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# taz.de -- Ärztin Monika Hauser: "Ich akzeptiere nicht"
> Monika Hauser, Geschäftsführerin von medica mondiale, über Gerechtigkeit
> für Frauen und Möglichkeiten, die Verhältnisse zu ändern.
Bild: Monika Hauser (r.) engagiert sich für kriegstraumatisierte Frauen
taz.mag: Frau Hauser, Sie waren als Gynäkologin für kriegstraumatisierte
Frauen in Bosnien im Einsatz - heute sind Sie politische Geschäftsführerin
von medica mondiale, einer international tätigen Hilfs- und
Menschenrechtsorganisation. Was bedeutet der abstrakte Begriff
"Gerechtigkeit" konkret für Frauen in Konfliktregionen?
Monika Hauser: Gerechtigkeit für Frauen in Nachkriegsländern bedeutet
zuerst einmal, dass sie überhaupt Unterstützung bekommen. Konkrete,
fachliche Beratung etwa bei einer unerwünschten Schwangerschaft, die aus
einer Vergewaltigung entstanden ist. Dann Therapie von
Geschlechtskrankheiten und traumasymptomatischen Beschwerden und nicht
zuletzt, dass die Frauen das Recht auf eine längere psychosoziale
Begleitung haben.
Für viele Frauen keine Selbstverständlichkeit?
Ganz und gar nicht. In Afghanistan etwa beginnt die Hilfe damit, bei der
Familie das Einverständnis einzuholen, dass die Frau überhaupt in
gruppentherapeutische Sitzungen gehen darf.
Was kann eine Organisation wie medica mondiale dazu beitragen?
Medica mondiale kann, selbst in jenen Regionen, in denen wir arbeiten, nur
einen Bruchteil aller Frauen erreichen. Im Osten der Republik Kongo
beispielsweise bedeutet es bereits Gerechtigkeit, eine Fahrt zur Klinik zu
ermöglichen. Deshalb setzen wir mit unserer Hilfe an der Basis an: ein
Fahrzeug überhaupt zur Verfügung stellen, die Fahrt arrangieren, die
Aufnahme in der Klinik organisieren, wo man das Personal oft schmieren
muss.
Was passiert danach mit den Frauen, wenn sie aus der Klinik kommen?
Basishilfe ist das eine, das andere ist ökonomisches "Empowerment". Einer
Frau nur gynäkologisch zu behandeln, ohne ihr danach die Möglichkeit zu
geben, ins wirtschaftliche Leben zurückzukehren, ist für uns nicht
zulässig. Wir haben einen gesamtheitlichen, keinen karitativen Ansatz. Wir
wollen die Frauen ins Leben zurückholen. Neben der medizinischen Behandlung
bieten wir daher auch psychosoziale Begleitung an, damit sich die
Betroffenen seelisch stabilisieren können.
Wie ist das im Alltag, gerade in Nachkriegsländern möglich?
Zum Beispiel mit landwirtschaftlichen Projekten, wie wir jetzt eines im
Kosovo aufgebaut haben, das sich mittlerweile selbstständig organisiert.
Wir schauen, dass die Frau eine Kuh bekommt, einen Traktor oder einen
Bienenstock. Damit sie selber für sich und ihre Kinder das Leben gestalten
und Geld verdienen kann. Selbst wenn eine Frau die Chance hat, fachliche
Unterstützung zu bekommen, hat sie danach noch lange nicht die Möglichkeit,
ihre wirtschaftliche Perspektive selber zu gestalten. Viele
Hilfsorganisationen haben oft nur die medizinischen Folgen einer
Vergewaltigung im Blick, ohne die weiteren Auswirkungen zu realisieren,
unter denen die Frauen oft viele Jahre leiden.
Was tun Sie dagegen?
Wir haben Standards für unsere Arbeit festgelegt, die wir aus den
Erfahrungen der Projektarbeit entwickelt haben. Eine gynäkologische
Betreuung für Frauen, die vergewaltigt wurden, muss sich von einer normalen
gynäkologischen Untersuchung unterscheiden. Unser Start 1993 war deshalb
auch damit verbunden, Fachstandards zu formulieren, die wir in unserem
Manual niedergeschrieben haben, und Fachfrauen auf der ganzen Welt zur
Verfügung zu stellen.
Sie sind seit über fünfzehn Jahren dabei, die Verhältnisse zu ändern.
Verfolgen Sie eine bestimmte Strategie?
Gerechtigkeit bedeutet mehr als Basishilfe, wie medica mondiale sie zu
einem Bruchteil leisten kann. Nach der Basishilfe geht es um die
Überlebende. Wir wollen die Überlebende zur Gestalterin der eigenen
Lebensperspektive machen. Wir nennen das "Change Agent".
Klingt nach James Bond.
Was wir als "Change Agent" bezeichnen, meint die aktive Mitgestaltung des
Wiederaufbaus und der Demokratie in den jeweiligen Ländern. Im Kosovo etwa
verschenken Witwen in Dorfkollektiven das erste Kälbchen ihrer Kuh an ein
benachbartes Dorf, das noch nie Hilfe bekommen hat.
Ein Solidaritätszeichen, obwohl sie damit ihren eigenen Tierbestand
dezimieren?
Für den Tierbestand der Bäuerinnen ist es zwar nicht gut, das erste
Kälbchen zu verschenken, aber aus Solidarität machen sie das. Auch sprechen
wir mit den Familienangehörigen der Frauen. So ist etwa der Schwager der
Meinung, dass die Witwe nicht auf die Straße gehen und nicht am
öffentlichen Leben teilnehmen dürfe. Mitarbeiterinnen von medica mondiale
reden mit ihm und klären über die Situation der Frau auf. Das ist
Sensibilisierungsarbeit, damit auch diese Frauen die Gelegenheit bekommen
am öffentlichen Leben teilzunehmen. Das ist Change Agent: dass sich
wirklich an den gesellschaftlichen Verhältnissen etwas ändert.
Woher rührt Ihre persönliche Motivation?
Ich will mit meinem Beispiel zeigen, dass Veränderung möglich ist. Bereits
vor fünfzehn Jahren lehnte ich mich als Ärztin in Nordrhein-Westfalen gegen
verfestigte Hierarchien auf. Ich konnte nicht akzeptieren, wie mit
Patientinnen umgegangen wurde.
War das ein Einzelkampf?
Zuerst ja. Ich als One-Woman-Show lehnte mich auf und sagte: Das akzeptiere
ich nicht. So aber fand ich die richtigen Mitstreiterinnen. Also:
informieren, wahrnehmen und sich gemeinsame Verbündete suchen. Das kann auf
mannigfachen Gebieten sein. Etwa dass ich nicht akzeptiere, dass sich in
Deutschland Flüchtlinge in Abschiebegefängnissen umbringen müssen. In einer
Gesellschaft wie in Deutschland ist das ein Armutszeugnis. Ich denke, dass
wir alle aufgerufen sind, dagegen konkret etwas zu tun.
Leiden Sie an dem Helfersyndrom?
Nein. Tatsächlich tue ich das immer auch für mich selbst. Das ist mir sehr
wichtig. "Helfersyndrom" bedeutet, dass ich die, für die ich mich einsetze,
instrumentalisiere. Mir ist es immer wichtig, über die eigene Betroffenheit
nachzudenken und mich zu fragen: Warum tue ich das? Darüber hinaus bin ich
ja nicht nur Journalistin oder Ärztin in meiner Fachlichkeit, sondern ich
bin ein soziales Wesen, das politische Verantwortung übernehmen muss. Das
ist meine Grundüberzeugung.
Wie können wir hier in Deutschland für Gerechtigkeit sorgen, wo können wir
Verantwortung übernehmen?
Ich kann mich auflehnen gegen Gewalt gegen Frauen - gerade konkret gegen in
Deutschland lebende Frauen - und zugleich Aufklärung betreiben an meinem
Arbeitsplatz und im Freundeskreis.
Vergewaltigte Frauen in fernen Ländern, das ist kein ideales Thema für die
Kaffeepause.
Wenn ich mitbekomme, dass das Thema in die Ferne abgeschoben wird, dann
verneine ich und sage: Dass Vergewaltigungen in Kriegszeiten zunehmend
möglich sind, hat direkt damit zu tun, dass es auch in einer
Friedensgesellschaft wie etwa Deutschland extrem viel Gewalt gegen Frauen
gibt. Auf struktureller genauso wie auf unmittelbarer psychischer und
körperlicher Ebene.
Sie sprechen damit an, dass wir nicht von einem "fernen" Problem sprechen?
Mir ist es sehr wichtig, den Bogen in den Westen zurückzuführen. Selbst in
unserer patriarchalen Friedensgesellschaft gibt es immer noch extrem viel
Gewalt gegen Frauen. Eine aktuelle Studie des Frauenministeriums besagt,
dass vierzig Prozent aller in Deutschland lebenden Frauen Gewalterfahrungen
gemacht haben. Vierzig Prozent! Das ist eine Zahl, die man in einer Gruppe
von Frauen abzählen kann. Und genauso kann man abzählen, wie viele Männer
dafür verantwortlich sind.
Was können wir, Männer wie Frauen, tun?
Sich informieren ist das Erste. Der erste Schritt zur Veränderung ist die
Wahrnehmung. Für junge Männer bedeutet das etwa, dass sie ihr eigenes
Verhalten reflektieren. Mit sexistischen Witzen am Arbeitsplatz oder im
Privaten beginnt die Diskriminierung von Frauen. Wir müssen die Wahrnehmung
dafür schärfen, wie Frauen verachtet werden. Ebenso in der Werbung, wo die
totale Verfügbarkeit des Frauenkörpers noch immer präsent ist. In Köln zum
Beispiel hängt in der U-Bahn ein Plakat für Online-Erotikkontakte. Mit
einer halb nackten Frau und dem Titel "Click mich". Ich erwähnte dieses
Beispiel bei einem Empfang in Köln letzten Herbst. Wohl kann die Stadt Köln
wenig Einfluss auf die Werbung nehmen, aber sehr wohl kann sie Einfluss auf
ihr Erscheinungsbild nehmen, indem sie sagt: "Wir sind gegen
frauenverachtende Werbung." Noch ist nichts passiert, das Plakat hängt
immer noch. Ich als Frau fühle mich verletzt, weil es die totale
Verfügbarkeit der Frauen darstellt. Und ich will mich nicht damit
zufriedengeben, zu meinen, ich könne eh nichts tun.
Was treibt diesen Hunger nach Gerechtigkeit bei Ihnen an - ist das dieselbe
Wut, die sie vor über fünfzehn Jahren bei der Gründung von medica mondiale
verspürten?
Die Wut ist noch da, nach wie vor. Etwa wenn ich mitbekomme, dass der
deutsche Verteidigungsminister nach über zehn Jahren noch immer nicht über
den Zusammenhang von deutschen Peacekeeping-Soldaten und afghanischen
Zwangsbordellen reden will. Dann bin ich nach wie vor so wütend wie zur
Gründungszeit von medica mondiale.
Was macht Sie bei diesem Thema so wütend?
Erst wenn dieses Thema nicht mehr verschwiegen wird, können wir beginnen
über den Kern des Problems der Vergewaltigung zu sprechen. Solange darüber
nicht geredet wird, geht die Sisyphusarbeit weiter. In solchen Momenten
frage ich mich, warum wir von anderen nicht unterstützt werden. Warum ist
es für uns so schwierig, mit diesem Thema in deutsche Medien zu kommen? Von
der taz bis FAZ ist es schwierig, Kriegsvergewaltigungen samt ihren
gesellschaftlichen Folgen zu platzieren. Selbst Medien, die mehr auf
unserer Linie sind, berichten ungern über diese Thematik.
Enttabuisieren bedeutet nicht nur, das Schweigen der betroffenen Frauen zu
brechen, sondern es bedeutet auch, die Männer zum Zuhören zu bewegen. Wo
sind die Männer "im Einsatz"?
In der Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit versuchen wir immer wieder,
die Männer zu erreichen. In der direkten Unterstützung arbeiten wir
ausschließlich mit Frauen.
Erreichen Sie die Männer?
Nur schwer. Wir versuchen, Aufklärungsmaterial direkt an Männer zu
adressieren. Zu den Veranstaltungen kommen etwa 10 Prozent Männer.
Und, wie reagieren Männer auf den Lesungen?
Gerade kürzlich hatte ich mit Chantal Louis zu unserem aktuellen Buch eine
Lesung in Köln. Interessant war, dass die ersten beiden Fragen zwei Männer
stellten. Der zweite Mann bemerkte, dass nur etwa 10 Prozent Männer
anwesend seien. Er fragte uns, ob wir abschrecken wollen mit dem Buch.
Und, was antworteten Sie ihm?
Es kann nicht so abschreckend sein, wenn zwei Männer die ersten Fragen
stellen …
GINA BUCHER, Jahrgang 1978, ist freie Autorin
7 Mar 2009
## AUTOREN
Gina Bucher
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