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# taz.de -- Montagsinterview Stadtsoziologe Häußermann: "Die Bürger sind ein…
> Hartmut Häußermann fordert mehr soziale Mischung in den Kiezen. Was
> passiert, wenn angestammte Bewohner verdrängt werden, sieht er vor der
> eigenen Haustüre am Kollwitzplatz.
Bild: Hartmut Häußermann lebt seit zehn Jahren am Kollwitzplatz in Prenzlauer…
taz: Herr Häußermann, Sie wohnen am Kollwitzplatz - mitten im
Anschauungsgebiet, wenn es um Verdrängung und die viel gescholtene
"Gentrifizierung" geht. Fühlen Sie sich hier noch wohl?
Hartmut Häußermann: Ich fühle mich sehr wohl. Wenn man von Gentrifizierung
hier spricht, ist das sicher eine Tendenz - mehr aber auch nicht. Es ist
schon noch sehr durchmischt hier.
Das heißt, Sie treffen noch viele angestammte Bewohner?
Ja sicher, hier im Haus zum Beispiel. Es ist ja ein Irrtum, dass man an der
Fassade erkennt, wer dahintersteckt. Einige Häuser sind schön renoviert und
sozialer Wohnungsbau, und da wohnen noch häufig Menschen, die hier tief
verwurzelt sind.
Ihre Wohnung ist hell und geräumig, aber nicht luxuriös. Sehen Sie sich
selbst als Teil der Verdrängung oder als Teil der Hausgemeinschaft?
In dem Haus stand die Hälfte der Wohnungen leer, als ich vor zehn Jahren
einzog, also ich kann gar niemanden verdrängt haben. Wir haben zusammen mit
einer Gruppe das Haus gekauft und im Zuge der sozialen Stadterneuerung
saniert. Die Bewohner hatten die Wahl, zu bleiben.
Sie haben sich ja lange gegen den Begriff "Gentrifizierung" gewehrt. Warum
eigentlich?
Gentrifizierung ist in Amerika eine Theorie für die Entwicklung
innerstädtischer Gebiete, die es hier so nicht gibt. Dort ist es ein reiner
Marktprozess, gesteuert von Investoren, es gibt kaum Mieterschutz. Solche
Prozesse gibt es bei uns nur in Ansätzen, denn wir haben hier im
Sanierungsgebiet viel staatliche Regulierung und Förderung gehabt. Jeder
Mieter hatte in der Zeit der Sanierung, das Recht und die Möglichkeit, zu
bleiben. In dieser Zeit gab es natürlich viel Veränderung, viele etwa
wurden rausgekauft. Der Punkt ist: Man musste sich engagieren, man musste
sich mit Eigentümern auseinandersetzen. In praktisch jedem Haus ist eine
andere Regelung möglich gewesen. Der Wandel hier ist das Ergebnis komplexer
Prozesse - abhängig vom Verhandlungsgeschick der Bewohner - und eben nicht
vor allem von ökonomischen Faktoren.
Könnte sich das jetzt ändern, wo Schutzfaktoren von staatlicher Seite
abgebaut sind?
Das tut es. Seit die soziale Stadterneuerung vor einigen Jahren
eingestellt, seit das Sanierungsgebiet Ende letzten Jahres aufgehoben
wurde, gibt es faktisch nur noch Modernisierung bei Umwandlung in
Eigentumswohnung. Die Tendenz verändert das Viertel auf lange Sicht:
Seither geht es vor allem nach dem Markt, jede Sanierung ist verbunden mit
einer saftigen Mieterhöhung und hat entsprechende Verdrängungseffekte zur
Folge. Seither rede ich auch eher von Gentrification.
Sie sind vor mehr als fünfzehn Jahren zurück nach Berlin gekommen, vor zehn
Jahren nach Prenzlauer Berg gezogen. Hätten Sie gedacht, dass sich der
Stadtteil derart verändert?
Dass er sich so rasch und in diese Richtung verändern wird, hätte ich nicht
gedacht. Aufgrund der ökonomischen Situation von Berlin habe ich nicht
damit gerechnet, dass es so eine große zahlungskräftige Klientel gibt, die
luxuriöse Wohnungen kaufen würde.
Hat die Politik da etwas versäumt?
Nach meiner Ansicht ist es ein Versäumnis, dass das Land Berlin keine
soziale Stadterneuerung mehr finanziert. Ich halte auch die Entscheidung
für falsch, sich aus dem sozialen Wohnungsbau zurückzuziehen.
Großsiedlungen haben wir genug, aber nötig wären kleine Einheiten, überall
in der Stadt verstreut, eine Art Akupunktur. Damit selbst in Gebieten, in
denen der Markt für höhere Mieten sorgt, durch öffentliche Subvention auch
Wohnungen entstehen, in denen Menschen mit niedrigem Einkommen wohnen
können.
Es erweckt den Eindruck, als ob der Staat seine Steuerungsfunktion in der
Stadtentwicklung zunehmend abgibt - sei es bei der Nachnutzung von
Tempelhof, sei es beim sozialen Wohnungsbau oder bei
Großinvestorenprojekten.
Die Instrumente der Stadtplanung sind ausgerichtet auf wachsende Städte.
Aber wenn es kein Wachstum gibt, wenn die Stadt ein dringendes Interesse
daran hat, dass überhaupt Investoren kommen, dann verändert sich das
Machtverhältnis. Die Entwicklungsprojekte, die wir in Berlin nach der Wende
hatten, sind Beispiel dafür: sogenannte Public Private Partnerships, die
nur funktionieren, wenn die Investoren mitmachen. Man kann Mediaspree nicht
mit öffentlichem Geld bauen.
Beim Projekt Mediaspree hat sich eine dritte Bewegung lautstark zu Wort
gemeldet: die von unten, und sie hat mehr erreicht als nur Provokationen.
Kann das Beispiel Schule machen?
Sicher. Da die Stadtplanung im Ganzen darauf angewiesen ist, mit einem
guten Verhältnis zu privaten Investoren deren Wünschen entgegenzukommen,
sind die Bürger ein wichtiges Korrektiv. Die sagen dann Nein - dieses
Abwehren ist wichtig.
Sie schalten sich seit Jahren mit Studien und dem sozialen Monitoring in
den Politikbetrieb ein. Gleichzeitig werden Herzensanliegen wie der soziale
Wohnungsbau abgeschafft. Haben Sie überhaupt das Gefühl, gehört zu werden?
Bei diesem Thema nerve ich, seit der soziale Wohnungsbau abgeschafft wurde.
Lange Zeit hatte ich das Image, das ist halt ein Traditionalist, wir aber
müssen modern und innovativ sein. Inzwischen sehen wohl viele, dass die
Abkehr vom sozialen Wohnungsbau ein Verlust ist. Aber Politikberatung heißt
nicht Politik machen: Wir entscheiden nicht.
Dabei sehen Sie als Bewohner die Missstände in der Stadt, als
Wissenschaftler wüssten Sie, was zu tun ist. Frustriert das?
Politische Prozesse sind unheimlich zäh und langwierig. Ein Beispiel ist
die Diskussion über die Bildungssituation in den Gebieten, in denen Sie
eine stark segregierte Bevölkerung haben mit hohem Migrantenanteil und
katastrophaler Schulsituation wie im Wedding oder in Nordneukölln. Um diese
Prozesse hat sich der Bildungssenator lange Zeit gar nicht gekümmert. Aber
jüngst sagte auch er, da gibt es ein Problem, wir müssen uns um diese
Schulen kümmern - immerhin! Was er macht, ist immer noch ein anderes Thema.
Politik ist eben auch das Bohren dicker Bretter. Manchmal stößt man auf
aktuelle politische Dokumente und findet Sätze, die man vor sechs Jahren
geschrieben hat - und darüber ist man dann glücklich.
Energisch eingemischt haben Sie sich im Fall des Soziologen Andrej Holm,
der vor zwei Jahren vom Bundeskriminalamt festgenommen worden war. Er wurde
verdächtigt, Mitglied einer linken terroristischen Gruppe zu sein - weil er
Begriffe wie "Gentrifizierung" in seinen Schriften verwendet hatte. Hat Sie
das erschreckt?
Erschreckt hat es mich, weil unsere Arbeit direkt betroffen war. Ihm ist ja
vorgeworfen worden, dass er Begriffe gebraucht, die auf diversen
Flugblättern auftauchen. Das waren Begriffe, die in der Stadtsoziologie
völlig unschuldig gebraucht werden. Dass man sagen kann, das sei
terroristische Anstiftung, diese Ahnungslosigkeit und die
Verschwörungstheorien, die der Verfassungsschutz entwickelt hat, das war
sehr erschreckend. Wenn wir nicht mehr frei kommunizieren und unsere
Begriffe formulieren können, ohne dass die zum Vorwurf politischer
Kriminalität werden … dann ist die Wissenschaftsfreiheit gefährdet.
Das hat die Universität aber ziemlich kaltgelassen. Außer Ihnen und der
Gesellschaft für Soziologie hat sich kaum einer aufgeregt.
Die Universität hat sich insgesamt überhaupt nicht darum gekümmert. Das hat
mich erstaunt, wie gleichmütig meine Kollegen das hingenommen haben. Ich
bin mir sicher, ohne die mediale Aufmerksamkeit, die wir erzeugt haben,
wäre die Sache nicht letztlich glimpflich verlaufen.
Fühlen Sie sich selbst gegängelt, wählen Sie Ihre Worte sorgsamer?
Ich persönlich habe nichts mehr zu verlieren. Es ist etwas anderes, wenn
jemand am Anfang seiner wissenschaftlichen Karriere steht. Das kann
jemanden schädigen - wie sich die Stigmatisierung für Andrej Holm auswirkt,
wissen wir noch nicht. Für mich ist das irrelevant, ich bin am Ende meiner
universitären Laufbahn, ich habe keine Angst.
Sie könnten sich jetzt ins Private zurückziehen - aber was bedeutet
"privat" überhaupt, wenn man Soziologe ist?
Wenn man sich mit solchen Themen beschäftigt wie ich und man denkt, man hat
etwas zu sagen, was andere so nicht sehen, dann kann man das nicht einfach
lassen. Ich habe die ganze Zeit meiner wissenschaftlichen Arbeit als eine
Zeit verstanden, die dazu beitragen sollte, Probleme besser zu verstehen
oder gar zu lösen. Solange es diese Probleme gibt, wird mich das aufregen,
und ich werde mich engagieren.
Mit Blick auf Berlin scheint es ja so, dass sich Probleme in bestimmten
Vierteln verfestigen, andere Gegenden aber vor sich hin schlummern. Von
Dynamik ist nicht viel zu spüren.
Die Dynamik ist insofern in den Armutsgebieten, als diese multikulturell
sind. Die Arbeitslosenquote ist dort hoch. Wir haben vorgeschlagen, so
genannte "Vorranggebiete Zukunftssicherung" einzurichten, und die
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung beschäftigt sich damit. Wedding und
Moabit zusammengenommen und Nordneukölln, also Gebiete mit hoher
Konzentration sozialer Probleme, das sind Gebiete mit 150.000 Einwohnern -
Großstädte! Wenn Sie da eine stark segregierte Bevölkerung haben, werden
Kindern die Lebenschancen genommen. Wir haben gesagt, dort müsste besonders
intensiv - und zwar von allen Senatsverwaltungen gemeinsam! - etwas getan
werden. Zukunftssicherung heißt, Kindern die Bildungschancen zu verbessern.
Das ist das Kapital zum sozialen Aufstieg - das war bei mir ja genauso.
Sehen Sie Ihre Forderungen durch den neuen Sozialstrukturatlas bestätigt?
Er hat die gleichen Ergebnisse wie das Monitoring vom Februar. Aber ist die
Gesundheitssenatorin auf die damalige Forderung nach Zusammenarbeit der
Fachverwaltungen eingegangen? Nein - und das genau ist das Problem der
Senatspolitik bei der Bekämpfung der räumlichen Exklusion.
In den USA sind Gettos das Ergebnis sozialer Entmischung.
Das liegt aber nicht in der Tradition der europäischen Stadt: Alle, die zu
uns kommen, sind Bürger dieser Stadt. Alle haben eine gemeinsame
Verantwortung für die Bürger dieser Stadt - dieser Gedanke lebt noch. Wir
sind nicht so neoliberalisiert, wie oft behauptet wird. In Deutschland
nicht.
Noch nicht?
Ich denke, dass die Idee, dass Städte wie Märkte organisiert werden sollen,
mit der Finanzkrise erst einmal an Geltungsmacht verloren hat. Es geht doch
jetzt darum, dass sich Städte wieder mehr als Orte eines Gemeinwesens
wahrnehmen.
Berlin möchte aber gern ein europäisches Dienstleistungszentrum werden.
Angenommen, die Krise ist überstanden und Berlin entwickelt sich wirklich
in diese Richtung - was dann?
Dann haben Sie eine viel stärkere Nachfrage nach Wohnungen für gehobenen
Einkommensgruppen, und es würde in den innerstädtischen Zentren tatsächlich
großflächige Verdrängung geben. Die Sozialstruktur könnte ähnlich wie in
Paris werden, mit seinen vernachlässigten Banlieues und dem luxuriösen
Zentrum. Wenigstens in dieser Hinsicht hätten wir dann Weltniveau.
6 Apr 2009
## AUTOREN
Kristina Pezzei
## TAGS
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
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In seinem Roman „Sanierungsgebiete“ beschreibt Enno Stahl den Umschlagpunkt
von Aufwertung und Verdrängung am Beispiel des Prenzlauer Bergs.
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