# taz.de -- Anti-Gewaltkurs für gewalttätige Fußballer: Der normale Ausnahme… | |
> Auch auf den Spielfeldern - vor allem in den unteren Ligen - regiert | |
> bisweilen die Gewalt. Nicht überall in Deutschland gehen die Verbände so | |
> engagiert dagegen an wie in Berlin. | |
Bild: Konfliktmanager wie Rainer Eckert beim SC Goldstein in Frankfurt am Main … | |
BERLIN taz Ein ganz normales Fußballspiel in Deutschlands zwölfter Liga. | |
Vergangenen Sonntag in Berlin, FC Karame gegen den FC Karlshorst. In der | |
65. Minute stürmen Spieler und Anhänger von Karame den Platz und bedrohen | |
Gegenspieler und Schiedsrichter dermaßen, dass die Partie abgebrochen | |
werden muss. Gleiche Zeit, ähnlicher Ort, noch eine Liga tiefer. Der 1. SV | |
Galatasaray ist zu Gast bei Grün Weiß Baumschulenweg. Auch dieses Spiel | |
wird vorzeitig beendet, weil der Unparteiische um seine Sicherheit | |
fürchtet. Zur Klärung der Situation rücken die professionellen | |
Schiedsrichter mit der grünen Uniform an. | |
Vorfälle wie diese gehören auf Berlins Fußballplätzen längst zum Alltag. | |
Pro Spielzeit werden allein im Jugend- und Männerbereich fast 100 Spiele | |
aufgrund gewalttätiger Ausschreitungen vorzeitig abgebrochen. Mal werden | |
Gegenspieler nach dem Schlusspfiff bis in die U-Bahn verfolgt, mal | |
entwickeln sich eigentlich harmlose Zweikämpfe zu Messerstechereien, so | |
geschehen bei der Begegnung von Roland Borsigwalde und Hürtürkel vor zwei | |
Jahren. Die Sportgerichtsbarkeit der Hauptstadt verhandelte allein in der | |
laufenden Saison 520 Verfahren mit gewalttätigem Hintergrund. Zwar ist der | |
Trend inzwischen rückläufig, doch das Gewaltproblem bleibt. | |
Die Ursachen der Gewalt sind verschiedenster Natur. Migration, sozialer | |
Neid, Ost gegen West, Stadt gegen Land. "Der Sport ist nur ein Spiegelbild | |
gesellschaftlicher Probleme", meint Stefan Karle und macht das Dilemma | |
deutlich: Eigentlich ist es eine der Kernfunktionen des Sports, eben diese | |
Spannungsfelder aufzulösen - und nicht, sie zu verschärfen oder | |
auszusitzen. Karle ist Diplompädagoge und arbeitet beim Kiezprojekt Kick im | |
Wedding. Seit 2003 ist er nebenberuflich für den Berliner Fußball-Verband | |
(BFV) tätig. Mehrmals im Jahr veranstaltet Karle einen Antigewaltkurs für | |
gewalttätige, meist jugendliche Fußballer. Mit Erfolg: Von rund bisher 130 | |
Teilnehmern wurden nur drei rückfällig. Die Antigewaltkurse sind Teil eines | |
breiten Maßnahmenpakets des BFV. Dazu zählen etwa spezifische | |
Fortbildungsmaßnahmen für Trainer, Betreuer oder Schiedsrichter. | |
Mit diesen Maßnahmen haben sich die Berliner deuschlandweit inzwischen eine | |
Vorreiterrolle auf dem Gebiet der Gewaltprävention im Fußball erarbeitet. | |
Denn auch wenn es unter anderem in Hamburg oder Schleswig-Holstein ähnliche | |
Initiativen gibt, tun sich die meisten der 21 Landesverbände des Deutschen | |
Fußballbunds (DFB) nach wie vor schwer, das Gewaltproblem überhaupt als | |
Problem anzuerkennen. "Viele denken immer noch, dass sie auf einer Insel | |
der Glückseligen leben", ärgert sich Gerd Liesegang, BFV-Vizepräsident und | |
einer der Hauptinitiatoren des Antigewaltprogramms. So würden | |
gewaltbedingte Spielabbrüche vielerorts lieber bequem verharmlost denn | |
ernsthaft angegangen. Nur wenige Verbände dokumentieren die Vorfälle. | |
Den ersten Anstoß habe das BFV-Projekt erhalten, als sich 1989 die zwei | |
Kreuzberger Jugendmannschaften Eintracht Südring und Umutspor im Anschluss | |
an ein Freundschaftsspiel (!) eine regelrechte Straßenschlacht lieferten. | |
Seitdem wurden die Konflikt- und Gewaltpräventionsprojekte sukzessive | |
fortentwickelt. Doch diese Programme haben es nicht leicht. | |
Sie sind existenziell auf ein hohes ehrenamtliches Engagement angewiesen. | |
Das Budget reicht gerade so für zwei halbe Stellen und die | |
Verwaltungskosten. Vier Fünftel des Jahresetats von 100.000 Euro trägt das | |
Land Berlin, eine Summe, die sich schnell relativiert, wenn man bedenkt, | |
dass der Senat allein für seine jüngst gestartete | |
"Freundlichkeitsoffensive" nahezu das Dreifache an Steuergeldern aufbringt. | |
Für Liesegang, dessen Engagement bereits zweimal mit dem | |
Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, ist jedoch nicht der finanzielle | |
Aspekt entscheidend. Vielmehr sei es notwendig, dass bei Betreuern, | |
Trainern und den Spielern selbst ein größeres soziales Bewusstsein für den | |
respektvollen Umgang miteinander einkehre. "Wir brauchen Menschen, die den | |
Fairplay-Gedanken leben und sich entsprechend verhalten." Ansonsten werden | |
von Gewaltszenen überschattete Spiele wohl weiterhin viel zu oft der ganz | |
normale Ausnahmezustand sein. | |
14 Mar 2009 | |
## AUTOREN | |
Philipp Stachelsky | |
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