# taz.de -- Kinderarzt über Streit um Frühgeborene: "Eins bringt bis zu 100.0… | |
> In Deutschland sterben mehr Frühchen als anderswo in Westeuropa. Ein | |
> Grund: Vor allem kleine Kliniken wollen mit der teuren Behandlung Umsatz | |
> machen, anstatt sie an Spezialkliniken zu überweisen. | |
Bild: "Es fällt Chefärzten schwer zuzugeben, dass ihr Team mit komplizierten … | |
taz: Herr Obladen, werden Frühchen bei uns schlecht versorgt? | |
Michael Obladen: Von den jährlich rund 8.000 Kindern zwischen 400 und 1.500 | |
Gramm Geburtsgewicht stirbt in Deutschland jedes siebte. Jedes fünfte der | |
Überlebenden ist behindert. Wer damit zufrieden ist, kann sich jetzt | |
zurücklehnen. Doch allein das starke Nord-Süd-Gefälle der Überlebenschancen | |
ist ein sehr starker Hinweis, dass es vor allem in Norddeutschland | |
Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Im Süden der Republik war die | |
Bereitschaft, solche - meist absehbaren und darum planbaren - Frühgeburten | |
in spezialisierten Zentren stattfinden zu lassen, immer schon größer. | |
Wo läuft die Frühchen-Versorgung vorbildlich? | |
In allen skandinavischen Ländern. Hier ist die Spezialisierung sehr weit | |
gediehen. Ganz Finnland hat fünf so genannte Perinatalzentren. Schlagzeilen | |
hat zuletzt auch Portugal gemacht. Dort gelang es, durch eine Reduzierung | |
der geburtsmedizinischen Kliniken von 200 auf 51, die Sterblichkeit der | |
Frühchen von 27 auf 15 Prozent zu drücken. Das ist ein unglaublicher | |
Fortschritt für ein relativ armes Land, das dadurch auch Deutschland | |
überholt hat. | |
Ende 2008 beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss, dass nur noch Kliniken | |
mit mindestens 12 Fällen im Jahr Frühchen behandeln sollen. Ist das keine | |
Spezialisierung? | |
Nein. Das verhindert allenfalls die Gelegenheitsversorgung. Wir hatten in | |
Deutschland über 100 Kliniken, die pro Jahr nur ein, zwei oder drei | |
Frühgeborene behandelten. Aber auch mit der Zahl 12 wird keine | |
Professionalität erreicht. Im Schichtbetrieb sehen die Ärzte und Schwestern | |
dann trotzdem bloß zwei oder drei Kinder im Jahr. So kommt keine Übung | |
zustande. Man braucht Erfahrung, um weniger zu machen - um etwa die | |
Beatmungsdauer auf das notwendige Minimum zu reduzieren. Ich befürworte | |
eine Mindestmenge von 35 bis 50 Fällen pro Jahr. | |
Wer wehrt sich gegen eine höhere Mindestmenge? | |
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der Verband der leitenden | |
Kinderärzte als Interessenvertretung der kleinen Kliniken haben eine höhere | |
Mindestmenge bislang verhindert. Hier spielen verschiedene Motive eine | |
Rolle. Durch den starken Geburtenrückgang sind ehemals große Kliniken jetzt | |
eher kleine und unbedeutende Einrichtungen. Das ist bitter. Hinzu kommt | |
Prestigedenken: Es fällt Chefärzten schwer zuzugeben, dass ihr Team mit | |
komplizierten und seltenen Fällen überfordert ist. Schließlich kommt der | |
Druck von den Verwaltungsdirektoren: Ein Frühchen unter 1.000 Gramm | |
Geburtsgewicht bringt 60.000 bis 100.000 Euro. | |
Ein nennenswerter Umsatz. | |
Es ist jedoch ein logischer Fehlschluss zu glauben, mit Frühchen Überschuss | |
machen zu können. Man braucht das Geld - vor allem fürs Personal. Die von | |
den Kassen zugebilligte Fallpauschale ist auf Kante genäht. Wer meint, mit | |
Frühchen Gewinn machen zu können, will offenbar Geld für anderes abzwacken | |
und den Kindern etwas vorenthalten. | |
Diese Woche werden die Mindestmengen-Gegner auf dem Neonatologen-Kongress | |
in Berlin versuchen, den Vorstand der Fachgesellschaft zu entern. Droht | |
dort ein Rückschritt? | |
Das lässt mich eher ruhig. Ich vertraue darauf, dass die Kinderärzte in | |
ihrer Gesamtheit weiter für die Interessen der Kinder einstehen werden. | |
Wenn das Unwetter vorbei ist, wird die Mehrzahl der Kinderärzte eine | |
vernünftige, differenziert eingeführte Mindestmenge mit strenger | |
Qualitätssicherung hinnehmen. | |
4 May 2009 | |
## AUTOREN | |
Ulla Wohlwill | |
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