# taz.de -- Ex-DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld: CDU-Revolte in Ströbele-C… | |
> Sie hat viele Kritiker, selbst in ihrer eigenen Partei, der CDU. Für die | |
> tritt Vera Lengsfeld nun bei den Bundestagswahlen nahezu aussichtslos in | |
> Berlin Kreuzberg-Friedrichshain an. | |
Bild: "So was kenn ich eigentlich nur aus der DDR": Vera Lengsfeld. | |
Der Wahlkampf fängt ja gut an. "Was erzählen Sie für Schoten?", fragt Klaus | |
Dörr die Frau, "ich möchte nicht, dass Sie hier diese Flugblätter | |
verteilen." Vera Lengsfeld ist genervt. Dörr ist der Marktleiter des | |
Kreuzberger Ökomarktes, er hat das Hausrecht. Wenn er nicht will, dass die | |
Berliner CDU auf seinem Gelände Zettel verteilt, auf denen über "feige | |
Brandanschläge linker Extremisten" gegen Nobelkarossen gewettert wird, ist | |
das sein gutes Recht. Aber Lengsfeld ist keine, die kampflos aufgibt. Bevor | |
sie abdreht, blafft sie zurück: "Was soll denn das? So was kenn ich | |
eigentlich nur aus der DDR." Marktleiter Dörr guckt ratlos: Was redet diese | |
Frau? Und wer ist die eigentlich? | |
Diese Frau ist Vera Lengsfeld. Und so wie es aussieht, werden Dörr und | |
seine Kunden ihr in den nächsten Monaten öfter begegnen. Denn Lengsfeld | |
tritt im Berliner Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain zur Bundestagswahl an. | |
Man kann sagen: Damit hat ihr die Berliner CDU keinen Gefallen getan. Denn | |
"Kreuzhain" ist Ströbele-Country. Vor vier Jahren hat der prominente Grüne | |
hier mit 43 Prozent das einzige Bundestagsdirektmandat seiner Partei | |
geholt. Die CDU kam auf magere 11 Prozent. Werden es im September 2009 | |
nicht deutlich mehr - und das ist angesichts der heillos zerstrittenen | |
Berliner CDU nicht anzunehmen -, kann Lengsfeld mit Platz 6 auf der | |
Landesliste den Wiedereinzug in den Bundestag vergessen. Sie sagt: "Ich bin | |
ja für Berlin Seiteneinsteigerin, und die Jüngste bin ich auch nicht mehr. | |
Das muss man mal so nüchtern sehen." | |
Die Chancen stehen also nicht unbedingt gut für Vera Lengsfeld, die 56 | |
Jahre alte Exbürgerrechtlerin, auf deren Visitenkarte Autorin steht. Jene | |
Frau, die zu DDR-Zeiten von ihrem Mann Knud Wollenberger für die Stasi | |
bespitzelt wurde, die zu Wendezeiten persönlich sehr viel riskiert hat und | |
seither mit heiligem Zorn gegen alles anrennt, was auch nur ansatzweise | |
nach SED/PDS/Linkspartei aussieht. Dafür wird sie von vielen, im Westen und | |
im Osten, herzlich gehasst. | |
Sieht man sie an diesem kalten Spätwinternachmittag am Lausitzer Platz | |
stehen, gehüllt in ihren langen Wollmantel, neben sich Labradorhündin Amy, | |
in der Hand die Flugblätter, die kaum einer will, fragt man sich, warum | |
sich die Frau diese Ochsentour antut. Sie steht hier für die CDU, in einem | |
Wahlkreis, in dem sie niemand kennt und wo man sie auch noch rüde | |
behandelt. Und deshalb murrt sie, gefragt nach dem ersten Eindruck von | |
ihrem neuen Wahlkreis, etwas von mangelnder Toleranz sowie Kreuzberg als | |
steuerfinanzierter Wärmestube. | |
Das ist typisch Vera Lengsfeld. Sie kennt keine falsche Freundlichkeit, die | |
wohlfeile Lüge liegt ihr nicht. Stets folgt sie ihren Überzeugungen, | |
strategischen Vorgaben eher nicht. Weil sie sich ihrer Sache immer so | |
irritierend sicher ist. Beziehungsweise war: als SED-Mitglied, als | |
DDR-Oppositionelle in der Kirche von unten, nach der Wende bei den | |
Bündnisgrünen. Auch in der CDU hält sie es nicht anders. In ihrer Partei, | |
zu der sie vor zwölf Jahren - unter großem medialem Getöse sowie Mitnahme | |
ihres grünen Bundestagsmandats - gewechselt ist, läuft sie als | |
"Ausnahmeerscheinung, schon weil von mir keiner erwartet, dass ich | |
Parteidisziplin übe. Und da bin ich nicht böse drüber." | |
Trotzdem, Spaß an der Revolte sieht anders aus. Zuletzt hat sich Lengsfeld | |
nicht einmal mehr von ihrer ehemaligen Thüringer Landesgruppe für den | |
Bundestag aufstellen lassen. Man war 2005 im Zwist auseinandergegangen. Die | |
prominente Bürgerrechtlerin, hieß es damals, profiliere sich noch immer mit | |
Themen wie Stasi und PDS, "das interessiert auch nicht jeden". Nun hat sie | |
die Berliner CDU in Kreuzberg-Friedrichshain gegen die Schwergewichte | |
Christian Ströbele und Björn Böhning, den Sprecher der SPD-Linken, in | |
Stellung gebracht. | |
Ströbele war von Lengsfelds Kandidatur überrascht, er vermutete sie noch in | |
Thüringen. Aber, meint er, "das kann interessant werden". Welche Chancen er | |
für seine Mitbewerberin sieht? "Na ja", sagt er und lacht, "CDU-Wähler muss | |
man in Friedrichshain-Kreuzberg schon suchen." | |
Vera Lengsfeld weiß das natürlich, aber sie hält das gut aus. Sie ist Druck | |
gewöhnt, auch weil sie Widerstandsgeist und Selbstvertrauen mitbringt. Die | |
Tochter eines Stasi-Oberstleutnants und einer Lehrerin ist ein Kind der | |
jungen DDR. Auf alten Fotos sieht man ein blondes Mädchen, ein schmales | |
Lächeln. Aus dem festen Glauben, das Richtige zu tun, sei ihr der Mut zum | |
Widerspruch erwachsen, sagt sie. "Meine Eltern haben wirklich, wirklich an | |
diese DDR geglaubt, und das haben sie mir vermittelt. Da gab es nichts | |
Doppelbödiges, nichts Verstecktes, da waren sie ganz klar. Und ich habe | |
wahrscheinlich immer gewollt, in dieser Klarheit zu leben." | |
In der Klarheit leben. Ein schönes Ziel, aber ausgerechnet in der DDR, dem | |
Land, in dem Anpassung ein wichtiges Talent darstellte? Vera Lengsfeld hat | |
nicht wie die meisten Ostdeutschen alles in sich reingefressen. Sie war | |
mutig, klug und störrisch. Weil sie wegen ihrer Eltern nicht - wie so viele | |
andere seit 1976 - ausreisen wollte, sagte sie sich: "Wenn ich diesen | |
Verhältnissen also nicht entkommen kann, wirke ich zumindest auf sie ein." | |
Sie studierte Philosophie in Berlin, um danach an der Akademie der | |
Wissenschaften zu arbeiten. Mit 21 trat sie in die SED ein, acht Jahre und | |
zahllose nervenzerfetzende Parteiversammlungen später warf man sie wieder | |
raus. Nun studierte sie Theologie und engagierte sich in der | |
innerkirchlichen Opposition. Im Januar 1988 wurde sie am Rande der | |
Liebknecht-Luxemburg-Demo verhaftet und zu einer Haftstrafe verurteilt. Im | |
Februar schob sie ihr Staat, an den sie einmal so fest geglaubt hatte, nach | |
Großbritannien ab. | |
Mit zwanzig Jahren wurde sie zum ersten Mal Mutter, mit 26 heiratete sie | |
ihre große Liebe Knud Wollenberger und nahm seinen Namen an. Wenig später | |
kamen die gemeinsamen Söhne Jacob und Jonas auf die Welt. Knud und sie | |
hatten sich an der Akademie kennengelernt, sie mochte seine Gedichte und | |
sein seltenes Hobby, die Imkerei. Auch die Art, mit ihrem Sohn Philipp | |
umzugehen, gefiel ihr. | |
Knud, Sohn eines international renommierten Kardiologen, hatte durch seine | |
Mutter einen dänischen Pass und war, anders als seine aparte kluge | |
Kollegin, schon viel gereist. "Bei den Wollenbergers war man der DDR schon | |
halb entkommen", schreibt Lengsfeld in ihrer Autobiografie. Halb? Ihr | |
Irrtum hätte nicht schwerwiegender sein können. Seit 1972 spitzelte der | |
sensible Knud als IM Donald für die Staatssicherheit. Nun heiratete er sein | |
wichtigstes Observationsobjekt. Sie vertraute ihm - er schrieb alles auf. | |
Als sie ihn nach dem Mauerfall zur Rede stellt, antwortet er, er hätte für | |
die DDR alles getan, das Land sei für ihn die Antwort auf Auschwitz. Seiner | |
Frau wird schwarz vor Augen. | |
Sie hat trotzdem versucht, weiter in ihrer Klarheit zu leben. Sie ließ sich | |
scheiden und zog ihre Söhne allein groß. Machte Politik: Saß bis 1996 für | |
die Bündnisgrünen im ersten gesamtdeutschen Bundestag, wo sie | |
Fraktionsdisziplin ganz klein schrieb und unter anderem dadurch auffiel, | |
dass sie während einer Golfkriegsdebatte eine Minute ihrer Redezeit | |
demonstrativ schwieg. | |
Dass sie 1996 zur CDU wechselte, weil ihr, wie sie meinte, die Grünen zu | |
PDS-freundlich wurden, haben ihr viele übel genommen. Noch heute bezeichnet | |
Vera Lengsfeld sich als "Antikommunistin aus Erfahrung". Ihr Herausforderer | |
Christan Ströbele sagt dazu: "Das hätte sie nicht tun sollen. Ein Mandat | |
über die Landesliste nimmt man nicht so einfach mit, bei einem Direktmandat | |
sähe das anders aus." | |
Als 2003 der CDU-Abgeordnete Martin Hohmann mit antisemitischen Parolen | |
auffällt, gibt Lengsfeld ausgerechnet der Jungen Freiheit ein Interview, in | |
dem sie den Umgang der Medien mit dem Fuldaer Rechtsaußen als "inszenierte | |
Treibjagd" kritisiert. So was bleibt hängen im öffentlichen Gedächtnis, | |
weniger, dass sie Hohmann damals intern zum Rücktritt gedrängt haben soll. | |
Zur nächsten Bundestagswahl verweigert ihr ihr Thüringer Wahlkreis die | |
Direktkandidatur. Sie wiederum erklärt, dann auch nicht mehr als | |
Listenkandidatin zur Verfügung zu stehen. Bürgerrechtler, sagt sie noch | |
heute, hätten die friedliche Revolution "ja nicht gemacht, um danach | |
irgendwelche Positionen zu besetzen". | |
Aber es ist wie immer: Sie hält das gut aus. Was gar nicht geht, ist | |
falsche Rücksicht. Noch heute, 18 Jahre danach, gilt sie als die Frau des | |
Stasi-Spitzels. Sie aber sagt: "Mitleid ist unangebracht, völlig | |
unangebracht. Wenn die Leute immer anfangen: Wie verkraftet man denn so | |
was, sage ich immer, sehe ich so aus, als hätte ich das nicht verkraftet?" | |
Talkshowangebote nimmt sie nur unter der Bedingung an, nicht über Knud | |
sprechen zu müssen, "und dann sagen die, dann eben nicht". Im Gespräch | |
nennt sie ihn immer noch "mein Mann". | |
Sie will nicht, dass die Stasi vergessen wird. Was sie ihr angetan, geraubt | |
hat. Mehrmals in der Woche führt sie deshalb Besucher durch den ehemaligen | |
Stasi-Knast in Berlin-Hohenschönhausen, wo sie 1988 inhaftiert war. Doch | |
selbst dort verzichtet sie darauf, ihren privaten Verrat öffentlich zu | |
machen. Gedenkstättenleiter Hubertus Knabe, erzählt sie, "hat in | |
Hohenschönhausen Stelen aufgestellt. Ich sollte da auch erscheinen auf so | |
einer Stele als ehemalige prominente Gefangene." Knabe habe einen Text | |
entworfen, "da stand das dann drin mit meinem Mann. Das hab ich ihm | |
rausgestrichen. Ich habe gesagt, das hat überhaupt gar nichts mit meiner | |
Inhaftierung zu tun. Auch jeder Mörder hat nach einer bestimmten Zeit das | |
Recht, dass darüber nicht mehr geredet wird. Da hat Hubertus Knabe gesagt: | |
Dann kriegst du eben keine Stele." Und Vera Lengsfeld sagt: "Dann krieg ich | |
eben keine Stele. Punkt. Aus." | |
3 Mar 2009 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
Anja Maier | |
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Tagesthemen | |
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