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# taz.de -- Der Gärtner: Vom Aussteiger zum Aufsteiger
> Nach Jahren des Darbens in selbst gewählter Abgeschiedenheit will Sepp
> Beier das griechische Kreta durch Projekte dauerhafter Entwicklung sanft
> und nachhaltig ergrünen lassen: mit Heilkräutern, Bioessen, Photovoltaik
> und Heilslehren
Bild: In Kretas Süden bei Agia Galini
Hochzeit in Rethimnon an der Nordküste Kretas. Keine Hippiestrandhochzeit
im alten Stil, aber auch keine konservative Honoratiorenfeier. Am ehesten
vielleicht eine Art Vermählung zweier ehemaliger Antagonismen, die man vor
30, 40 Jahren noch mit so grusligen Begriffen wie "Subkultur" und
"Establishment" bezeichnet hätte.
Der gut gelaunte Bräutigam Sepp Beier ist ein Vertreter jener rührigen
posthippiesken Bewegung, die seit einigen Jahren im Schatten des ganz
normalen Betontourismus in Kreta für Dynamik sorgt. Nach Jahren des Darbens
in Abgeschiedenheit wurde damit begonnen, Kreta durch Projekte dauerhafter
Entwicklung sanft und nachhaltig ergrünen zu lassen. Dabei werden
Erfahrungen des alternativen Lebens mit wettbewerbsfähigen
Investitionsstrategien zusammengeführt. Ob dabei die Aussteiger in der
Moderne angekommen sind oder umgekehrt ist eine Frage der Perspektive. In
den wild-schönen Landschaften Kretas und bei den uralten Traditionen seiner
Bewohner wird Moderne seit jeher etwas komplexer buchstabiert.
Sepp Beier kennt die Insel - und das ist sein Kapital. Im Übrigen hat er
einen langen Atem. Und er hat Erfahrung mit Biolandwirtschaft. Nicht ohne
Stolz erzählt er, dass er die erste kontrolliert biologische Gärtnerei
nicht nur Kretas, sondern ganz Griechenlands betrieb. 1987 kam er mit einem
alten Hanomag nach Kreta, um hier ein neues Leben zu beginnen. Sein altes
hatte ihn aus der Münchner Hippie- in die Drogen- und später in die
Dealerszene geführt. Das brachte ihm einiges Ansehen, aber auch einige
Jahre im Knast ein, die er klug nutzte, um eine Gärtnerlehre zu machen und
so auf andere, juristisch weniger belastete Heilkräuter umzusteigen.
Nach seiner Entlassung entschloss er sich, auf einem kleinen Stück Land an
der Südküste Kretas, das seine Brüder als langfristige Investition gekauft
hatten, das Gelernte in die Tat umzusetzen. Zwölf Jahre lang - bis 1998 -
lebte er mit seiner ersten Frau Peggy in dem kleinen Tal bei Agia Galini im
Hanomag und baute dort eine biologische Landwirtschaft mit Kräutern,
Gewürzen und Gemüse auf. Eine Reihe von Studenten absolvierten - anerkannt
vom Deutschen Bauernverband - ihre Praktika im Betrieb, Schulklassen kamen
zu Umweltseminaren. Ein klarer Fall von gelungener Resozialisierung, wie
Sepp heute schmunzelnd erzählt. Sowohl die Einheimischen wie die Touristen
interessierten sich für die Produkte: Biogemüse ist noch heute eine
Seltenheit in Kreta, biologische Heilkräuter werden gar nicht angeboten.
Auch der kretischen Natur kam das Unternehmen zugute. Das kleine Tal wurde
zu einem Hotspot der Artenvielfalt in Kreta. Dennoch galt Sepp bei den
Einheimischen als Spinner. Aber auch als Sturkopf und Kämpfer, der sich
nicht beirren lässt. So einer gilt etwas in Kreta.
1998 wurden vier Quadratkilometer der zentralen Südküste und das kleine
Grundstück der Beiers in einem Großbrand verwüstet. In Kreta werden jedes
Jahr ganze Landstriche zur Weidelandgewinnung abgefackelt. Fast einen Tag
lang kämpfte Sepp gegen die Flammen, um wenigstens seinen Hanomag zu
retten. Als kurz danach auch noch seine Frau an Krebs starb, war Sepp Beier
am Ende. "Ich war fertig und in meine Trauer wurde ich zu einem richtigen
Arschloch", vertraut er einigen Hochzeitsgästen bei einem Glas Raki an.
"Ich wurde Kellner in einer Kneipe in Agia Galina und ließ alle Welt meine
Wut und Trauer spüren." Die Besitzerin des Cafés war Italienerin und hieß
Maria. "Ich habe zu meinem Glück ein Verhältnis mit meiner Chefin
angefangen" berichtet der Bräutigam zufrieden. Seitdem geht es bergauf.
Vorläufiger Höhepunkt: Hochzeit von Rethimnon.
Zwei Tage nach der Hochzeit sitzen Sepp und seine beiden älteren Brüder Max
und Michael, die aus Deutschland eingeflogen sind, beim Notar und machen
Herb Hellas, die Firma, mit der Sepp seine Bioprodukte seit 1988
vermarktet, zu GmbH. Drei Brüder, das macht sich im Geschäfts- wie im
Stammesleben Kretas immer gut. Und die drei Beiers sind zusammengenommen
eine Art ökodynamisches Kraftpaket: Max , der Manager, Michael, der
Instant-Visionär, der seinen viele Ideen kaum hinterherkommt und Sepp, der
Praktiker, der einzige mit Schwielen an den Händen und - Crète oblige -
einem Schnurrbart.
Die Brüder Beier haben viel vor in Kreta: "BioCrete" wird - wie Sepp dies
einst allein machte - hochwertige Bioprodukte herstellen und unter diesem
Label in Kreta und in der Europäischen Union vermarkten. 37 feste
Arbeitsplätze, die auch dem Naturschutz in Kreta dienen, sollen dabei
geschaffen werden. "reCREaTE" ist der Plan, ein "holistisches
Gesundheitsressort" auf 15 Hektar im Beierschen Kräutertal am libyschen
Meer zu errichten. Das "Medical Wellnesscenter" soll 20 Apartments mit rund
3.000 Quadratmeter Grundfläche bieten, die sich inmitten der duftenden
BioCrete-Landwirtschaft um ein therapeutisches Zentrum gruppieren. Von
Ayurveda über Weisheitslehren bis zu gesundem Bioessen und Heilkräutern
soll hier all das angeboten werden, was anspruchsvolle Althippies ebenso
wie JungmanagerInnen zur Regeneration brauchen können. Schließlich hat
schon Hippokrates die kretischen Kräuter als die besten gelobt. Das Ressort
ist gewissermaßen die zum 25-Millionen-Euro-Projekt angeschwollene
Erfahrungsvariante des Aussteiger-Hanomags, mit dem Sepp B. vor über 20
Jahren nach Kreta kam.
Es stecken noch eine ganze Menge weiterer Projekte in der Pipeline der
Beierschen Kreta-Strategien: Wasser- und Naturmanagementprojekte sollen die
Bio- und Gesundheitsfarmen ergänzen, um die regionale Entwicklung zu
fördern. Geplant sind auch große Photovoltaikanlagen, "deren autarkes
Wassermanagement auf die Begrünung versteppter Flächen ausgerichtet ist".
"A jeder Kräuterhändler baut sei Wellnesscenter, aber unsereiner, der baut
nix …" singen Münchner Freunde in einem Hochzeitsgstanzl und schuhplatteln
dazu. Gerührt nimmt Sepp die Huldigung entgegen. Der Aussteiger hat einen
langen Weg hinter sich. Und der Einsteiger einen langen vor sich.
9 Apr 2009
## AUTOREN
Thomas Pampuch
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