zu verlieren, | |
nicht Farbe bekennen". | |
Ähnlich sieht es Klaus Ottomeyer, Professor für Sozialpsychologie an der | |
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, der dem Phänomen Haider schon mehrere | |
Bücher gewidmet hat. Er ist persönlich betroffen, weil Haider schon mehrere | |
Flüchtlinge, die bei ihm in Therapie waren, in andere Bundesländer | |
abgeschoben hat. | |
Wenige Kilometer südlich von Klagenfurt, an der Straße, die in Haiders | |
Bärental und über den Loibl-Pass nach Slowenien führt, brennen ein paar | |
Grablichter am Straßenrand. Die Stelle, an der Jörg Haider am 11. Oktober | |
des Vorjahres ums Leben gekommen ist, wurde zur Pilgerstätte. "Der König | |
der Kärntner Herzen! Jörgi" steht in orangefarbenen Lettern auf einem | |
Leintuch. Ein anderes Plakat verspricht "unzensierte Fotos" und | |
Verschwörungstheorien auf einer eigenen Website. Doch verglichen mit den | |
Liebesbezeugungen in den ersten Tagen nach Haiders Tod wirkt die | |
improvisierte Gedenkstätte vernachlässigt: Nur wenige Kerzen brennen, Fotos | |
und Grußbotschaften sind vergilbt und teilweise kaum mehr lesbar. | |
"Der Mythos Jörg Haider beginnt zu bröckeln", sagt Professor Ottomeyer. | |
Aber der Abschied von Haiders Politik werde wohl noch dauern: "Wenn sich | |
die Menschen für ein Projekt begeistert haben, brauchen sie lange, bis sie | |
das verarbeitet haben." | |
27 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
Ralf Leonhard | |
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Norbert Hofer | |
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