# taz.de -- Auf der "Lebensfreude Messe" in Hamburg: Das Karma von Frau Schmidt | |
> Wo wollene Kleidung, Trampolinspringen und Aura-Fotografie gegen die | |
> unerträglich offenen Fragen in Stellung gebracht (und nie bemerkte | |
> Zipperlein auch nicht kuriert) werden: Ein Besuch bei der "Lebensfreude | |
> Messe" in Hamburg. | |
Bild: Steine auf dem Acker sind Mist, können aber heilen. Die Luft da draußen… | |
Fangen wir mit einem Geständnis an: Mein Karma ist wie der Rest. Schlecht. | |
So wie bei Frau Schmidt, der Fotografin. Jetzt ist es raus. | |
Die Tatsache, dass man vor Betreten von Deutschlands erklärtermaßen "erster | |
und größter Messe für Gesundheit, Ökologie und Spiritualität" am | |
vergangenen Wochenende im Hamburger Congress Centrum acht Euro entrichten | |
muss, spricht nicht gegen die Esoterik. Das nicht. Auch der Geist, und | |
diejenigen, die von ihm leben, müssen essen. Selbst wenn man es den Hageren | |
hier nicht immer ansieht. | |
"Gut fürs innere Kind!", ruft eine Frau die Trampolin springt, immer | |
wieder: "Gut fürs innere Kind!" Leises Trommeln und viele Gerüche wehen | |
durch die Halle. "Warum lässt Gott das zu? Katastrophen und Unglücksfälle, | |
Krankheit und Leid. Was steht der Menschheit bevor?", fragt ein Plakat, um | |
dann die Apokalypse heraufzubeschwören. Gute, alte Apokalypse. Wirkt immer | |
noch. Vor allem, wenn man ein Rezept gegen sie hat. Wenn wir aber das | |
Rezept anschauen, welches hier angeboten wird, dann wählen wir die | |
Apokalypse. | |
Der Esoterik-Branche, der geht es gut, wenn es den anderen Branchen | |
schlecht geht. Ja, sie ist ein Krisengewinnler. Aber es ist nicht die | |
jüngste Wirtschaftskrise, von der sie profitiert, sondern die seit | |
Jahrhunderten bereits währende Krise der Moderne, die sich in allen | |
möglichen Gewändern präsentiert: Merino, härene Wolle, orangefarbene Hosen, | |
in Uniformen, nackt. Oder wie in der "Yoga-Lounge": Da sitzen Menschen ohne | |
Schuhe auf dem Boden, in gelbe Decken gehüllt, und meditieren. | |
Das Kennzeichen der Moderne ist die Entzauberung: Die Erde ist nicht der | |
Mittelpunkt des Weltalls, die Sonne dreht sich nicht um die Erde, der | |
Mensch ist nicht die Krone der Schöpfung und ein Vernunftwesen ist er auch | |
nicht. Und Gott? Auf alle Fragen, die sich daraus ergeben, gibt die | |
Esoterik Antworten. Die mögen falsch sein. Aber so eine falsche Antwort ist | |
leichter auszuhalten als eine offene Frage. | |
Ja, die Moderne ist kalt und entzaubert, und das ist schwer zu ertragen. | |
Das Problem des Versuchs, sie noch mal zu verzaubern, ist: Es geht nur mit | |
denselben Mitteln, die zu ihrer Entzauberung geführt haben. Technik zum | |
Beispiel. Deshalb gibt es auf der "Lebensfreude Messe" auch so viele Stände | |
mit "Aura-Fotografie", und überall eine Mischung aus Technokratie und | |
Irrationalität. Geht zusammen, weil beides eine Angelegenheit des Glaubens | |
ist. Es gibt aber auch Schuhe, Kleider, Essen, Reisen, Kunst, Kosmetik, | |
Massagebänke, Wildschweinborstenbürsten, Reiki. Wo ja sonst immer so viel | |
von Parallelwelten die Rede ist: Das hier ist eine. Und zwar eine schräge | |
Parallelogrammwelt. | |
"Auch Du kannst geheilt sein und selbst zum Heiler werden": Berufsfindung | |
ist auch ein wichtiges Thema. "Geistheilen als Beruf", steht an einem | |
Stand. Ein Handwerk, das sozusagen über seinem goldenen Boden schwebt. | |
Lebenshilfe, nicht Produkt | |
Die Moderne ist ja auch dadurch gekennzeichnet, dass die Dinge nicht das | |
sind, was sie sind, sondern zugleich ihr Gegenteil. Das Wasser aus der | |
Leitung ist vergiftet, das Esoterische ist eine Arznei. Deine Schuhe sind | |
schlecht für Dich, mit einem esoterischen Schuh springt jeder Lahme. Steine | |
auf dem Acker sind Mist, sie können aber heilen. Die Luft da draußen ist | |
vergiftet, aber die Luft des Raums, in dem der Guru weilte, ist pure Kraft. | |
Hier werden alle wichtigen Themen verhandelt: Sex, Liebe, Erfolg, | |
Kindererziehung, Ernährung, Glück, Alter. In diesem Gewerbe, das davon | |
lebt, Steine, Wasser, Luft und schlecht gemalte Bilder zu verkaufen, kommt | |
es auf das Geschick des Verkäufers an. Und auf den Glauben des Käufers. Es | |
wird ja auch nicht bloß ein Produkt verkauft, sondern die Lebenshilfe, die | |
mit dem Produkt verbunden ist: Wenn die Dinge, die es hier zu kaufen gibt, | |
etwas bewirken, dann, weil die Käufer an sie glauben. | |
Diesen Glauben auf das Wasser, die Luft und den Stein zu richten, das ist | |
die Aufgabe der Verkäufer. Sie vermitteln zwischen dem Dies- und dem | |
Jenseits, zwischen Sinnlosigkeit und Sinnstiftung, Krankheit und Heilung, | |
Unglück und Glück. Die Methode der Esoterik besteht darin, diese Differenz | |
zwischen den Welten zu dramatisieren und sie dann zu überwinden. | |
Da ist ein Stand, der verkauft Energiebilder für "Liebe und Partnerschaft, | |
Gesundheit und Lebensfreude?" - "Sie müssen sich ins Schwitzen bringen", | |
sagt der Verkäufer, "dann gehen die Verstopfungen weg." Es handelt sich | |
freilich um Verstopfungen im übertragenen Sinne. Überhaupt: Die Esoterik | |
überträgt vieles. | |
Eine Frau, Mitte Fünfzig, aus deren Haaren langsam die Färbefarbe | |
herauswächst, nickt. "Suchen Sie sich jemand, der ihnen Feuer unterm Hinter | |
macht", sagt der Verkäufer und hat das richtige Energiebild schon in der | |
Hand. "Ja", sagt die Frau und nimmt ihre Brille ab. "Gehen Sie aus sich | |
heraus", fordert der Verkäufer. "Ja", sagt die Frau und sucht in ihrer | |
Handtasche nach dem Portemonnaie. | |
Als wir an einem Stand vorbeigehen, an dem aus der Hand gelesen wird, ruft | |
der Handleser mit der Lupe in der einen und der Hand einer Frau in der | |
anderen Hand gerade: "Glücksträhne für drei Monate!" Und schon ergreift der | |
Mann mit der Lupe eine zweite Frauenhand: "Hier ist die Luft raus", sagt er | |
nun. "Ganz raus." | |
Etwas weiter praktizieren fünf ältere Damen in weiß-orangefarbenen Kleidern | |
mit rätselhaften Handbewegungen eine Prana-Heilung nach Choa Kok Sui - an | |
fünf weiteren älteren Damen. Es würde niemand merken, wenn sich die | |
Patientinnen erheben würden, um die Heilerinnen zu heilen. Die Kleider | |
machen den Unterschied. | |
"Manche merken auch was" | |
Mein schlechtes Karma macht sich bemerkbar, als ich falsches Deutsch lese: | |
"Die moderne Wissenschaft hat zuletzt festgestellt, dass alle Dinge, sei es | |
ein Tier, Gemüse oder ein Mineral, eine spirituelle Strahlung abgibt." | |
Frau Schmidts schlechtes Karma führt dazu, dass sie auf dem Sessel von | |
Herrn Winkel - "bekannt durch Presse, Funk und Fernsehen" - Platz nehmen | |
muss. Prompt wird ihr ein Beckenschiefstand diagnostiziert. "Ich wende | |
jetzt meine Kraft und Energie an", droht Herr Winkel, der schon dank seines | |
Gewands etwas hermacht. "Manche Leute merken auch was", sagt er. "Mach mal | |
die Augen zu", fordert er Frau Schmidt auf, "und die Hände so halten." Frau | |
Schmidt macht die Augen auf, hält die Hände so, und macht die Augen wieder | |
zu. Dann ein paar Sekunden Ruhe. Herr Winkel konzentriert sich. Für einen | |
Moment besteht die Chance, dass Frau Schmidt einschläft. Dann klatscht Herr | |
Winkel in die Hände: "Hats weh getan?" Frau Schmidt schüttelt den Kopf. | |
Herr Winkel, der Rücken-, Kopfschmerzen, Heuschnupfen und Neurodermitis, | |
Mensch und Tier heilt, "Suchtentwöhnung aller Art" anbietet sowie | |
Besetzungen beseitigt - und damit sind nicht Hausbesetzungen gemeint -, | |
prüft das Ergebnis seiner Arbeit an zwei Aufklebern, die er an den Schuhen | |
von Frau Schmidt angebracht hat. "So viel", zeigt er mit den Fingern, sei | |
das Becken von Frau Schmidt schief gewesen. "Und nun gerade", behauptet er, | |
"und zwar ein Leben lang." So richtig beeindruckt ist Frau Schmidt nicht. | |
Das ist wohl ihr Karma. "Sie merken das gleich beim Gehen", verspricht Herr | |
Winkel, "oder auch ein bisschen später." Wie kalt muss die Welt sein, wenn | |
so der Versuch aussieht, sie zu wärmen? | |
5 Apr 2009 | |
## AUTOREN | |
Roger Repplinger | |
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Neuseeland | |
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