# taz.de -- Schwullesbische Buchzensur bei Amazon: Untenrum nur richtigrum! | |
> Über das Osterwochenende verschwanden plötzlich sämtliche Bücher mit | |
> schwullesbischem Inhalt von den Amazon-Rankings - inklusive E. M. Forster | |
> und Jeanette Winterson. Wer war das? | |
Bild: Keine nackten Tatsachen bitte - jedenfalls nicht bei Amazon. | |
An Hamörrhoiden rumfummeln, Klodeckel mit der Vagina säubern – über solche | |
Schweinereien schreibt die Hetero-Dame Charlotte Roche und darf sich damit | |
völlig ungeniert auf den Bestsellerlisten herumtreiben, bei Amazon zum | |
Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels zum Beispiel auf Platz 36 der | |
Verkaufscharts. Wäre jedoch Frau Roches genitale Reinigungsmethode, wie | |
auch immer, gleichgeschlechtlich motiviert gewesen, dann hätte sie, | |
zumindest über das Osterwochenende, ihren Listenplatz abgeben müssen. Sie | |
wäre, zusammen mit Autoren wie E. M. Forster, Ellen DeGeneres oder Gore | |
Vidal, im Abseits randständiger Special-Interest-Listen gelandet. | |
Familienfreundlicher, so spekulierten Kritiker, wollten Amazons ihre | |
digitale Shopping-Mall gestalten, weshalb man diverse sexuell konnotierte | |
Inhalte von der Liste fegte. Es traf zwar auch (wieder mal) D. H. | |
LawrencesKlassiker „Lady Chatterley“, doch die Schwulen und Lesben wurden | |
von der Zensur überproportional bedacht. | |
Die Zensur. Bei wem es sich dabei genau handelt und was sie zu ihrem | |
Handeln veranlasste, bleibt in jener Dunkelheit, die für die besagten | |
Bücher vorgesehen war: Amazon sagt, dass es sich um einen „peinlichen | |
Fehler im Katalogsystem“ gehandelt habe. Dann gibt es noch einen Blogger, | |
der das Ganze auf seine Kappe nimmt und behauptet, dass ihn die | |
Buchverbannung nur ein paar Tastatur-Handgriffe gekostet habe. Der schwule | |
Schriftsteller Mark R. Probst wiederum sagt, dass er von Amazon sogar eine | |
schriftliche Begründung für das Verschwinden seines Buches von der Liste | |
bekommen habe: Geschehen sei dies, um das Amazon-Angebot – also doch? – | |
familienfreundlicher zu gestalten. Vielleicht war es ja auch der Papst? | |
Wegen Ostern? | |
Wahr ist zumindest, dass über 57.000 Titel von der Liste genommen wurden, | |
die zum Bestand einer klassischen „Schmutz & Schund“-Bücherverbrennung | |
gehören. Rettet und schützt unsere Kinder – lasst ihnen nicht „The Joy of | |
Sex“ (hetero), „Das Arschbuch“ (schwul) oder Alan Hollinghursts „Die | |
Schönheitslinie“ (schwul und Bestseller für Heteros) unter die Augen | |
kommen. | |
Wem immer diese Aktion zuzurechnen ist – wäre sie nicht nach lautem | |
Aufschrei von Seiten diesbezüglich traditionell bzw. existenziell wachsamer | |
(und daher manchmal auch paranoider) Schwuler und Lesben rückgängig gemacht | |
worden, müsste dieser Schachzug als weiterer Erfolg jener zum Teil | |
gefühlten, zum Teil ganz konkret-politischen Reaktion im Namen der „Family | |
Values“ gewertet werden. „Save our Children“, mit diesem Slogan hatte die | |
US-Sängerin Anita Bryant in den Siebzigern gegen die Emanzipation von | |
Schwulen und Lesben mobil gemacht – und dieser Slogan ist noch immer | |
bestens geeignet, wenn es um schlagkräftige Argumente für das Verbieten | |
geht. Egal ob es gegen Pornografie, Alkohol, Gewaltspiele, Nikotin oder | |
selbstbestimmte Sexualität geht: Mit dem Schutz der Jugend und der Kinder | |
lässt es sich wohlfeil durchmarschieren, denn wer kann schon etwas „gegen“ | |
Kinder haben? | |
Darüber hinaus ist der überproportionale Anteil schwullesbischer Titel auf | |
der Amazon-Negativ-Liste schlicht klassischem Schubladen-Denken geschuldet. | |
Der schwule Schriftsteller Stephan Niederwieser, dessen Bücher nicht nur in | |
schwulen, sondern auch in Großverlagen wie Piper veröffentlicht werden, hat | |
schon des Öfteren beobachtet, dass seine Romane, gleich welchen Inhalts, | |
automatisch unter „Erotik“ eingeordnet werden – oder in der Ecke „Schwu… | |
und Lesben“ geparkt werden. | |
Solche Ecken gibt es mittlerweile auch bei großen Buchhandelsketten wie | |
Hugendubel – immerhin ein Fortschritt gegenüber den Siebzigern, als die | |
ersten schwulen Buchverlage in Deutschland zum Teil Schwierigkeiten hatten, | |
eine Druckerei zu finden („Das geht nicht, wir haben minderjährige | |
Azubis“). Der ebenfalls schwule Schriftsteller Kriss Rudolph veröffentlicht | |
hingegen fast schon in schönster Selbstverständlichkeit im S. Fischer | |
Verlag, zuletzt den Roman „Kindsköpfe“, der eine schwule Patchwork-Familie | |
zum Thema hat. „Eine solche Politik von Amazon wäre unsäglich. Gerade dort | |
sind, im Unterschied zu manchen Buchhandlungen, alle Bücher gleich. Das | |
würde bedeuten, dass schwule Bücher wieder zurück in die Schublade kämen.“ | |
Es gibt sicher nicht wenige Bücherfreunde und Mitmenschen, denen dies | |
durchaus lieb wäre. Etwa solche, die so „gar nichts gegen Schwule haben“, | |
aber es eben auch besser fänden, wenn man in Gegenwart ihrer Kinder von | |
einem gleichgeschlechtlichen Kuss absehen könnte. Bei aller Liebe! | |
15 Apr 2009 | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
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