# taz.de -- Komoreninsel Mayotte: Die EU-Süderweiterung | |
> Die Bewohner der Komoreninsel Mayotte stimmten mit großer Mehrheit dafür, | |
> 101. Departement Frankreichs und damit EU-Mitglied zu werden. Sie hoffen | |
> auf bessere Sozialleistungen. | |
Bild: Europa ist schön. | |
Die Sonne knallt auf den Platz, auf dem sich eine kleine Menschenmenge | |
versammelt hat: Eine Militärkapelle spielt einen Marsch, unter den Augen | |
Dutzender Würdenträger in weißem langem Gewand und weißem Käppi auf dem | |
dunklen Schädel marschiert ein kleines Kontingent Fremdenlegionäre heran. | |
Während weiße und schwarze Soldaten einträchtig die "Marseillaise" singen, | |
wird ein Kranz zu Ehren der Gefallenen des Ersten Weltkriegs niedergelegt, | |
denn der 11. November, der Tag des Waffenstillstands, wird in Mamoudzou | |
fast so feierlich begangen wie im fernen Paris. Danach verzieht sich die | |
Menge in die menschenleeren Straßen - aufgrund des Feiertags ist alles | |
geschlossen. Nur ein paar schickgemachte Französinnen klagen, im Schatten | |
eines Affenbrotbaumes sitzend, über die Kürze der Zeremonie. | |
Der junge Taxifahrer Sami Abdallah ist einer der wenigen Einheimischen, die | |
sich unter die weißen Zuschauer gemischt haben. Er steht fest zu | |
Frankreich: "Früher gab es hier keine Straßen, nichts. Jetzt ist es besser. | |
Wir leben besser so." Der Komparativ ist wichtig für das Lebensgefühl der | |
Mahorais, der Einheimischen von Mayotte. Sie brauchen nur einen kleinen | |
Blick auf die komorischen Nachbarinseln Ngazidja, Ndzuwami und Mwali zu | |
werfen, um sich davon zu überzeugen, dass sie 1974 die richtige Wahl | |
getroffen haben, als sie bei der Volksbefragung zu 96 Prozent beschlossen | |
haben, weiter zu Frankreich gehören zu wollen. Die Nachbarinseln gehören zu | |
den ärmsten Gebieten der Welt. Zwar erhält die Föderation der Komoren | |
Gelder von der EU und dem IWF, aber das ist nichts im Vergleich zu den 635 | |
Millionen Euro, die Frankreich seinem Überseegebiet Mayotte jährlich | |
überweist. | |
Klima und vulkanischer Boden sind auf allen Inseln gleich. Überall wird | |
Vanille angebaut und Ylang-Ylang, eine Orchideenart, die bei Parfums als | |
Stabilisator verwendet wird, es gibt Kopra, Kaffee, Fisch und ein bisschen | |
Viehzucht. Aber die Preise für Vanille und Ylang-Ylang sind schon lange | |
eingebrochen, seit diese Essenzen zunehmend durch Chemie ersetzt werden, | |
und die Exporterlöse können die hohen Kosten für alles, was auf die Inseln | |
eingeführt werden muss, nicht ausgleichen. Überall gibt es ein hohes | |
Bevölkerungswachstum und eine hohe Arbeitslosigkeit. Auf Mayotte soll sie | |
über 50 Prozent betragen. | |
Und dennoch sind die Unterschiede unübersehbar: Auf Ngazidja, der größten | |
Komoreninsel, springt die Armut ins Auge: Armselige Hütten mit Dächern aus | |
Wellblech oder Kokosblättern. Selbst in der Hauptstadt Moroni sind viele | |
Straßen nicht asphaltiert. Um den großen Volo-Volo-Markt im Herzen von | |
Moroni liegt ein Kreis von stinkendem Müll, in dem die Hunde wühlen. Strom | |
gibt es nur gelegentlich, und vor den Wasserstellen stehen ständig lange | |
Schlangen von Frauen, denn über eine Wasserleitung verfügt kaum jemand. | |
Auf Mayotte hingegen gibt es die meiste Zeit Strom und fast überall | |
fließend Wasser. Die Straßen sind asphaltiert und sauber, nachts gibt es, | |
zumindest in der Hauptstadt, Straßenbeleuchtung. Auf dem kleinen Markt in | |
Mamoudzou sitzen selbstbewusste Afrikanerinnen vor den gleichen Häufchen | |
wie in Moroni: Papaya, Jackfruit, Mangos, Zimt, Gewürznelken und Vanille | |
verkaufen sie. Aber hier ist es sauber, kein Müll liegt umher. Und im Café | |
Caribou gibt es sogar französische Croissants. | |
Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich war sich zunächst durchaus nicht | |
sicher, dieses Armenhaus von einer Insel behalten zu wollen - schließlich | |
besitzt es mit La Réunion bereits einen Stützpunkt in der Region. Und da | |
auch die UNO die Zugehörigkeit Mayottes zu Frankreich kritisierte, hat es | |
die Insel bisher als "Gebietskörperschaft" geführt, was bedeutet, dass die | |
französischen Gesetze nur eingeschränkt Geltung hatten und die Mahorais | |
keinen Anspruch auf gleichen Lebensstandard. Dennoch hat Frankreich viel | |
Geld in die Insel gesteckt: Während auf den Nachbarinseln die schwere | |
Malaria tropica endemisch wütet, wurde sie auf Mayotte fast völlig | |
ausgerottet. Und während auf den Nachbarinseln das Schulsystem eher | |
rudimentär existiert, gehen auf Mayotte fast alle Kinder zur Schule, die | |
Besten können in Frankreich studieren. | |
"Wir sind nicht nur Franzosen, sondern auch Europäer", erklärt Abdou Razak | |
Mouhammad, ein Notabler von Mamoudzou. "Wir können überall arbeiten. Doch | |
dafür brauchen wir die nötige Ausbildung. Wir wollen, dass unsere jungen | |
Leute etwas lernen, damit sie hier Arbeit finden, aber vor allem, damit sie | |
woanders arbeiten können." Woanders heißt zumeist Frankreich. Das | |
Durchschnittsalter der Komorer liegt bei 17 Jahren, und die jungen Leute | |
finden auf Mayotte keinen Job - zumal sie nicht mehr in der Landwirtschaft | |
arbeiten wollen, wie Abou Razak Muhammad freimütig einräumt. Fast jede | |
Familie hat einen Angehörigen in Frankreich oder auf La Réunion, der Geld | |
nach Hause schickt. | |
Dafür gilt Mayotte als Auffangbecken für arbeitslose Komorer. Seit für sie | |
Visumspflicht besteht, landen die meisten heimlich - auch vor den Küsten | |
von Mayotte werden immer häufiger Schiffbrüchige aufgefischt. Ein Drittel | |
der etwa 200.000 Einwohner Mayottes ist illegal eingereist, zumeist von den | |
Nachbarinseln. Sie schicken ihrerseits Geld von Mayotte nach Hause. "Hier | |
lebt es sich besser als auf den Komoren", sagt die junge Bedienung im | |
Restaurant Le Faré, wo kahlgeschorene Fremdenlegionäre Hummer mit | |
Vanillesauce in sich hineinschaufeln. Vor allem die örtlichen Krankenhäuser | |
und Kindergärten bekommen die Nöte der Nachbarn zu spüren: "Hier wird | |
beschlossen, ein bestimmtes Budget für Kindergärten bereitzustellen, und | |
nach kurzer Zeit bemerken wir, dass das nicht ausreicht", erläutert Adou | |
Razak Muhammad. "Und warum? Weil ständig von den Komoren neue Kinder dazu | |
kommen oder schwangere Frauen hier illegal anreisen, um hier zu gebären." | |
Mit der neuen Außengrenze wird sich die EU also ein neues Migrationsproblem | |
einhandeln. | |
Für die meist muslimischen Mahorais ändert sich einiges, wenn bald | |
französisches Recht gilt. Ein Gesetzesvorhaben zur Abschaffung der | |
Polygamie wurde hier vor einigen Jahren noch abgelehnt. Mit der Vielehe ist | |
es nun vorbei. Formal zumindest. | |
30 Mar 2009 | |
## AUTOREN | |
Antje Bauer | |
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