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# taz.de -- Jüdische Piraten in der Karibik: Mit Kippa und Totenkopfflagge
> Die spanische Krone zwang die Juden 1492 zur Taufe. Manche rächten sich
> als Piraten in der Karibik an Spaniens Flotte - und finanzierten so auch
> ihre Synagogen.
Bild: Die Totenkopfflagge war auch für jüdische Piraten das Erkennungszeichen.
Der Sabbat war ihm heilig. Niemals, so bekannte Moses Cohen Henriques
später, habe er an diesem Tage Beute gemacht. Henriques, der in die Annalen
der Geschichtsschreiber des 17. Jahrhunderts einging, war einer der
bekanntesten Piraten in der Karibik - und er war Jude. Mit seinem
Korsarenschiff kreuzte er vor den Küsten der "Neuen Welt", die Kolumbus für
die spanische Krone erobert hatte, um deren Karavellen aufzulauern und sie
auszurauben.
1628 gelang "El pirata Moisés" in den Gewässern vor Kuba ein spektakulärer
Überfall auf ein Schiff der spanischen Silberflotte. Nach heutiger Rechnung
betrug die Beute eine Milliarde US-Dollar. Vergeblich versuchte Spanien,
Henriques habhaft zu werden, eines der damals "meistgesuchten Männer" der
Welt.
Einmal geriet Henriques mit seinem Judentum in Konflikt - bei einem Ritual,
dem sich die Freibeuter unterziehen mussten. Henry Morgan, der berühmte
Piratenchef, wollte Henriques in der jamaikanischen Hafenstadt Port Royal
auf den Piratenbund vereidigen. Alle sollten auf die christliche Bibel
schwören. Henriques weigerte sich. Auch die Hand zum Schwur auf gekreuzte
Knochen und einen Totenschädel zu legen lehnte der jüdische Korsar ab.
Als Cohen durfte er nicht mit einem toten Körper in Verbindung kommen. Denn
den Namen Cohen tragen nach jüdischer Überlieferung die Nachkommen der
Tempelpriester von Jerusalem, für die besondere religiöse Regeln gelten.
Aber Piratenherrscher Morgan, der später für die britische Krone Jamaika
verwaltete, wusste Rat. Auf einer Kanone sitzend, gelobte Henriques
symbolträchtig, der "Bruderschaft der Küste" treu zu dienen und die
Interessen der Freibeuter mit seinem Leben zu verteidigen.
"Es gab nicht wenige Piraten, die Juden waren oder jüdische Vorfahren
hatte", sagt Ed Kritzler. Der New Yorker Journalist lebt seit Jahren auf
Jamaika. "Nur reden wollen viele nicht darüber. Manche haben Angst, dem
bereits existierenden Klischee über die Juden ein weiteres hinzuzufügen.
Anderen ist die Geschichte peinlich."
Kritzler lacht über solche Zurückhaltung. Spannend sei es, Juden einmal
nicht als Opfer, sondern als raufende, hurende und saufende Räuber
darzustellen, die hart am Wind die türkisblaue See zwischen Florida, dem
zentral- und dem lateinamerikanischen Festland auf der Suche nach
lukrativer Beute durchkreuzten - am Mast die schwarze Fahne mit den
gekreuzten Knochen und dem Totenkopf.
"Natürlich habe ich als Kind auch von Piraten geschwärmt", sagt Kritzler.
Aber erst nachdem er seinen Job in einer PR-Agentur aufgegeben und sich in
Jamaika in der tiefsten Provinz - "in the bush" wie er sagt -
niedergelassen hatte, beschäftigte er sich systematisch mit dem Thema.
Zugute kam ihm dabei, dass mit den Karibikpiratenfilmen um Johnny Depp das
Interesse auch an den jüdischen Piraten in der Karibik stieg.
Die Archive seien voller Dokumente über jüdische Freibeuter: Der
Niederländer Samuel Palache gab seine Stelle in der Synagoge auf, um ein
Piratenschiff im Mittelmeer zu kommandieren. Anscheinend konnte man in
Marokko als Rabbiner nicht genug Geld verdienen. Der Rabbi-Pirat kreuzte
Ende des 16. Jahrhunderts in der Meerenge von Gibraltar.
Auch die Mannen von Sinan, "Der Große Jude" genannt, tummelten sich im
frühen 16. Jahrhundert im Mittelmeerraum. Sie überfielen mit List und, wenn
nötig, mit roher Gewalt Kaufmannsschiffe mit wertvoller Fracht. Schiffe mit
kostbaren Gütern waren im 16. und 17. Jahrhundert auch in den
Küstengewässern Chiles nicht sicher. Hier war das Beutegebiet von Suboltol
Deul.
Der Pirat Cofresí, Sohn eines nach Puerto Rico ausgewanderten italienischen
Juden, wurde als einer der letzten Piraten am 27. März 1825 in der Festung
von San Juan hingerichtet. Seine Haltung, den Reichen zu nehmen und den
Armen zu geben, hat Roberto Cofresí Ramírez de Arellano den Namen "Robin
Hood der Karibik" eingebracht. Noch heute wird über die reiche Beute
gemunkelt, die Cofresí in Höhlen in der Dominikanischen Republik verbuddelt
haben soll.
Dem Piraten Jean-Marie Lafitte hat die chilenische Schriftstellerin Isabel
Allende mit ihrem Zorro-Buch posthum ein Denkmal gesetzt. Lafitte, der bei
der Schlacht von New Orleans half, die spanische Armada zu schlagen,
verdiente über Jahrzehnte seinen Unterhalt durch Überfälle. Der um 1780
geborene französische Korsar begründete seine Raubzüge gegen Spaniens
Flotte mit seinen jüdischen Vorfahren: "Meine jüdisch-spanische Großmutter,
eine Zeugin aus der Zeit der Inquisition, beflügelte meinen Hass auf die
spanische Krone."
Die Geschichte der jüdischen Piraten ist "eine Geschichte des Widerstands
gegen die Spanier - eine Art Rache für die Vertreibung aus dem Sepharad",
sagt Kritzler. Nach der Reconquista Spaniens hatten die Katholischen Könige
1492 die Zwangschristianisierung der Juden oder deren Vertreibung
angeordnet. Viele zum Katholizismus "Übergetretene" nutzten die
"Entdeckung" der Karibik als Fluchtpunkt. Sie betrieben Handel unter den
Portugiesen, später siedelten sie auf Inseln, die von den Niederlanden,
England oder Frankreich beherrscht wurden.
Bedeutsam für die Piraterie war auch die Rolle der Kaufleute, wie Kritzler
herausfand. Jüdische Handelsleute haben verschlüsselt mit anderen
zwangschristianisierten Geschäftsleuten in den spanischen Kolonien
korrespondiert und dem Piratennetzwerk wichtige Informationen über Schiffe
und Frachten zukommen lassen. "Einige jüdische Handelsleute besaßen selbst
Schiffe, die auf Kaperfahrt gingen", so Kritzler. Die Informanten bekamen
einen festgelegten Beuteanteil, auch Synagogen wurden mitfinanziert.
Juden haben so auch maßgeblich an der Eroberung Jamaikas und der
Vertreibung der Spanier durch die Briten 1655 mitgewirkt. Oliver Cromwell
habe sich das Wissen der "konvertierten" Juden zunutze gemacht. Ab 1622
bildeten diese "Conversos", wie die Spanier sie nannten, eine fünfte Kolone
im Auftrag der britischen Krone, die ihnen im Gegenzug religiöse Freiheit
versprach.
Die Bedeutung der Juden im Handel in der Karibik, aber auch in Sachen
Piraterie macht Kritzler beispielhaft an Port Royal fest. In der heimlichen
Hauptstadt der Piraterie gab es mehrere jüdische Bethäuser. Das größte
befand sich direkt im Zentrum. Und auf einer von der damaligen Gemeinde
unterhaltenen Begräbnisstätte in der Nähe von Kingston haben Ashley
Henriques und Freiwillige aus der jüdischen Gemeinde des Landes mehr als
300 Grabsteine mit englischen, portugiesischen, spanischen und hebräischen
Schriftzeichen freigelegt.
"Wir waren schon überrascht, als wir auf dem Marmorplatten neben dem
Davidstern auch den Totenkopf und gekreuzte Knochen eingemeißelt fanden",
sagt der 70-jährige Henriques, der frühere Präsident der United
Congregation of Israelites in Jamaika.
Der "abenteuerlustige Bursche" David Baruch Alvarez etwa starb am 8.
November 1692, nur wenige Monate nachdem ein Seebeben Port Royal dem
Erdboden gleichgemacht hatte. Sein Grabstein auf dem Jüdischen Friedhof von
Hunts Bay, südlich von Downtown Kingston gelegen, schmückt das
Piratensignet, ebenso das des Abraham Baruch Alvarez. "Wir haben auch
mehrere Gräber von Kaufleuten gefunden, auf denen das Piratenzeichen war",
sagt Henriques. In der 200-köpfigen Gemeinde gingen die Meinungen
auseinander, ob man dies veröffentlichen sollte. "Wir haben das sehr
kontrovers diskutiert", sagt Henriques. Heute stehe man auch zu diesem Teil
der jüdischen Siedlungsgeschichte von Jamaika.
"Die Mehrheit der jüdischen Piraten", sagt Kritzler, "waren gottesfürchtige
Menschen." Am Sabbat seien in Port Royal die Kneipen geschlossen gewesen.
Die Frauen gingen freitags in die Mikwe zur rituellen Waschung, und die
Männer suchten am Ruhetag geistige Erbauung in der Synagoge - wenn sie
nicht auf Kaperfahrt waren.
28 Apr 2009
## AUTOREN
Hans-Ulrich Dillmann
## TAGS
Texas
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