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# taz.de -- Debatte Obama und seine Gegner: Munter den Kreis quadriert
> Bei allem Erfolg: Obamas Gegner werden von den amerikanischen Medien
> massiv unterstützt. Die allfällige Sozialdemokratisierung der USA muss
> daher von ihm ausgehen.
Barack Obamas Umfragewerte sind hoch, er dominiert die nationale Bühne, und
viele, die den Präsidenten nicht gewählt haben, unterstützen ihn heute.
Die Republikaner indessen sind so hörbar wie sichtbar zerstritten. Vor
allem aber sind sie schockiert. Jedoch nicht von dem offensichtlichen
Scheitern des US-amerikanischen Kapitalismus, sondern von Obamas Vorstößen.
Der beabsichtigt den Konjunkturprogrammen einen ganzen Katalog an
Programmen zu Bildung, Umwelt, Gesundheit, Transport sowie sozialen
Investitionen beizufügen. Kurzerhand bezeichnen sie diesen Dualismus als
"europäischen Sozialismus". Tatsächlich tritt der Präsident in die
Fußstapfen der beiden Roosevelts ebenso wie in die von Truman, Kennedy und
Johnson. Und bekanntlich hing keiner dieser Staatsmänner der
sozialistischen Idee an. Doch trotz dieser systematischen
Geschichtsklitterung setzten die ohnehin nur in ihrer Mittelmäßigkeit
überzeugenden Medien alles daran, die ideologische Gegeninitiative der
Republikaner zu legitimieren. Die Vulgarisierung unseres öffentlichen
Diskurses ist enorm: Selbst die New York Times fragte Obama zu dessen
offensichtlichen Erstaunen, ob sein Programm "sozialistisch" sei. Alles,
was das gegenwärtige Verhältnis zwischen Staat und Markt antastet, wird von
ihnen als gefährlich deklariert. Zudem verteidigen die Republikaner
weiterhin vehement die amerikanische Hegemonie und die dazugehörige
Gewaltanwendung als unumstößliche Elemente der nationalen Identität.
Noch ist nicht absehbar, was aus Obamas Initiativen wird. Womöglich bedarf
ein Wirtschaftsaufschwung wesentlich umfangreicherer und radikalerer
Schritte. Womöglich ist auch die tatsächliche Verstaatlichung sowohl der
Banken als auch großer Unternehmen unumgänglich. Eine solch weitreichende
Erschütterung des US-amerikanischen Marktfundamentalismus allerdings kann
nur erreicht werden, sofern Kirchen, Kommunalregierungen, Gewerkschaften
und Bürgerinitiativen eine Mobilisierung der Bevölkerung in Gang setzen,
welche die Intensität des Wahlkampfes noch übertrifft.
Obamas Intuition, dass er nur Erfolg haben kann, wenn er die eingefahrenen
Gewohnheiten und Interessen der amerikanischen Politik in Frage stellt, ist
richtig. Sein vordringlichstes Ziel ist daher, nicht nur die gesetzlichen
Grundlagen für seine Programme zu schaffen, sondern vor allem muss er 2010
die demokratischen Mehrheiten im Kongress und im Senat zu vergrößern. Denn
trotz Demoralisierung und interner Konflikte verfügen die Republikaner nach
wie vor über eine beträchtliche Macht. Um im Senat ein Gesetz
durchzubringen, benötigen die Demokraten 60 Stimmen, das heißt 9 Stimmen
zusätzlich. Die 41 republikanischen Senatoren - die Demokraten haben 58
Stimmen, 1 Sitz ist immer noch vakant - nutzen dieses Handicap natürlich.
Im Repräsentantenhaus hingegen erfreuen sich die Demokraten einer klaren
Mehrheit: 254 Sitze gegen 178 republikanische Repräsentanten, 3 Stellen
sind noch unbesetzt. Jedoch stehen die Demokraten keineswegs geschlossen
hinter Obamas Wirtschafts- und Sozialpolitik.
Kennedy hatte die Demokraten 1961 wieder an die Regierung bringen können,
weil die Partei und ihre Anhänger das Vermächtnis des New Deal aus der
Eisenhower-Zeit am Leben erhalten hatten. Die Demokraten unter Jimmy Carter
und Bill Clinton hingegen schlugen dieses Erbe aus. Folglich obliegt es nun
Obama, nicht nur die Nation, sondern auch seine eigene Partei davon zu
überzeugen, dass es zu einer Renaissance der amerikanischen
Sozialdemokratie keine Alternative gibt.
In Sachen Außenpolitik lernt Obama derzeit, wie er einen imperialen Apparat
einschließlich Militär und Geheimdiensten zu leiten hat. Er und seine
Außenministerin Clinton setzen dabei ihr Vertrauen auf die Staatssekretäre,
die zuletzt froh waren, Präsident Bush und seinen Vize verabschieden zu
können. Bislang haben Obama und Clinton in Übereinstimmung mit dem
Verteidigungsminister und den Armeeobersten klargemacht, dass sie die
militärische Macht der USA restriktiv einsetzen möchten. Entsprechend wurde
gegenüber China und Russland eine gewisse Offenheit annonciert, die
Verhandlungen mit Syrien haben begonnen, Veränderungen im Verhältnis zu
Kuba werden kommen, und das Außenministerium deutete an, dass die
US-amerikanische Politik im Nahen Osten in Washington und nicht in
Jerusalem gemacht wird. Clintons Absicht, eine Afghanistan-Konferenz
einzuberufen, zu der alle Nachbarn, inklusive des Iran, sowie alle
interessierten Staaten eingeladen werden, zeigt darüber hinaus an, dass die
neue Regierung die USA von der erdrückenden Bürde des Unilateralismus zu
befreien sucht.
Bei den internationalen Wirtschaftsbeziehungen indessen hat es keinen
vergleichbaren Katalog von Initiativen gegeben. So bleibt angesichts der
europäischen Zerstrittenheit abzuwarten, ob der Präsident auf dem im April
in London stattfindenden Wirtschaftsgipfel dafür werben wird, den
Wiederaufbau der internationalen Wirtschaftsinstitutionen zu beginnen.
Bei all diesen offenen Fragen und Unwägbarkeiten darf eines nicht vergessen
werden: die bereits vorhandene und möglicherweise in Zukunft weiter
zunehmende Bösartigkeit der Gegnerschaft zu Obama. Viele Bürger, zumal in
den bildungsfernen Schichten, erachten ihn nach wie vor als illegitim. Und
für weite Teile des Kapitals stellen Obama und die Demokraten eine direkte
Bedrohung ihrer Interessen dar. Deshalb versuchen sie, den
Durchschnittsbürger davon zu überzeugen, dass auch für sie und ihn eine
Ausweitung der Macht des Staates bedrohlich werden kann. Die religiösen
Fundamentalisten ihrerseits fühlen sich von Obamas kultureller und
religiöser Offenheit sowie durch seine Unterstützung wissenschaftlicher
Ratio (wie etwa die Förderung der Stammzellforschung) provoziert. Und schon
längst haben die außenpolitischen Unilateralisten ihn für seine Politik
gegenüber China und Russland kritisiert. Gemeinsam mit der Israel-Lobby
warnen sie ihn vor Verhandlungen mit dem Iran.
So befindet sich Obama in einer grundlegend paradoxen Situation. Seine
lang- und kurzfristigen Programme sind Experimente in politischer Bildung,
die gute Chancen haben, eine ganze Generation für die Fortführung eines New
Deal zu gewinnen. Doch diese Programme werden nur erfolgreich sein können,
wenn sie von einem öffentlichen Bewusstsein getragen werden, das sich
wesentlich von dem unter Clinton und George W. Bush unterscheidet. Obama
muss sich also zunächst selbst schulen, und zwar in den Grenzen und
Möglichkeiten einer Präsidentschaft und in denen einer Nation im 21.
Jahrhundert, das von unkalkulierbaren Krisen und Konflikten geprägt sein
wird. Beruhigend ist dabei nur, und das nicht allein für uns US-Amerikaner,
dass Obama sich seiner intellektuellen und moralischen Bürde bewusst ist.
16 Mar 2009
## AUTOREN
Norman Birnbaum
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