# taz.de -- Das Binnen-I und die taz: Die Erektion im Text | |
> PolitikerInnen, DemonstrantInnen und KünstlerInnen. Das Binnen-I war ein | |
> Markenzeichen. Inzwischen ist es fast völlig verschwunden. Warum? Eine | |
> Umfrage unter taz-AutorInnen. | |
Bild: Die Einführung des Binnen-I wurde viel diskutiert, seine Verabschiedung … | |
Neulich berichtete die taz, dass in Kenia eine uralte Fußspur des Homo | |
erectus gefunden wurde: "Homo erectus gilt als der erste Hominide, der sich | |
auf die Jagd machte und sich, organisiert in Rudeln, gegenseitig | |
unterstützte. Er soll das Feuer gekannt und Brandrodung betrieben haben." | |
Wenn Sie kurz innehalten und sich Homo erectus vorstellen, sehen Sie dann | |
einen Mann oder eine Frau? "Homina erecta"? | |
1,8 Millionen Jahre nach Homo erectus fiel Wissenschaftlerinnen auf, dass | |
bei uns der Mann als Homo das Allgemeine verkörpert, die Frau dagegen als | |
Sonderfall firmiert - was für die Frauen oft wenig angenehme Folgen hat. | |
Zum Beispiel dann, wenn es gilt, nach einem neuen Chef oder einem | |
Kanzlerkandidaten zu suchen, und Menschen erst mal an Männer denken. | |
Das leuchtete in den Achtzigerjahren auch der taz ein. Weil diese | |
Nichtwahrnehmung der Frauen oft dazu führte, dass sie nicht wichtig | |
genommen wurden, so lautete die damalige Analyse, beschloss man, zumindest | |
sprachlich ein deutliches Zeichen zu setzen. Man importierte aus der | |
Schweiz (von der Wochenzeitung WOZ) das steile I, auch Binnen-I genannt, | |
auf dass in Zukunft die ChefInnen und KanzlerInnen wussten, dass auch sie | |
gemeint waren. Eine Littera erecta, ein aufrechter Buchstabe - dem Homo | |
erectus quasi gegenübergestellt. | |
Dreißig Jahre später steht der Homo erectus wieder allein in der taz herum. | |
Natürlich nur als Metapher. Wie sollte man in diesen Gattungsbegriff auch | |
ein großes I applizieren? Eben. Auch das Binnen-I ist aus der Zeitung | |
weitgehend verschwunden. Was bedeutet das? Das wollten wir wissen und haben | |
eine Umfrage unter den Kolleginnen und Kollegen durchgeführt. | |
Ist das Binnen-I ein Relikt aus feministischen Kampfzeiten? Oder eine | |
Errungenschaft, die es vor unsensiblen Sprachsexisten zu retten gilt? Eine | |
solche Polarisierung ließ zumindest die erregte Debatte im internen | |
Web-Forum der taz vermuten, die auf die Aufforderung folgte, sich zum | |
Binnen-I zu äußern. Überholt, bürokratisch, hässlich, hieß es auf der ein… | |
Seite. Kleine, subversive Errungenschaft, Markenzeichen unserer | |
Sensibilität in Geschlechterdingen, auf der anderen. | |
An der anschließenden Umfrage beteiligten sich 125 Menschen. Eine Mehrheit | |
von 81 Befragten (64,8 Prozent) findet eine "inklusive" (Frauen | |
einschließende) Sprache nach wie vor wichtig. Sie folgt offenbar der | |
Erkenntnis der Psycholinguistik, nach denen an Männer denkt, wer Politiker, | |
Manager und Rechtsanwälte liest. | |
Aber das Binnen-I sieht nur eine Minderheit von 53 Befragten (42,4 Prozent) | |
als adäquate Lösung des Problems an. Viele verweisen auf den gestörten | |
Lesefluss: Wer schreibt schon gern von B(a)äuerInnen oder möchte sich mit | |
Konstruktionen wie "JedeR, der/die diesen Text liest, der/die wird gleich | |
wahnsinnig" herumschlagen? | |
Dagegen führt das große I bei einer fast genauso großen Minderheit von 44 | |
Befragten (35,2 Prozent) zu mitunter extremer Ablehnung. Das Unbehagen an | |
dem Strich im Wort lässt sich ebenfalls psycholinguistisch untermauern: Das | |
Durchschnittsgehirn kennt nämlich keine Binnenmajuskel, also keinen | |
Großbuchstaben inmitten eines Wortes und liest das I als kleinen | |
Buchstaben. Bei PolitikerInnen liest es Politikerinnen - und fragt sich, wo | |
da die Männer blieben. | |
Dieser Einwand wird nun von einigen I-Befürwortenden damit gekontert, dass | |
die Leserinnen und Leser der taz eben keine Durchschnittshirne besitzen. | |
Sie kennen das Binnen-I und wissen es zu deuten. So heißt es bei den | |
Befürwortenden sehr oft, das große I sei ein "Markenzeichen" der taz, eine | |
"Errungenschaft". Einer mag es, weil es ihn "an die besten Zeiten der taz" | |
erinnert. | |
Genau das aber goutieren Ablehnende überhaupt nicht. "Es gibt dem Text zu | |
sehr den Anstrich der Debatten der westdeutschen Linken der | |
Achtzigerjahre", heißt es. Oder: "Wenn ich in einem Bericht von 20.000 | |
DemonstrantInnen lese, denke ich an Alice Schwarzer und an Methoden von | |
gestern." Ein anderer sieht das I "wie einen gereckten Zeigefinger mit | |
zwangsneurotischer Penetranz durch die Texte fuchteln". Eine Kollegin | |
meint, das Binnen-I verleihe den Texten den "Anschein von Pamphleten". Es | |
sei "nicht geschlechtsneutral, weil es weibliche Ansprüche auf | |
Zugehörigkeit zu einer Gruppe betont". | |
Der phallische Charakter dieses Buchstaben sorgt offenbar für besondere | |
Erregung. Jedenfalls fühlen sich die einen durch diesen "Stolperstein" | |
angeregt, die anderen dagegen extrem belästigt - was interessante | |
Interpretationen zur Folge haben kann. So meinte gleich ein ganzes Ressort | |
(allerdings ein kleines), Frauen, die das Binnen-I benutzten, hielten | |
Frauen für die besseren Menschen. Eine habe sich sogar Goebbels näselnder | |
Sprechweise ("Jüden und Jüdinnen") angenähert, indem sie das Wort | |
"JüdInnen" benutzte. | |
Das Binnen-I polarisiert. Und diese Polarisierung scheint bei manchen | |
Menschen dazu zu führen, dass sie überhaupt nicht mehr über inklusive | |
Sprache nachdenken. | |
Andere Institutionen, die sich mit "nicht-sexistischem Sprachgebrauch" | |
beschäftigen, haben die Debatte, die in der taz ein wenig zum Stillstand | |
gekommen scheint, weitergetrieben. Die Handreichung der Unesco zum | |
"nicht-sexistischen Sprachgebrauch" etwa schlägt für die deutsche Sprache | |
vor allem Umformulierungen und Alternativen vor: Männliche und weibliche | |
Form werden abwechselnd benutzt, von "Teams" statt von "Mannschaften" | |
gesprochen, neutrale Pluralformen wie "Beschäftigte" statt "Mitarbeiter" | |
genutzt, und sogar das Wörtchen "man" vermieden. Das Binnen-I empfehlen die | |
Autorinnen, weil es eben so unhandlich ist, nur als Ausnahme: "Auch das | |
Binnen-I kann eine Signalfunktion übernehmen, wenn die Beteiligung von | |
Frauen hervorgehoben werden soll." | |
Insgesamt sind diese Buchstabier-Hilfen für Autorinnen übrigens eher | |
nebensächlich. Sexistische Sprache ist für sie sehr viel mehr, als ein | |
Buchstabe vermitteln kann: "Sprache ist sexistisch, wenn sie Frauen und | |
ihre Leistungen ignoriert; sie ist sexistisch, wenn sie Frauen in | |
Abhängigkeit von oder Unterordnung zu Männern beschreibt und wenn sie | |
Frauen nur in stereotypen Rollen zeigt; sie ist sexistisch, wenn sie Frauen | |
durch herablassende Ausdrücke demütigt und lächerlich macht." Viel Stoff | |
für weitere Debatten in der taz. | |
Umfrage: Marlene Halser | |
7 Mar 2009 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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