# taz.de -- Frauen und Körperkult: Der freie Zwang zur Sexyness | |
> Aus der Freiheit, den eigenen Körper zu präsentieren, ist das Diktat der | |
> ständigen Sexyness der Frau geworden. Woher der Zwang zu Intimrasur, | |
> Miniröckchen und Quetsch-Schuhen kommt. | |
Bild: Bequem und praktisch ist auch irgendwie anders... | |
An einem Samstagabend in der Straßenbahn. Neben mir steht eine Gruppe von | |
zwei braven jungen Männern um die 20 und zwei Teenie-Mädchen. Beide tragen | |
trotz der Kälte kurze Röcke, dünne Strumpfhosen und Pumps mit sehr hohen | |
Absätzen. Die Füße der einen sind so weit nach vorne gerutscht, dass ihre | |
Fersen bei jeder Bewegung am Schuhrand scheuern. Die Füße der anderen | |
quellen über die Ränder der zu kleinen Schuhe und haben sich bereits rot | |
verfärbt. Als ein Platz frei wird, setzt sich der eine junge Mann - im | |
bequem-unauffälligen Freizeitlook - sofort hin, das ihm zugeordnete Mädchen | |
bleibt freundlich lächelnd stehen. Ich kann nicht aufhören, auf ihre | |
geschwollenen Füße zu starren. Was für ein Durchhaltevermögen. | |
Diskussionen über einengende Bekleidungsvorschriften, Reformkleidung und | |
Anti-Fashion, also historisch essenzielle Themen der Frauenbewegung, sind | |
heute mausetot - und wenn sie doch noch mal aufgescheucht werden, dann nur | |
noch, damit kichernd über den "Schlabberlook" der Feministinnen der | |
1970er-Jahre der Kopf geschüttelt werden kann. | |
Zum "erlaubt ist, was gefällt" wird besonders von emanzipierten Frauen | |
gerne ein erleichterter Seufzer ausgestoßen. Damit grenzt man sich von der | |
vermeintlichen Unsexiness der "befreiten" Müttergeneration ab. Natürlich | |
ist es genau das, worum es bei der Abstreifung von Normen gehen muss - aber | |
warum wird diese Freiheit heute so restriktiv genützt? Warum pochen heute | |
Feministinnen auf das reichlich lästige "Recht", sich ihre Beine rasieren | |
zu dürfen, während ganz junge Mädchen nolens volens die komplette | |
Intimrasur praktizieren, weil alles andere in der Clique als "eklig" gelten | |
würde? Warum führt die größere Freiheit, die durch Jahrhunderte von | |
Reformkleidern, Bloomer Fashion, Frauenhosen und Hippie-Wallegewändern für | |
Frauen erkämpft wurde, nur dazu, dass immer strengere Standards bestimmen, | |
was nun sexy sei und was nicht? Und warum müssen eigentlich auf einmal | |
dauernd alle sexy sein wollen? | |
Die Antwort ist so einfach wie komplex: weil das, was früher in erster | |
Linie als externer Zwang wahrgenommen wurde, heute nach innen gerutscht | |
ist. Wo zwischen unförmigen Hiphop-Baggy-Pants und Pornodarstellerin im | |
Moderepertoire theoretisch alles möglich ist, gilt das Primat der | |
Freiwilligkeit. Und auch wenn immer mehr junge Buben mit gezupften Brauen, | |
eingegeltem Haar und bratwurstbraunem Solarium-Teint auftauchen, gilt jenes | |
doch vor allem für Frauen. | |
Die Disziplinierung des möglichst normgerecht erotischen Körpers - die | |
Normen gibts gratis aus der Mainstream-Popkultur - geschieht eben nicht, | |
weil man bzw. frau muss, sondern weil sie will. Und gegen Freiwilligkeit | |
lässt sich schwer argumentieren. Ein Selbstentwurf abseits von den | |
unrealistischen Glamour-Figuren aus Clips und Werbungen wäre ja leicht | |
möglich, erschiene aber umso viel weniger begehrenswert als die machtvollen | |
Vorbilder aus endlos langen Streichholzbeinen, Minitaille und Superbusen - | |
um deren Manipulation durch Photoshop und Konsorten man selbstverständlich | |
weiß, die aber gerade durch diese Unerreichbarkeit umso wirkungsmächtiger | |
werden. | |
Ist das nun selbstbestimmt sexy - oder sexistisch? Es wäre schön, wenn mit | |
dem neofeministischen Slogan "Frauen dürfen sexy sein wollen, aber sie | |
dürfen es nicht müssen" alles gesagt wäre. Ist es aber nicht. Nachdem sich | |
in den 1990er-Jahren zumindest in alternativen Kreisen zunächst ein | |
sensiblerer Umgang mit möglichen Diskriminierungen durchgesetzt hatte, | |
wurden wir ungefähr zur selben Zeit mit einer Armada von "ironischen" | |
Bildern bombardiert. Fotos von Frauen in dämlich-aufreizenden Posen, gerne | |
"retro", oder auch mal von Schwarzen mit dicken Lippen und grellweißen | |
Augen, waren nun nicht mehr sexistisch oder rassistisch, sondern sie waren | |
"lustig". Und hey, wer keinen Spaß versteht, ist einfach nur verkrampft. | |
Dabei ist Sexismus auch heute noch omnipräsent. Wir haben uns so sehr daran | |
gewöhnt, dass auf Plakatwänden und im Fernsehen Waren mit sexuell | |
anziehenden Frauenkörpern verkauft werden, dass uns das nicht | |
ausbeuterisch, sondern ganz normal vorkommt. Wir finden es verständlich, | |
dass Politikerinnen - Stars der Unterhaltungsbranche natürlich sowieso - | |
immer damit rechnen müssen, dass ihr Äußeres einer erbarmungslosen Analyse | |
unterzogen wird, während Männer nur bei auffälligsten Style-Querschlägern | |
mit Kommentaren zu rechnen haben. Und so erscheint es eben auch normal, | |
dass Frauen sehr viel Zeit, Energie und Geld darauf verwenden, gut und sexy | |
auszusehen, und Faktoren wie Bequemlichkeit oder Beweglichkeit außer Acht | |
lassen. Sie müssen ja nicht, sie wollen nur - weil sie sich dann "wohler" | |
fühlen. | |
Es vermittelt Sicherheit, zu entsprechen, zu genügen. In der | |
Drag-King-Szene gibt es dafür den schönen Begriff des "passing" - also | |
ungeachtet des biologischen Geschlechts in der Öffentlichkeit als Mann | |
durchzugehen. Was hier einen spielerischen, überschreitenden Charakter hat, | |
wird von vielen Frauen täglich in langwieriger Arbeit am eigenen Körper | |
aufgeführt, um in der Gesellschaft als "echte" und damit möglichst | |
attraktive Frau "durchzugehen". | |
Die immer unrealistischeren Anforderungen an junge Frauen, sexy, schlank | |
und zu allen Demütigungen bereit zu sein wie ein werdendes "Supermodel", | |
werden zwar mitunter kulturpessimistisch kritisiert. Doch geschult und | |
abgestumpft durch unzählige Make-Over-Sendungen, Schönheits-OP-Tests und | |
Attraktivitäts-Vergleich-Shows, hat sich die Bewertung von jungen Körpern, | |
vor allem denen von Frauen, anhand ihrer sexuellen Attraktivität als | |
selbstverständlich etabliert. Dabei ist das Belohnungssystem in seiner | |
Paradoxie durchaus frustrierend: jene Frauen, die als besonders sexy | |
gelten, werden oft auch als jene gebrandmarkt, die zu viel Energie für ihr | |
Äußeres verschwenden und letztlich dumm und wertlos seien. | |
Wie also mit diesen doppelten Botschaften umgehen? Zumindest so: froh sein, | |
dass es schon drei Wellen von Feminismus gab und gibt, die uns mit einem | |
größeren Arsenal an Widerstands-Potenzialen ausstatten, als es zunächst den | |
Anschein hat - und sich in Erinnerung rufen, dass neben einer | |
hypersexualisierten Norm auch massenhaft Nischen von Emo-Boys über | |
Kampfsportgirls bis zu aufgeklebten Mädchenbärten zu finden sind. Froh darf | |
man zum Schluss auch darüber sein, dass sich im kulturellen "Untergrund" | |
nicht normierte Idole tummeln wie die dicke Beth Ditto von der Band The | |
Gossip oder die maskuline JD Samson von der Band Le Tigre. Die sind sexy, | |
weil sie Selbstbestimmtheit und Autorität ausstrahlen und sich nicht, im | |
wahrsten Sinne des Wortes, klein machen oder in aktuelle Schönheitsnormen | |
quetschen lassen. | |
SONJA EISMANN, 36, ist Herausgeberin von "Missy Magazine. Popkultur für | |
Frauen" und trägt wie ihre Mutter nur selten unbequeme Schuhe | |
6 Mar 2009 | |
## AUTOREN | |
Sonja Eismann | |
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