# taz.de -- Vordenker: Der liberale Ayatollah | |
> Ayatollah Seyed Abbas Hosseini Ghaemmaghami, Vorsitzender des Islamischen | |
> Zentrums Hamburg, hat sich einen Ruf als fortschrittlicher Vordenker | |
> erworben. Gleichzeitig gilt seine Moschee an der Außenalster als | |
> Schaltzentrale der iranischen Geistlichkeit in Deutschland. Eine | |
> Annäherung. | |
Bild: Noch steht Ayatollah Ghaemmaghami (l.) in der zweiten Reihe - hier im Nov… | |
Die Imam-Ali-Moschee an der Außenalster gehört mit ihrer blauen Kuppel und | |
ihren schmucken Minaretten zu den Sehenswürdigkeiten von Hamburg. Doch was | |
wirklich in ihrem Inneren vorgeht, erschließt sich nur schwer. Besucher | |
müssen sich meist mit offiziös klingenden Verlautbarungen distinguierter, | |
Persisch sprechender Herren begnügen. | |
Dabei ist der Vorsitzende des dortigen Islamischen Zentrums, Seyed Abbas | |
Hosseini Ghaemmaghami, sehr um den Dialog mit Nicht-Muslimen bemüht. Anders | |
als seine Vorgänger mischt er sich in den öffentlichen Diskurs ein - das | |
zeigen seine Interviews mit deutschen Medien wie demStern oder der | |
Frankfurter Allgemeinen. Die vom Islamischen Zentrum herausgegebene | |
Zeitschrift Al-Fadschr, früher auf "Nachrichten aus der Heimat" fokussiert, | |
berichtet heute ausführlich über Ghaemmaghamis Treffen mit dem Dalai Lama | |
oder dem Präsidenten der Europäischen Kommission. Muslime seien | |
verpflichtet, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Aus islamischer | |
Perspektive gebe es keinerlei Probleme, in einem demokratischen Rechtsstaat | |
zu leben. | |
Andererseits gilt das Islamische Zentrum als verlängerter Arm der | |
iranischen Geistlichkeit in Europa. Sein Leiter fungiert als offizieller | |
Stellvertreter des geistlichen Oberhaupts der Islamischen Republik, | |
Ayatollah Ali Khamenei. "Ayatollah Ghaemmaghami ist der offizielle | |
Vertreter Imam Khameneis in Deutschland und kann euch ebenfalls wie das | |
Büro im Iran Auskunft geben über die Meinung Imam Khameneis", heißt es auf | |
der schiitischem Webseite [1][www.al-shia.de]. Allerdings sei Ayatollah | |
Ghaemmaghami "ein eigenständiger Rechtsgelehrter mit eigenen Rechtsurteilen | |
und Ansichten, die nicht deckungsgleich sein müssen mit den Rechtsurteilen | |
Imam Khameneis". | |
Zur Audienz bei Ayothallh Ghaemaghami muss man sich im Büro der | |
Imam-Ali-Moschee anmelden, wo einem bedeutet wird, man möge warten. Ein | |
kleiner Mann mit wachen Augen taucht auf, es ist Djavad Mohagheghi, der | |
Pressesprecher des Islamischen Zentrums. Der Ayatollah sei noch nicht so | |
weit, "wollen Sie vielleicht die Moschee besichtigen?" Durch die hohe | |
Kuppel fällt Licht in den großen, runden Raum, auf dem Boden liegt einer | |
der größten Teppiche der islamischen Welt. Es sei, sagt Mohagheghi, nicht | |
leicht gewesen, ihn in die Moschee zu bringen. | |
Ein Großteil der Imam Ali-Moschee ist noch zu Schah-Zeiten gebaut worden, | |
teils gegen den Widerstand der eigenen Botschaft in Bonn. Nach der | |
iranischen Revolution wuchs die staatspolitische Bedeutung der Moschee und | |
des dort sitzenden Islamischen Zentrums - zu den Vorgängern Ghaemmaghamis | |
gehörte Seyyed Mohammad Khatami, der spätere iranische Staatspräsident. Die | |
Lage sei so, dass die Führung in Teheran dem Ayatollah theologisch | |
vorgesetzt sei, nicht aber politisch, sagt Djavad Mohagheghi und hebt | |
entschuldigend die Hände. "Es ist kompliziert." | |
Noch in seinem Bericht 2007 schätzte das dortige Landesamt für | |
Verfassungsschutz das Islamische Zentrum Hamburg als "Instrument der | |
iranischen Staatsführung" ein, das wie andere pro-iranische Einrichtungen | |
die "theokratische Staatsdoktrin" der Islamischen Republik vertrete - und | |
damit "eine Werteordnung, die mit der freiheitlich-demokratischen | |
Grundordnung nicht vereinbar ist". | |
Was nicht im Bericht des Verfassungsschutzes steht: Eine Gemeindestruktur | |
wie diejenige des Islamischen Zentrums wäre im Iran unvorstellbar. Das | |
Zentrum wird nicht nur von Iranern, sondern auch von Arabern genutzt. | |
Sunniten sind explizit miteinbezogen, wozu passt, dass sich das Zentrum | |
auch bei der Hamburger Schura engagiert , dem Dachverband Hamburger | |
Moscheengemeinden, in dem Schiiten in der Minderheit sind. Innerhalb des | |
Zentrum gibt es eine Gemeinde deutschsprachiger Konvertiten, die von Halima | |
Krausen geleitet wird, der bislang einzigen in Deutschland tätigen Imamin. | |
Der universalistische Anspruch der iranischen Revolution - alle Menschen | |
sollten unter dem Dach des Islam vereint werden - ist in der Hamburger | |
Diaspora zu einer interreligiösen Toleranz mutiert, die sich um | |
Zusammenarbeit bemüht, auch mit den Juden. Missionierung wird allenfalls | |
durch die Blume betrieben, nicht aber mittels offen formulierter | |
Überlegenheitsansprüche. | |
An die Grenzen seiner Toleranz kam das Islamische Zentrum allerdings bei | |
den Bahai. Die schiitische Abspaltung mit eigenem Offenbarungsanspruch wird | |
im Iran seit der Revolution verstärkt verfolgt, noch immer berichtet | |
Amnesty International von "willkürlichen Inhaftierungen". Als die Schura | |
2007 ihr Veto gegen die Aufnahme von Bahai in das "Interreligiöse Forum | |
Hamburg" einlegte, geschah dies auf Betreiben Ghaemmaghamis. Erst im | |
November 2008 gab die Schura ihren Widerstand auf - ihre Vertreter, | |
darunter auch Ghaemmaghami, erklärten sich damit einverstanden, das | |
Vetorecht abzuschaffen. Seitdem sind Vertreter der Bahai offiziell bei dem | |
Forum dabei. | |
Ghaemmaghami kommt aus einer alten, angesehenen Teheraner Familie. Den etwa | |
einem Kardinal entsprechenden Rang eines Ayatollah erlangte er bereits mit | |
weniger als 40 Jahren. Als Theologe hat er sich vor allem mit den | |
Grundlagen des Itschtihad befasst, der selbstständigen Interpretation des | |
islamischen Rechts. Ghaemmaghami hat sich in seinem Studium nicht nur mit | |
islamischer Theologie beschäftigt, sondern auch mit westlichen Philosophen | |
wie Kant und Gadamer. In den 90er Jahren ging er als Gastdozent an die | |
Elite-Universität Berkeley im sündigen San Francisco, bevor er einige Jahre | |
als Juniorprofessor an Teheraner Universitäten lehrte. | |
Die Audienz bei Ghaemmaghami läuft so ab, dass der Besucher auf einer | |
niedrigen Couch sitzt, während jener sich auf einen einen erhöhten Stuhl | |
zurückzieht und über die theologische Frage nachdenkt, die er beantworten | |
will. Der Ayatollah trägt das lange Gewand der iranischen Geistlichkeit und | |
ihre Kopfbedeckung, er wirkt älter, als er ist. Wenn er spricht, spricht er | |
mit einer melodiösen, fast singenden Stimme, und seine Worte dulden keinen | |
Widerspruch. Pressesprecher Mohagheghi übersetzt alles ins Deutsche und | |
schreibt mit - nein, kein Misstrauen, "nur zur Sicherheit". | |
Als vor zwei Jahren eine Frankfurter Familienrichterin die Schläge, die ein | |
marokkanischer Ehemann seiner Frau verabreichte, nicht so schlimm fand, | |
weil der Koran das Schlagen der Frau erlaube, schrieb Ghaemmaghami einen | |
Offenen Brief. Das Wort im entsprechenden Koranvers dürfe nicht mit | |
"schlagen", sondern müsse mit "abwenden" übersetzt werden. In seiner | |
Stellungnahme verurteilt Ghaemmaghami eine "Kultur der Männer", die dem | |
islamischen Verständnis von außen aufgezwungen werde, und bezeichnet es als | |
eine "Pflicht des Islam", diese Kultur zu bekämpfen, die eine "Kultur der | |
Torheit" sei. | |
Solche Interventionen sind geschickt platziert. Ob sie der Anfang einer | |
eigenständigen theologischen Tradition europäischer Muslime sind, ist noch | |
nicht heraus. Manches von dem, was Ghamemaghami sagt, ist reine | |
Symbolpolitik - so wenn er anregt, das Datum islamischer Feiertage anhand | |
der Mondstände hiesiger Breitengrade zu berechnen, nicht derjenigen im | |
Mittleren Osten. | |
Sicher gehört Ghaemmaghami zur liberaleren Fraktion der iranischen | |
Geistlichkeit. Die Attentate in London von 2005 kommentierte er als erster | |
islamischer Geistlicher in Europa mit einem Rechtsgutachten (Fatwa), | |
welches Terror im Namen des Islam ausdrücklich verurteilte. Dazu passt, | |
dass er in Predigten, die im Internet zugänglich sind, den defensiven | |
Charakter der koranischen so genannten Kriegsverse betont und auf das | |
koranische Verbot verweist, in der Religion Zwang auszuüben. | |
Unter Ghaemmaghami ist das Islamische Zentrum Hamburg vorsichtig auf | |
Abstand zu Teheran gegangen. Einige alte Zöpfe sind dabei auf der Strecke | |
geblieben - so fungiert das Zentrum nicht mehr als Mitorganisator des | |
Al-Quds-Tages, eines auf Khomeini zurückgehenden alljährlich stattfindenden | |
Aktionstages zur Befreiung Palästinas. Die anlässlich dieses Tages in | |
Berlin stattfindenden Demonstrationen wurden in der deutschen | |
Öffentlichkeit kritisiert. | |
Auch innerhalb der Moschee zog mit Ghaemmaghami ein neuer Geist ein. So | |
ließ er die Porträts von Khomeini und seinem Nachfolger Ali Khamenei | |
entfernen. Folgt man den Diskussionsbeiträgen im Online-Forum | |
[2][www.schiat.ali.de], wurde dieser Schritt von vielen in der Hamburger | |
Gemeinde bedauert - als Abkehr von den Idealen der Revolution. | |
Auch ein Interview, das Ghaemmaghami der Zeitschrift Cicero gab, führte zu | |
Irritationen. Darin sagte Ghaemmaghami, ein Muslim dürfe "nie einen | |
Homosexuellen beleidigen oder ihm gegenüber respektlos sein". Er unterließ | |
es hinzuzufügen, dass Schwulsein im Islam dennoch eine Sünde darstelle. Das | |
Thema Homosexualität mag er mit Bedacht gewählt haben, um die Moschee | |
künftig vor Zumutungen wie dem massenhaften Kiss-In zu bewahren, das sich | |
im August 2005 vor ihren Toren abspielte - aus Protest gegen die zuvor von | |
einem iranischen Gericht verfügte Hinrichtung zweier Teenager wegen | |
homosexueller Handlungen. | |
In der Gemeinde sind nicht alle mit dem neuen Kurs glücklich. So stoßen die | |
anspruchsvollen Predigten Ghaemmaghamis, die sich auch mal mit der | |
islamischen Sichtweise auf Habermas und Wittgenstein beschäftigen, nicht | |
überall auf Begeisterung. "Die Vorträge sind total lang und schwierig zu | |
verstehen. Die Stimmung ist nicht mehr so schön", heißt es dazu auf | |
[3][www.schiat.ali.de]: "Wir gehen jetzt mit meiner Familie in die Belal | |
Moschee." | |
Dennoch sollte man sich Ghaemmaghami merken - ein Mann wie er empfiehlt | |
sich für höhere Aufgaben im Iran. Im Vergleich zu Betonköpfen à la | |
Ahmadinedschad wäre er allemal ein Fortschritt. | |
10 Apr 2009 | |
## LINKS | |
[1] http://www.al-shia.de/ | |
[2] http://www.schiat.ali.de/ | |
[3] http://www.schiat.ali.de/ | |
## AUTOREN | |
Achim Rohde | |
Daniel Wiese | |
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