# taz.de -- DJs in der transsibirischen Eisenbahn: Katerchen Frost | |
> Drei deutsche DJs treffen auf ihrer Reise mit der transsibirischen | |
> Eisenbahn nach Nowosibirsk drei russische DJs. Das Ergebnis: | |
> elektronische Tanzmusik im Zug. | |
Bild: Schnee und Birken - der Blick aus der transsibirischen Eisenbahn. | |
SIBIRIEN taz | An einem späten Montagabend Ende März bestiegen wir, drei | |
deutsche und drei russische DJs, in Moskau die transsibirische Eisenbahn, | |
um in einer Art heiligem, symbolhaftem Akt eine sogenannte Boombox nach | |
Nowosibirsk zu bringen. In Sibirien hatte gerade ein neues Goethe-Institut | |
eröffnet, und der Gedanke besorgte die Musiker, dass diese Außenstelle der | |
Kulturvermittlung ohne Boombox an den Start gehen sollte. Wir betrachteten | |
es als unsere Pflicht, an diesem Zustand etwas zu ändern. | |
Außerdem brauchten wir die Boombox als Abhöre im Zug. Wir wollten da | |
nämlich auch zusammen Musik machen, Tracks on the Tracks gewissermaßen. Und | |
weil wir uns mit der Stromversorgung in den Waggons nicht so sicher waren, | |
hatte Matias Aguayo vorgeschlagen, eine Boombox, einen Ghettoblaster | |
mitzunehmen. Die Dinger liefen mit Batterien, hatten Line-Anschlüsse und | |
machten guten Druck. Er hatte das auf den Straßen von Buenos Aires schon | |
erfolgreich getestet. | |
Nowosibirsk existiert einzig und allein aus dem Grund, dass an dieser | |
Stelle eine Brücke über den Ob gebaut werden musste, für die Trasse der | |
Transsib. Zehntausend Arbeiter waren dafür nötig, und prompt entstand eine | |
Stadt, mit Bahnhof, Bordell und Beerdigungsinstitut, nehme ich an, das war | |
vor gut hundert Jahren. | |
Für mich gab es da nicht viel nachzudenken: "He, wir fahren mit dem Zug", | |
schlug ich vor, einen alten Hit von Veronika Fischer zitierend. Mit der | |
Transsib durch die Taiga, das war schon der Kindheitstraum meines Vaters. | |
Weniger meines Opas, der neben mir als einziges Familienmitglied | |
Gelegenheit gehabt hatte, Sibirien persönlich zu besuchen, wenn auch nicht | |
als Plattenaufleger die hiesigen Discos, sondern als Kriegsgefangener die | |
hiesigen Gulags. Da hat sich die Welt doch ein ordentliches Stück | |
weitergedreht seit damals … | |
Und auch sonst: Mit den modernen Computern und Programmen entsteht | |
jederzeit ein professionelles Musikstudio mit allem Schnickschnack im | |
Rucksack. Trackbasteln im Zug macht Spaß und funktioniert bestens. Dafür | |
waren wir in der Transsib perfekt untergebracht, in zwei nebeneinander | |
liegenden Viererabteilen, die jeweils mit nur drei Personen belegt waren: | |
in Nummer "5" Jewgeni Gawrilow , Roman Rositsch und Sascha Buzinow, in | |
Nummer "6" Matias Aguayo, Marcus Rossknecht und ich. | |
Unmittelbar vor der Abfahrt trafen wir erstmals die drei russischen | |
Genossen, mit denen wir uns allerdings im Vorfeld schon in einer | |
fortlaufenden E-Mail-Konferenz verständigt hatten. Deshalb pilgerten wir | |
nun wie vereinbart, als erste gemeinsame und ja auch irgendwie heilige | |
Handlung, zum Bahnhofskiosk. Dort wurden nach einer langen, bedächtig | |
geführten, aber dennoch kontroversen Diskussion innerhalb der russischen | |
Delegation zuerst drei, dann doch lieber vier verschiedene Flaschen Wodka | |
eingekauft. So stiegen wir ein. | |
Beim Schaffner fielen wir sofort in Ungnade. Als ich mit meiner | |
Plattenkiste in den Waggon rollte, rollte ich auch gleich den Läufer mit | |
auf, der sich durch den puppenstubenhaften Gang zog. Hinterher polterte der | |
Rest der Posse und enterte umständlich die putzigen Abteile. Wenig später | |
war alles verstaut, jedes Feature besichtigt, und wir trafen uns bei den | |
Russen, um die Boombox zu testen und als ersten Akt der Völkerverständigung | |
gemeinsam eine Kleinigkeit zu trinken. In dessen Verlauf übertraf ich | |
meinen persönlichen Wodkarekord um mehr als 40 Prozent. | |
Kaum hatten wir uns warmgeredet, klopfte auch schon der Schaffner und | |
ermahnte uns zur Ruhe. Dabei hatten wir nur etwas lauter gesprochen, weil | |
wir von der fabelhaften Boombox so entzückt waren und sie ja übertönen | |
mussten, damit man sich noch verstehen konnte bei dem von Aguayo frisch aus | |
Mexiko angeschleppten Cumbia-Radau, der merkwürdigerweise zum Soundtrack | |
unserer Fahrt nach Sibirien wurde. Der Schaffner mochte weder | |
lateinamerikanische Rhythmen noch Typen wie uns. "Roboter" nannten ihn die | |
Genossen. | |
Am Morgen nach der Wodkanacht - es war eine weise Entscheidung gewesen, die | |
vierte Flasche auch noch zu kaufen - erwachte ich in meiner Koje vom | |
Klimpern der Teetassen und Softkey-Tasten der sogenannten Maschine, eines | |
brandneuen Hardware-Controllers, den Rossknecht mitgebracht hatte. Die | |
Jungs waren schon voll am "Schaffen im Zug", während ich im Wachkoma | |
lauschte und aus dem Fenster sah. | |
Die Landschaft, durch die der Zug gemütlich rumpelte, bestand aus Birken | |
und Schnee, Schnee und Birken, Birken, Schnee, dann ein bisschen mehr | |
Schnee, dann wieder ein paar Birken, dann verschneite Steppen und ab und zu | |
ein kleines Dörfchen aus Holzhäusern, vermutlich Birke. Das Ganze in einem | |
milden, etwas fahlen Sonnenlicht - ein Bild, das sich wie Balsam auf die | |
verquollene Netzhaut legte. Man konnte stundenlang starren, wie in Trance, | |
was die meisten anderen Passagiere auch taten. Das ist der eigentliche Reiz | |
einer solchen Fahrt. | |
Da der Chef der Mission erst spät Einsatzfreude zeigte, hatten die Jungs | |
die Studiosituation bereits komplett durchorganisiert. Studio "5" war für | |
Liveaufnahmen reserviert, in denen die Inspirationen des Vorabends nun | |
fixiert wurden. Unter anderem hatten wir uns gleich zu Beginn mit unserem | |
peinlichen "Nastarowje" blamiert. Niemand in Russland würde das sagen, so | |
die Genossen. Ja was denn dann?, fragten wir. Na das, was der sowjetische | |
Kosmonaut Juri Gagarin gesagt hat! Seine letzten Worte, bevor er ins All | |
geschossen wurde: "pojechali", und ab geht das! Für den daraus gestrickten, | |
hypnotischen Chant einigte man sich mit Studio "6", wo an Beats gebastelt | |
wurde, auf entspannte 120 Schläge pro Minute - eine ideale Geschwindigkeit | |
fürs Schaffen im ruckelnden Zug, da schafft man stundenlang. | |
Zeit und Raum begannen sich aufzulösen, unsere inneren Uhren liefen | |
zunehmend asynchron, die am Ende fünfstündige Zeitumstellung tat das ihre. | |
Irgendeiner schlief immer, irgendeiner programmierte immer und immer aß | |
jemand gerade Kekse, Kaviar oder Borschtsch. Die Schaff- und Schlafphasen | |
pendelten sich auf einen Zweistundenrhythmus ein. Nachts hielt man | |
unvermittelt an geschichtsträchtigen Orten wie Ekaterinburg, und wer wach | |
war, stieg hinaus in die bitterkalte Nacht, um stolze stalinistische | |
Bahnhöfe, in dekorative Dampfschwaden gehüllt, zu bestaunen. Am nächsten | |
Tag begann unsere Schaffenskraft allerdings ein wenig zu erlahmen. Wir | |
beschlossen, uns und unsere zwei bereits sehr aussagekräftigen Demos | |
"Pojechali" und "Wir fahren mit der Eisenbahn, Boombox und Instrumente" bis | |
auf weiteres ruhen zu lassen, damit sie zu gegebener Zeit jeder noch mal | |
für sich remixen kann. Gut im eigenen Saft mariniert, obwohl wir so noch | |
wochenlang hätten weitermachen können, erreichten wir schließlich | |
Nowosibirsk. | |
Dort erwies es sich als weitaus wärmer als erwartet. Die angstvoll | |
eingepackten langen Unterhosen konnten wir stecken lassen. Bei fünf Grad | |
plus schmolzen die überall zusammengeschobenen, riesigen, schmutzigen | |
Schneeberge in rasantem Tempo und strömten in Schlammflüssen die Straßen | |
hinunter. Jedes Auto hatte deshalb exakt dieselbe Farbe, ein helles | |
Beigegrau, mit Aussparungen, wo die Scheibenwischer die Sicht freigewischt | |
hatten. Das Stadtbild war ein cooler Stilmix aus viel Stalinismus, etwas | |
Dubai, ein paar Hutzliputzli-Holzhäuschen aus der Gründungszeit und, eher | |
am Rande des Zentrums, jede Menge abgerockte Sechzigerjahre-Platte. Eine | |
dieser Wohnungen konnten wir auch besichtigen - ein lokaler Künstler hatte | |
uns an unserem einzigen freien Abend zu einer Plow-Party eingeladen (Plow | |
ist eine Art russische Paella), bei der wir in der Tat schön einen | |
wegplafften, unter anderem mit zwei supernetten Hooligans vom FC Sibir | |
Nowosibirsk. | |
Aber auch wir setzten eigene kulturelle Akzente. Stolz dürfen wir auf die | |
Einführung eines neuartigen nationalen Stereotyps verweisen: die sogenannte | |
German Unpünktlichkeit trieb unsere so charmante wie strenge Leibgarde | |
bisweilen schier zur Verzweiflung, wenn wir den Soundcheckbeginn um fünf | |
Minuten zu verpassen drohten. Die später folgenden Auftritte liefen alle | |
großartig, sowohl on stage wie auch off stage. Bis in die Toilette hinein | |
wurde man bequasselt, von quirligen Jungs, die alle selber Techno machen | |
und unbedingt wissen wollten, welche Drogen derzeit in Deutschland das | |
höchste Ansehen genießen. Wir nennen es Wodka, gab ich Auskunft. Man trinkt | |
es. | |
Vor dem letzten Gig im großen, treffend getauften Club "Rock City" | |
überreichten wir Backstage schließlich die heilige Boombox an die selbst | |
zum Teil durch elektronische Musik sozialisierte Goethe-Direktorin Julia | |
Hanske, begleitet von diversen Wünschen, Segnungen und vor allem Toasts: | |
Möge der Rhythmus mit euch sein, im Namen des Beat, des Break und der | |
Bassline, pojechali etc. Parallel dehnten sich schon die hier üblichen | |
Go-go-Girls. Minuten später würden sie mit ihrem dummen Hüpfen auch die | |
Nadel zum Hüpfen bringen. Zur Feier des Tages und weil ich nichts anderes | |
beherrsche, hatte man seit langem mal wieder die Plattenspieler ausgepackt | |
und diese auf die große Bühne des "Rock City" platziert. Doch alles ward | |
gut: Man fand Kissen für unter die Teller, und am Ende tanzten Matias und | |
ich die Gogos beinahe von der Bühne, weil wir sie schon fast völlig | |
vergessen hatten. | |
Nur Stunden später, schlaflos und aufgedreht, freundeten wir uns in einem | |
letzten diplomatischen Akt mit nahezu der gesamten Belegschaft des | |
Nowosibirsker Flughafens in ihren kühnen Uniformen an. Manche von uns | |
mussten sich da sogar spendabel geben! Es war aber auch zu nett. Wir freuen | |
uns auf das nächste Mal! | |
22 Apr 2009 | |
## AUTOREN | |
Hans Nieswandt | |
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