# taz.de -- Prozess um Mord in Templin: Trinken, treten, töten | |
> In Neuruppin stehen zwei junge Männer vor Gericht. Sie sollen nach | |
> gemeinsamer Zecherei Bernd K. totgeschlagen haben. Die beiden Angeklagten | |
> gehören der rechten Szene an. | |
Bild: Unter Neonazis beliebt: der Angeklagte Sven P. hat eine Odals-Runde auf d… | |
Als der Morgen dämmerte, hatten die Mörder Appetit auf Spinat mit Ei. In | |
der Nacht zuvor hatten Christian W. und Sven P. einen Menschen getötet. | |
Schwere Arbeit, die hungrig macht. Stundenlang hatten die beiden Bernd K. | |
misshandelt, ihn geschlagen und gewürgt, ihm das Gesicht zertreten, ihn mit | |
abgebrochenen Bierflaschen traktiert und schließlich versucht, ihn | |
anzuzünden. Als das Opfer am nächsten Tag in seiner Templiner Werkstatt | |
gefunden wird, sind überall an den Wänden Blutspritzer, auf dem Körper des | |
Toten findet die Polizei verkokelten Müll. | |
Es ist eine grauenhafte Tat, die hier vor dem Neuruppiner Landgericht | |
verhandelt wird. Auf der Anklagebank sitzen der 19 Jahre alte Sven P. und | |
Christian W., 22. Sie sind angeklagt, im Juli letzten Jahres Bernd K. | |
getötet zu haben. Sie kannten ihr Opfer. K., 55, war in den letzten Jahren | |
arg ins Straucheln geraten. Alkohol spielte irgendwann die Hauptrolle in | |
seinem Leben, Frau und Töchter, der Job in einer Baufirma liefen nur noch | |
nebenbei und waren schließlich ganz weg. Aus dem Familienvater Bernd K. | |
wurde der stadtbekannte Trinker "Stippi", der, wenn er genug hatte, in | |
einer geerbten Werkstatt an der alten Templiner Stadtmauer seinen Rausch | |
ausschlief. Dort haben ihn schließlich auch die beiden Kleinstadtnazis Sven | |
P. und Christian W. getötet. "Ich wollte mal sehen, wie ein Mensch stirbt", | |
soll P. nach der Tat gesagt haben. | |
Scheinbar ungerührt lauschen die Angeklagten während der Verhandlung den | |
Ausführungen des Gerichts, der Staatsanwaltschaft, ihrer Verteidiger und | |
der Sachverständigen. Jung sind sie, der sorgfältig rasierte Christian W. | |
mit den tief liegenden Augen und der schmächtige Brillenträger Sven P. Ihre | |
Blicke schweifen durch die Fenster des Saales, hinaus in den märkischen | |
Himmel. Nie schauen sie hinüber zum Tisch der Nebenklage. Dort sitzt die | |
Frau, deren Mann sie getötet haben. | |
Carola K. sitzt im Gerichtssaal, weil sie dabei sein will, wenn die Mörder | |
ihres Mannes bestraft werden. Dafür erträgt es die schmale Frau mit den | |
kurzen Locken, zu erfahren, wie Bernd K.s letzte Stunden verlaufen sind: | |
als eine Orgie aus Erniedrigung, Gewalt und Alkohol. Mit versteinertem | |
Gesicht hört sie der Gerichtsmedizinerin zu, die die schweren | |
Gesichtsverletzungen des Opfers beschreibt, den gebrochenen Kehlkopf, die | |
gesplitterten Zähne, Nase, Augenhöhlen, Jochbein - alles zertrümmert. | |
Faustschläge, sagt die Sachverständige, genügten dafür nicht, | |
wahrscheinlich sei Bernd K. getreten worden. Immer gegen den Kopf. | |
Was wirklich geschah am 21. Juli 2008, wissen nur die Angeklagten. Aber sie | |
schweigen, während ihre Anwälte versuchen, die Tat als Auseinandersetzung | |
unter Alkoholikern darzustellen. Und so hört das Gericht als Zeugen den | |
Kriminalisten, der am Abend nach der Tat Christian W. vernommen hat. Der | |
Beamte schildert den Angeklagten als redseligen Typ, der im Verlauf der | |
Vernehmung seinen Mittäter schwer belastet. | |
Der Tag in Templin hatte wie so oft mit dem Biereinkauf begonnen, zehn | |
Flaschen bei Netto, für den Anfang. Irgendwo in der 17.000-Einwohner-Stadt | |
sind die drei aufeinandergetroffen, die beiden stadtbekannten Rechten W. | |
und P. und der alkoholkranke Bernd K. Sie haben getrunken, geraucht, | |
Mädchen angemacht, wie eine Herde Verdurstender sind sie durch die | |
Kleinstadt gezogen. Viele haben sie gesehen: am Marktplatz, am Rewe-Markt, | |
am Busbahnhof. Als es dunkel wurde, machten sich die drei auf den Weg zu | |
K.s Werkstatt. | |
Das klingt nach Einvernehmen, nach Prekariat und einem versoffenen | |
Sommertag in der Provinz. Aber irgendwann in diesen Stunden hat sich das | |
Machtgefüge zwischen ihnen verschoben. Die beiden jungen Männer trieben den | |
torkelnden Bernd K. durch die Kleinstadt, Zeugen haben gehört, wie sie ihn | |
als "Drecksau, Assi, Viech" beschimpften. Sie haben gesehen, wie die | |
Jugendlichen den schmächtigen Mann schubsten und traten, wie er hinfiel und | |
sie ihn hochscheuchten und weitertrieben. Eingegriffen hat niemand. | |
Als die drei in der Werkstatt ankommen, schläft Bernd K. vor Erschöpfung | |
auf dem Fußboden ein. Seine Peiniger fassen das als Provokation auf. "Steh | |
auf, du Drecksau!", soll Sven P. ihn angebrüllt haben. Dann habe er den | |
Liegenden ins Gesicht getreten. Unzählige Male, über mehrere Stunden, | |
inklusive Zigaretten- und Bierpausen. | |
So hat es Christian W. dem Vernehmungsbeamten geschildert: P. wars! Er | |
selbst hingegen habe nur einmal gegen die Hüfte des Opfers getreten, | |
ansonsten zugeschaut und irgendwann überprüft, ob K. noch atmet. Der Puls | |
sei "nur noch lasch" gewesen, er habe zu P. gesagt, er solle aufhören. "Ich | |
mach den jetzt tot", soll der geantwortet und noch dreimal gegen den Kopf | |
getreten haben. | |
Sie sind dann los, haben Stippi liegen gelassen in seinem Blut, sind zum | |
nahen Marktplatz gegangen, erst mal ein Bier trinken. Weil sie am Tatort | |
ihre Räder stehen gelassen hatten, sind sie noch mal zurück. Da lag Bernd | |
K., tot. P. soll gesagt haben, "ich will den anzünden". Nur er soll | |
umherliegenden Müll auf die Brust des Toten gehäuft und entzündet haben. | |
Aber es brannte nicht richtig. | |
In der Morgendämmerung sind sie zu Christian W. nach Hause geradelt. Sie | |
haben seine Freundin geweckt und Spinat mit Ei verlangt. Stephanie Z. war | |
ungehalten: Die beiden waren ihr zu dreckig, und dann das ganze Blut! Bevor | |
sie sich an den Herd stellte, mussten die Männer ihre Schuhe ausziehen, | |
Sven P.s Rudolf-Heß-Shirt und Christian W.s "Frontkämpfer"-Pullover steckte | |
sie in die Maschine, die blutigen Schuhe wusch sie unter kaltem Wasser aus. | |
Gegen Stephanie Z. läuft ein Verfahren wegen Vernichtens von Beweismitteln. | |
Die Nachricht von dem grausamen Mord an Bernd K. verbreitete sich im | |
letzten Sommer wie ein Lauffeuer. Templin gilt als mustergültig | |
durchsaniertes ostdeutsches Vorzeigestädtchen, als Refugium der Kanzlerin, | |
die hier aufgewachsen ist und noch immer ein Haus hat. Es gibt viele Seen | |
und Radwege, eine gut erhaltene Stadtmauer, eine schöne Therme - und ein | |
Problem mit Rechten. Christian W. und Sven P. sind Teil dieses Problems, | |
schon lange. | |
Der 19-jährige Schulabbrecher Sven P. war 2007 wegen eines Hitlergrußes, | |
Körperverletzung, Beleidigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte | |
bestraft worden. Wenig später griff er mit einem Teleskopstock einen Mann | |
an und beschimpfte ihn als "Juden". Einen Monat vor dem Mord an Bernd K. | |
wurde er zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Auch Christian W. war | |
nach einer Haftstrafe wegen schwerer Brandstiftung, gefährlicher | |
Körperverletzung, Volksverhetzung, Diebstahl und Tierquälerei auf Bewährung | |
draußen. | |
Es gibt sie überall, diese Kleinstädte, in denen randständige Existenzen im | |
Straßenbild auftauchen. Es gibt Alkis, Schläger, Rechte. Wie stark sie | |
werden, bestimmt die Mehrheitsgesellschaft. Geht sie offensiv damit um, | |
haben alle eine Chance auf Zusammenleben. Duckt sie sich weg und fühlt sich | |
nicht ernst genommen von Lokalpolitik und Polizei, wachsen die anderen zu | |
einer brutalen Kraft heran. Sie können sich sicher sein, dass niemand | |
hilft, wenn zwei Rechte einen kleinen, betrunkenen Mann durch die | |
Innenstadt schubsen. | |
Nach der Tat marschierten in Templin die Medien an, sie suchten zwischen | |
Ackerbürgerhäuschen und gepflegten Parkanlagen nach Ostnazis und fragten | |
nach Verantwortung. Bürgermeister Ulrich Schoeneich reagierte panisch. Er | |
gab zu Protokoll, er wisse nichts von Rechten in seiner Stadt, und | |
bezeichnete das Verbrechen als Werk von "Durchgeknallten". | |
Man kennt sich in Templin. Schoeneich ist seit 19 Jahren im Amt, zuvor war | |
er technischer Leiter des evangelischen Pflegeheims in der Stadt. Noch | |
einen Monat vor der Tat hatte der Leiter der Templiner Polizeiwache | |
öffentlich erklärt, dass sich die Zahl politisch rechts motivierter | |
Straftaten in der Stadt im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt habe. Und | |
der aktuelle Brandenburger Verfassungsschutzbericht zählt 80 Templiner zur | |
rechtsextremen Szene, 30 davon gelten als gewaltbereit. Schoeneich moniert, | |
er sei darüber nicht informiert worden; er könne sich schließlich nicht um | |
alles kümmern. | |
Nachdem Bernd K. gestorben war, offenbarte sich die ganze Sprachlosigkeit | |
in der Gemeinde. Ein Gedenkkonzert, das der Neffe des Opfers organisiert | |
hatte, wurde von Schoeneich kurzerhand abgesagt, Begründung: Hier könne | |
nicht jeder irgendwas veranstalten. Zur Beerdigung in einem städtischen | |
Sammelgrab kamen gerade mal 37 Menschen, unter ihnen der Bürgermeister. | |
Heute gefragt, ob er sich jemals persönlich an die Familie des Toten | |
gewandt hat, antwortet er: "Da bin ich nicht drauf gekommen. Ich bin ja | |
kein Psychologe, die kriegen so was bezahlt." | |
Bernd K.s Witwe hat die Hoffnung auf Anteilnahme aufgegeben. "Der | |
Bürgermeister hat sich nie bei uns gemeldet", sagt sie in einer | |
Prozesspause, "außer wir sollen Hundesteuer zahlen, dann sind wir | |
Templiner." Es ist einer dieser kleinstädtischen Zufälle, der sie mit | |
Schoeneich verbindet. Vor Jahren hat Carola K. als Mitarbeiterin einer | |
Baufirma in Schoeneichs Büro eine Polstertür eingebaut. Damit er vom Lärm | |
der Kleinstadt unbehelligt arbeiten kann. Heute sagt sie: "Dahinter kann er | |
sich jetzt verstecken." | |
Am Dienstag sollen am Neuruppiner Landgericht die Urteile gegen Sven P. und | |
Christian W. ergehen. | |
22 Mar 2009 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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