# taz.de -- Ruandische Milizen im Kongo: Kongos müde Krieger | |
> Bahati Nsinganumwe, ein Hutu aus Ruanda, hat 15 Jahre bei der | |
> Rebellenmiliz im Kongo gekämpft. Nun will er in seine Heimat zurück. Doch | |
> was weiß er über Ruanda? | |
Bild: Soldat der FDLR-Rebellen überwacht Zivilisten, die eine Brücke zerstör… | |
Erschöpft und ausgezehrt hockt Bahati Nsinganumwe auf einer schimmligen | |
Matratze. Es ist tropisch heiß im Zeltlager der UN in Goma, Ostkongo. | |
Nsinganumwes Unterhose ist zerrissen, das T-Shirt hängt ihm in Fetzen vom | |
Leib. Nur die Camouflage-Mütze verrät noch: Der 34-Jährige war ein Kämpfer. | |
Er diente in Kongos größter und grausamster Rebellenmiliz: bei den | |
Demokratischen Kräften zur Befreiung Ruandas (FDLR). Bis zum Vorabend; da | |
hat er seine Uniform abgelegt, seine Waffe der UN übergeben. | |
"Ich bin müde", murmelt er und zeigt mit dem Finger nach Westen. Dort, im | |
kongolesischen Dschungel, warten noch Kameraden. "Die wollen auch nach | |
Hause", sagt er. Ist das der Anfang vom Ende der FDLR, deren Angehörige | |
erst in Ruanda und später im Kongo für unsagbare Menschenrechtsverbrechen | |
verantwortlich waren und sind? | |
Immerhin, es gibt Anzeichen. Im Januar und Februar führten ruandische und | |
kongolesische Regierungstruppen eine sechswöchige gemeinsame | |
Militäroffensive gegen die FDLR. In dieser Zeit haben sich 355 FDLR-Kämpfer | |
der Monuc, der UN-Mission im Kongo, ergeben, dazu mehrere tausend | |
Familienangehörige. Zum Vergleich: Im ganzen Jahr 2008 waren es nur 1.103, | |
Frauen und Kinder eingerechnet. | |
Nsinganumwes Zuhause liegt nur wenige Stunden Fahrzeit von Goma entfernt: | |
jenseits des Kivu-Sees in Ruanda. Doch es hat 15 Jahre gebraucht, dass er | |
sich nun endlich auf den Heimweg machen kann. Nsinganumwe ist wie die | |
meisten FDLR-Rebellen Hutu. Und wie viele andere Hutu floh auch er nach dem | |
Genozid, den Ruandas Armee und Hutu-Milizen 1994 an der Tutsi-Minderheit | |
verübten, in den Kongo - aus Furcht vor der Rache der | |
Tutsi-Befreiungsarmee. In den überfüllten Flüchtlingslagern im Ostkongo | |
drückte dem damals 20-jährigen Bauernjungen ein Offizier der einstigen | |
Hutu-Armee ein Gewehr in die Hand. Nsinganumwe fühlte sich stark, er hatte | |
eine Aufgabe: Er sollte die Hutu-Flüchtlinge beschützen. Seitdem diente | |
Nsinganumwe in der Miliz, die heute FDLR heißt. | |
Nsinganumwe hat zwei Kriege und unzählige Schlachten im Kongo überlebt. | |
Zweimal wurde er angeschossen. Stolz zeigt er seine Narben: einen | |
Streifschuss am linken Oberarm, eine Kugel im Schenkel. Doch darüber reden | |
will er nicht. "Der Krieg ist für mich vorbei", winkt er ab. Die Erklärung, | |
wofür er kämpfte, ist simpel: "Wenn der Kommandeur sagt, wie sollen | |
kämpfen, dann kämpfen wir", sagt Nsinganumwe und fügt schnell hinzu: "Sonst | |
bringt er uns um." | |
Häuser plündern, Lastwagen überfallen, töten - "das ist für den Profit", | |
zuckt er lässig mit den Schultern. Er zeigt keine Reue, er hat ja nur | |
seinen Job gemacht. Zuletzt schob Nsinganumwe Dienst an einer | |
Straßensperre. Er musste Steuern eintreiben. Die Kalaschnikow diente als | |
Arbeitsgerät. | |
Mit Waffengewalt hat die FDLR in Kongos Kivu-Provinzen praktisch einen | |
eigenen Staat im Staat geschaffen, dessen Territorium größer ist als | |
Ruanda. Die Rebellen erlösen Geld aus dem Schmuggel mit Gold, Coltan und | |
Diamanten. "Wir haben für den Kommandeur gearbeitet", sagt Nsinganumwe. Und | |
dieser würde sein Einkommen verlieren, wenn die einfachen Soldaten nach | |
Hause gingen. Deshalb, so scheint es, wurde ihnen über Jahre hinweg | |
eingebläut, ihre Heimat Ruanda wäre Feindesland. Der Kommandeur behauptete, | |
in Ruanda würden alle Hutu wegen des Genozids vor Tutsi-Richter gestellt. | |
Und auch wenn Nsinganumwe immer wieder beteuert, nicht an dem Völkermord | |
beteiligt gewesen zu sein, gibt er zu: Er hat Angst, zurückzukehren. | |
Warum sollte er das auch? Er weiß nicht einmal, ob seine Eltern noch leben | |
oder ob die Lehmhütte noch steht, in der er aufgewachsen ist. Manchmal, | |
wenn er heimlich im Kongo dem ruandischen Radio lauschte, überkamen ihn | |
jedoch Zweifel. "Im Radio sagen sie immer, dass Hutu und Tutsi jetzt | |
zusammenleben", sagt Nsinganumwe. Er wirkt unsicher. | |
Das Entwaffnungsprogramm für Ruandas Hutu-Milizionäre im Kongo, | |
durchgeführt von der Monuc und finanziert von der Weltbank, setzt an diesen | |
Zweifeln an. UN-Hubschrauber werfen Flugblätter über dem Dschungel ab. | |
Neben einem Foto von traurigen Rebellen mit traurigen Kindern im Arm steht: | |
"Ihr habt noch immer eine Wahl - die UN wartet auf die, die in Frieden | |
leben wollen." Daneben finden sich Nummern einer 24-Stunden-Telefonhotline. | |
Einen solchen Zettel fand auch Nsinganumwe am Morgen seiner Flucht. Er | |
klebte tropfnass in einem Busch am Rande des Maniok-Ackers. Sein Bataillon | |
war in Pinga stationiert, einer Kleinstadt und FDLR-Basis tief im Dschungel | |
Ostkongos. Dort hauste Nsinganumwe in einer kleinen Lehmhütte mit seiner | |
24-jährigen Frau. Die hübsche Ruanderin hatte er vor zwei Jahren in einem | |
Flüchtlingslager kennengelernt. Sie wurde schwanger und brachte im | |
vergangenen Jahr einen Sohn zur Welt - Nsinganumwes ganzen Stolz. Doch der | |
Kleine erkrankte, dem jungen Vater wurde klar: Sie müssen den Dschungel | |
verlassen, das Kind zu einem Arzt bringen. Das Flugblatt mit den | |
Telefonnummern erscheint ihm als Exit-Option. In der Ferne fallen Schüsse, | |
die Soldaten aus Ruanda rücken bedrohlich näher. Der FDLR-Kommandant brüllt | |
Befehle. Seine Kameraden stieben in alle Himmelsrichtungen davon. | |
Kurzerhand läuft Nsinganumwe zu seiner Hütte. "Pack die Sachen", flüsterte | |
er seiner Frau zu. Dann nimmt er das Baby auf den Arm, und gemeinsam | |
schleichen sie durch das Unterholz davon. Auf einem Trampelpfad treffen sie | |
einen kongolesischen Bauern. Dieser weiß: Im nächsten Dorf wartet ein | |
UN-Hubschrauber. | |
"Wenn unser Kommandant uns gefunden hätte, dann wären wir jetzt tot", sagt | |
Nsinganumwe. Er hat viele Kameraden, die bei der Flucht erwischt wurden, | |
durch Folter sterben sehen. | |
Die FDLR ist für ihr Terrorregime nach innen berüchtigt. Das | |
Schlüsselproblem, sagt der Weltbankexperte Harald Hinkel, ist die | |
politische Führung - diese genießt ein angenehmes Dasein im Ausland. | |
FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka und sein Stellvertreter Straton Musoni | |
leben unbehelligt in Deutschland. "Diese uneinsichtigen Extremisten sind | |
bereit, tausende ihrer Leute für ihre eigenen Interessen zu opfern", sagt | |
Hinkel. | |
Die mittlere Führungsebene im Kongo scheint dies nun erkannt zu haben. | |
Meist nachts meldeten sich in den letzten Wochen FDLR-Kommandanten bei der | |
Monuc-Hotline, bereit, sich mit ihrem gesamten Bataillon zu ergeben. Ihr | |
erklärtes Ziel: politische Opposition in Ruanda statt militärischer Kampf | |
vom Kongo aus. | |
Für Nsinganumwe beginnt auf der schimmligen Matratze im Monuc-Zeltlager ein | |
neues Leben. UN-Mitarbeiter verteilen frische Hemden, Hosen und Schuhe. Er | |
schlüpft hinein, schaut verblüfft an sich herunter. Seine Frau quiekt | |
erstaunt. | |
Unter der Plane des alten Viehtransporters ist es heiß. Es herrscht | |
angespanntes Schweigen, als der Lkw den Schlagbaum an der Grenze nach | |
Ruanda passiert. Niemand hat einen Reisepass. Im Innenhof der | |
Immigrationsbehörde wird eine Liste mit den Namen verlesen. Dann darf | |
Nsinganumwe sein Bündel schmutziger kongolesischer Geldscheine in neue | |
ruandische Francs tauschen. Er begutachtet das Wasserzeichen und den | |
glitzernden Silberstreifen. "Jetzt sind wir wieder Ruander", strahlt er | |
über sein Guthaben, das umgerechnet 2 Euro beträgt. | |
Während der Busfahrt drückt sich Nsinganumwe die Nase an der staubigen | |
Fensterscheibe platt. Nach 15 Jahren im kongolesischen Dschungel wirkt | |
Ruanda mit seinen Teerstraßen, frisch gestrichenen Häusern, Stromtrassen | |
und terrassierten Feldern wie ein modernes Wunderland. Er schaukelt sein | |
Baby auf dem Schoß: "Guck, in der Apotheke können wir dir Medizin kaufen. | |
Hier gibts frische Milch und dort Telefone", plappert er. Der junge Vater | |
ist stolz, seinem Kind eine bessere Zukunft ermöglichen zu können. Er | |
diskutiert mit seiner Frau, wie sie die umgerechnet 100 Dollar Startgeld, | |
die sie im Rahmen der Reintegration erhalten, sinnvoll anlegen sollen. Ein | |
Stück Land, Ziegen und Hühner? Außer Landwirtschaft und Krieg hat | |
Nsinganumwe nie etwas gelernt. | |
Das soll sich nun ändern. Nach einer Stunde Fahrt erreichen die Milizionäre | |
das Schulungszentrum der Entwaffnungs- und Reintegrationskommission in | |
Mutobo, eine Gruppe Wellblechhütten inmitten grüner Felder außerhalb der | |
ruandischen Kleinstadt Ruhengeri. Die Schlafsäle und Klassenräume bieten | |
Platz für 350 Ex-FDLR-Rebellen. Seit wenigen Wochen sind fast alle Betten | |
ständig belegt. Direktor Frank Musonera begrüßt die ehemaligen Kämpfer mit | |
"Willkommen zu Hause". Er lächelt väterlich und erklärt den Unterrichtsplan | |
der nächsten zehn Wochen: Wie funktionieren Wahlen? Wie bekommt man einen | |
Kredit bei einer Bank? Wie viel kostet eine Krankenversicherung? Was sind | |
Menschenrechte? Was bedeutet Genozid? | |
Musonera verteilt Notizbücher und Kugelschreiber. Es geht ein Raunen durch | |
den Schlafsaal. Nsinganumwe versteckt beschämt sein Schreibzeug unter der | |
Matratze. Lesen und schreiben hat er nie gelernt. Was eine Versicherung | |
oder eine Bank ist, ist für ihn schwer vorstellbar. Und: Ein Leben in | |
Frieden, das könne er sich gar nicht vorstellen, sagt er. Dabei ist das | |
sein größter Traum: "Ein ganz normales Leben", murmelt er. | |
Es ist der erste Tag seit 15 Jahren, an dem Nsinganumwe keine Kalaschnikow | |
mehr mit sich trägt. Ohne Waffe, ohne Uniform wirkt er unsicher. Er hockt | |
auf einer Matratze, fügt Schnipsel einer zerrissenen Verpackung wie ein | |
Puzzle zusammen. Stück für Stück wird das Bild eines CD-Spielers sichtbar. | |
Nsinganumwe grinst: "Ich will eine Musikanlage." Da haut ihn seine Frau auf | |
den Unterarm. Zuerst solle er Schulgeld für das Baby ansparen, tadelt sie. | |
Fast schon eine ganz normale Familie. | |
2 Mar 2009 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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