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# taz.de -- Werner Schroeter über den Film "Diese Nacht": "Weil ich ja diese E…
> Sie hat mir den Bierseidel auf den Kopf geschlagen, erzählt Werner
> Schroeter - ein Gespräch über den Mordversuch einer Schauspielerin,
> seinen Hass auf die digitale Kultur und den Sieg über die Todesangst.
Bild: Wim Wenders (l) überreicht auf dem Filmfestival in Venedig 2008 dem Regi…
taz: Herr Schroeter, "Diese Nacht" ist ein betont finsteres Werk. Wie kamen
Sie an den Stoff?
Werner Schroeter: Eigentlich hatte ich ja meinen Lieblingsroman adaptieren
wollen, James Baldwins "Giovannis Room", nur weniger steril und sauber
geputzt als "Brokeback Mountain". Die Baldwin-Adaption blieb aber
unfinanzierbar. Dann schlug man mir den Autor Juan Carlos Onetti aus
Uruguay vor - und ich hatte ja viel zu tun mit Südamerika.
Sie schreiben, Sie hätten mit Ihrem neuen Film "utopische Formen"
konstruiert. Wo steckt in dieser ultrapessimistischen Erzählung denn die
Utopie?
Im Tod. In der Freiheit, den Tod zu wählen. Die Schönheit des Films liegt
darin, dass ich dies in aller Grandezza umsetze - und nicht so
fadenscheinig als Krümelkuchen serviere wie viele meiner Landsleute
derzeit. Dieses psychologische Fitzeln - und dann hat Oma vielleicht noch
mal einen Orgasmus. Nein, das ist eine andere Welt. Mein ganzes Leben ist
eine Utopie, weil ich immer in der Hoffnung lebe. Ich denke positiv, daher
überlebe ich ja bislang auch meine Krankheit, erstaunlicherweise. Mit
ungeheurer Energie hab ich neun Wochen lang in Porto gedreht: allnächtlich
von 18 Uhr abends bis morgens um sechs. Ein Kraftaufwand enormer Art. Ich
liefere mich fatalistisch Situationen aus, bin aber nicht nachgiebig, nicht
mit mir und nicht mit anderen. Deshalb gelingt das auch: dass man
Todesangst besiegen kann. Sie ist nicht Bestandteil meiner Welt. Ich weiß
gar nicht, wann sie mich verlassen hat.
Dietrich Kuhlbrodt hat bereits 1980 über Sie geschrieben, dass Sie "das
Sterben als mysteriöse Lust" feierten. In "Diese Nacht" malen Sie nun
tatsächlich eine Todesgesellschaft an die Wand.
Ja, aber eine, die von Liebe und Zuneigung getragen ist. "Diese Nacht" war
eine ungeheuer produktive, kokreative Arbeit. Das liegt auch an meiner
Hinwendung zum Französischen. Ich befreie die Schauspieler von ihrem
Akademismus, der im französischen Darstellungsstil leider noch vorhanden
ist. Ich gebe der Sprache mehr Volumen, eine größere Sinnlichkeit.
"Diese Nacht" changiert zwischen Apokalypse und Sarkasmus. Wie spaßig ist
Ihr Film denn gemeint?
Ich finde, die Balance ist ganz gut gefunden. Manche Szenen haben durchaus
ihren trivialkomischen Reiz.
Diese Balance ist aber delikat. Man ist nie ganz sicher, wo das Melodram
ins Tragikomische kippt.
Man soll ja auch nicht sicher sein. Sicherheit ist langweilig.
Glücklicherweise habe ich diesen wahnsinnigen Piratenproduzenten Paulo
Branco, der von mir als Künstler überzeugt ist - in voller Kenntnis der
Schwierigkeiten, die solche Filme auslösen. Paulo meinte einmal, ein Tag
ohne Risiko sei ein verlorener Tag. Ich stimmte rückhaltlos zu.
Ist es wahr, dass eine Ihrer Schauspielerinnen der frühen Jahre, Carla
Aulaulu, einst einen Mordversuch an Ihnen verübte?
Ja, ja. Versehentlich. Das war mehr ein Totschlagversuch. Sie hat mir ein
Bierseidel auf den Kopf geschlagen, aus dummer Eifersucht - und mir einen
Schädelbasisbruch zugefügt.
Wieso war sie eifersüchtig?
Die dachte, ich sei auf ihren Angebeteten scharf. Dabei wollte der gar
nichts von mir. Und ich wollte nichts von ihm.
Ihre weitere Zusammenarbeit hat das nicht behindert. Da sind Sie nicht
nachtragend.
Überhaupt nicht. Erst hat sie mein Freund Rosa von Praunheim, ihr damaliger
Ehemann, so verprügelt, dass sie aussah wie ein Kaktus. Dann haben wir
weitergearbeitet. Carla ist eine sehr fantasievolle Person, die aber vor 35
Jahren schon verrückt geworden ist, das muss man leider sagen.
Früh wurden Sie von der Musik geprägt: vor allem von Caterina Valente und
Maria Callas. Bedeuten Ihnen die beiden heute noch so viel wie einst?
Callas ist mein Leitstern, immer und immer und immer. Das ist die Person,
von der ich alles gelernt habe. Alles. Jede Phrasierung von ihr ist ein
Gebäude aus Zeit und Raum. Eine Platte von ihr hab ich immer dabei: Verdis
"Macbeth". Das ist wie die "Pietà" von Michelangelo: gemeißelter Raum,
gemeißelte Zeit. Das ist genial. Für mich war Callas wie eine Botin
zwischen Gott und Mensch. Sie war una messaggera - tief melancholisch, aber
auch mit viel Humor. Callas ist die wichtigste Person in der Kunst für
mich.
Und Valente?
Die hab ich jetzt vergessen, das muss nicht mehr sein. Obgleich ich von
Zeit zu Zeit wieder aufgelegte Sachen höre wie ihre Jazzeinspielungen mit
Chet Baker. Nein, eigentlich finde ich auch Valente sehr ingeniös. Gut, die
muss jetzt auch bald 80 sein. Bei der "Malina"-Premiere in Berlin vor 18
Jahren sang sie für mich ein Medley mit ihrer Band. Das war süß.
Ein Schroeter-Zitat: "In der bürgerlichen materialistischen Gesellschaft
gibt es nur zwei Positionen, die eine Art von Freiheit haben - die des
Verbrechers und die des Künstlers."
Ja. Klar. Zwei kreative Positionen.
Mit dem Unterschied allerdings, dass der Künstler die Gesellschaft nicht
beschädigt.
Mitunter schade, nicht? Wenn Sie sagen, mein neuer Film scheint ein Moment
der Provokation zu enthalten … Kinder, nein, also, dann muss man noch mehr
aufn Putz hauen!
Die Provokation dieses Films ist seine Reinheit.
La pureté, genau. Das trifft auch auf die völlig zu Unrecht übel
beleumundete Schauspielerin Amira Casar zu. Sie hat in ihrer Konsequenz so
eine Klarheit im Gesicht: das ist pureté in extremis. Und dann reden die
Leute schlecht über sie, weil sie extravagant sei - das ist so dumm! Sie
ist großartig, aber anstrengend, weil sie tausend Ideen hat und rumhopst
und einfach ein lebender Mensch ist.
Sie haben kein Problem mit divenhaften Schauspielern?
Ach, ich hab doch mit Schauspielern kein Problem! Ich kriege Liebesbriefe
von denen.
Bei Ihnen ist alles immer harmonisch am Drehort?
Ja. Wenn jemand laut wird, gehe ich. Dann können sie den Film alleine zu
Ende drehen. Passiert auch nicht. Nie.
Ihre Filme entstehen also in einer Atmosphäre …
… der größten Harmonie. Sonst kann man nicht weit gehen. Das ist die
Antiposition zu jener meines Freundes Fassbinder, der meinte, nur aus dem
Chaos entstehe etwas. Chaos ist gut, aber es muss ein harmonisches Chaos
sein, in dem man Dinge, Bilder und Gedanken abrufen kann. Aus einem
brüllenden, hysterischen Chaos kann man nichts abrufen.
Es geht nicht um Konfrontation, sondern um Zusammenspiel.
Die Schöpfung verlangt auch etwas Ruhe, eine Stille, aus der etwas
entsteht. Auch Stille kann chaotisch sein.
Sind Ihre Filme schwer zu finanzieren?
Alles ist schwer zu finanzieren für mich. Weil ich ja diese Extravaganz
bin. Das wissen Sie doch, das ist wohl nur eine rhetorische Frage. Es ist
extrem schwer. In Deutschland ist meine Verweigerung der deutschen Sprache
etwa ein Punkt.
Sie würden keinen Film mehr in deutscher Sprache drehen?
Nö. Ich hab die Nase voll von Deutschland. Ich hab mich seither intensiv
auf Italien eingelassen, auf Mexiko und Argentinien. Das sind ja immer auch
Eroberungen. Ich habe keine Lust zur Rückkehr. Warum denn?
Sie sehen die Kunst, wie Sie einst sagten, "als soziale Einrichtung - wie
im alten Griechenland".
So ist es. Ohne Kunst ist das Leben Barbarei. Das sehen Sie ja an der
Computer- und Handy-Unkultur. Der Mensch muss keine Anstrengung mehr
machen, sich etwas zu erobern. Man googelt es - das ist eine Entfremdung
vom anderen: wirklich kunstfeindlich. Schmerz und Suche gehören zur Kultur,
nicht bloß tapp, tapp, tapp! Dabei ist die Kunst so wichtig, auch die Ars
amandi und das Kochen! Es macht mich rasend, wenn schlecht gekocht wird!
Die Lebensqualität, die Lebenslust, die Rituale gehen unter; das ist ein
Verlust an Kultur, der den Menschen noch mehr sich selbst aussetzt in einem
schattigen Computerraum, in einem depperten elektronischen Spiegel. Das ist
sehr schade.
Auch die digitale Kultur kann doch Kunst entstehen lassen.
Es bleibt ja nichts anderes übrig. Sonst wäre es der Untergang. Es muss.
Als um 1910 die ersten Kunstfilme auf den Markt kamen, gabs bestimmt auch
Leute, die meinten, am Theater werde die Kultur noch hochgehalten, aber im
neumodischen Kino gehe sie unter.
Dann kam aber bald der Tonfilm, und der Farbfilm galt als Kitsch. In "Diese
Nacht" ist die Farbe aber richtig eingesetzt, nämlich dramaturgisch. Dann
hats seine Berechtigung, ansonsten liebe ich Schwarzweißfilme mehr.
Das Melodram als Form ist Ihnen seit je nahe. Was interessiert Sie an
diesem alten Genre noch?
Die Sinnlichkeit. Dass man den Menschen als Körper nimmt und nicht als
Gedanken. Die Sprache ist doch körperlich. Sie ist wie Pisse, das ist auch
physisch. Alles ist Körper. Schauen Sie doch: Hier ist der Sprachkörper.
Und jetzt ist er weg.
2 Apr 2009
## AUTOREN
Stefan Grissemann
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