# taz.de -- Debatte Spätabtreibung: Das eugenische Argument | |
> Die Debatte um Spätabtreibung wird geführt in einer Zeit, in der | |
> deutschen weißen Frauen die Verantwortung für die demografische Zukunft | |
> der Nation aufgebürdet wird. | |
Die Debatte um Spätabtreibung wird in einer Zeit geführt, in der weißen | |
deutschen Frauen die Verantwortung für die demografischen Zukunft der | |
Nation aufgebürdet wird. Das geschieht durch moralischen oder finanziellen | |
Druck und nicht erst seit gestern: Bereits 2006 hatte die Sozialministerin | |
von Sachsen Helma Orosz gefordert, die finanzielle Unterstützung für | |
Abbrüche zu reduzieren. | |
Abtreibung ist in fast allen Ländern noch nicht mal Teil der | |
gynäkologischen Grundausbildung und der Mangel an Abtreibungsärzten stellt | |
in Kombination mit Wartefrist und Zwangsberatung in manchen Landstrichen | |
ein logistisches Problem für Frauen dar. | |
Eine weitere Kriminalisierung wird dazu führen, dass noch weniger Ärzte | |
diese Dienstleistung anbieten werden. Bereits jetzt kommen 1.100 deutsche | |
Frauen jedes Jahr für eine Abtreibung in die Niederlande, wo die | |
Abtreibungsregelung liberaler ist. | |
Dass Frauen es sich zu einfach machen, ist das gängige Argument der | |
Konservativen, denn die psychologische Zurichtung von Frauen zu sich | |
aufopfernden und schuldig fühlenden Müttern ist Staatsräson. In einer | |
Gesellschaft, in der Behinderung hauptsächlich als Kosten- und | |
Karriereproblem gesehen wird und in der junge Mädchen schon bei der | |
Rötelimpfung mit dem Bedrohungsszenario "behindertes Kind" auf ihre Rolle | |
als Hüterin der nationalen Gesundheit vorbereitet werden, gibt der Staat | |
die Verantwortung für eine Spätabtreibung symbolträchtig an die einzelne | |
Frau ab. | |
Neben dieser Bigotterie wird auch etwas anderes deutlich: Im Vergleich USA | |
und Europa zeigt sich bei organisierten AbtreibungsgegnerInnen eine | |
interessante Parallele: Der Kampf gegen Rassismus und | |
Behindertenfeindlichkeit wird instrumentalisiert, um Abtreibung und deren | |
BefürworterInnen zu diskreditieren. In den USA werfen Abtreibungsgegner dem | |
Familienplanungszentrum Planned Parenthood Rassismus vor. Deren Gründerin | |
Margaret Sanger hatte 1938 zusammen mit dem schwarzen Aktivisten W.E.B. | |
DuBois das sogenannte "Negro Project" gegründet, um Verhütungsmittel in | |
schwarzen Communities zugänglich zu machen. | |
AbtreibungsgegnerInnen wie National Black Pro-Life Union denunzieren diese | |
Arbeit, indem sie behaupten, diese Familienplanung diene bis heute der | |
Vernichtung der schwarzen Bevölkerung. Und auf Flyern der Gruppe Life | |
Education steht zu lesen: "Zwischen 1882 und 1968 wurden in den USA 3.446 | |
Afroamerikaner gelyncht. Heute werden jeden dritten Tag mehr Babies von | |
weißen Abtreibungsärzten getötet als in den Jahren damals." | |
Nicht zuletzt bei universitären Gruppen (etwa bei den "Medical Students For | |
Life" mit 68.000 Mitgliedern) fällt diese sich vordergründig auf | |
Menschenrechte und Antirassismus beziehende Argumentation auf fruchtbaren | |
Grund. "Warum ist die Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen bei | |
Afroamerikanerinnen drei Mal höher als bei den Weißen?", fragt Mary McElroy | |
in einem Artikel im Collegemagazin The Greyhound im April 2009. Jede Frau, | |
fügt sie hinzu, müsse die Wahlfreiheit haben, ein Kind zu bekommen, auch | |
wenn sie arm und schwarz ist. Zweifellos, aber wäre hier nicht ein Plädoyer | |
für die Förderung und Hilfen für unterprivilegierte Schwarze hilfreicher? | |
Stattdessen schlägt McElroy die Brücke zu der zentralen | |
Identifikationsfigur Martin Luther King: "Um der Botschaft von Martin | |
Luther King gerecht zu werden, müssen wir das Recht auf Leben garantieren. | |
Es ist die Basis aller Menschenrechte." In ihrem Text ist nur das Leben der | |
Föten meint. Sanger, das nur am Rande, erfuhr seiner Zeit großen Zuspruch | |
von King. | |
Kings Nichte Alveda King hingegen nutzt ihren Namen, um für die | |
Antiabtreibungsbewegung zu werben. Auf dem Pro-Life March 2008 in | |
Washington führte sie vor bis zu 300.000 Demonstrierenden aus, wie sehr sie | |
unter ihren zwei Abtreibungen leide. Über ihre Webseite vertreibt sie | |
Aufkleber mit der Aufschrift: "Frauen bereuen Abtreibung". "Mein Ziel ist | |
es, den Tag herbei zuführen, an dem sich zu "pro choice" zu bekennen | |
bedeutet, sich als weißer Rassist zu bekennen", springt ihr der Pastor John | |
Piper auf der Webseite Desiring God zur Seite. | |
Auch wenn US-Politiker sich noch nicht öffentlich des Zusammenhangs | |
zwischen Abtreibung und Rassismus bedienen, versuchen Gruppen wie | |
Issues4Life, gezielt schwarze Pastoren als Sprecher zu gewinnen, um | |
politischen Einfluss zu gewinnen. In einem Schreiben 2008 an den Kongress | |
bezeichnen sie die Arbeit von PP als das "Darfur of America" und fordern, | |
ihnen sämtliche staatlichen Gelder zu streichen. Diese Strategie ähnelt der | |
von Präsident Reagen in den 80ern durchgesetzten Gag Rule. Dieses Gesetz | |
regelt, dass die USA in Entwicklungsländern keine NGOs finanziell | |
unterstützt, wenn diese Informationen über Abtreibung anbieten. Obama hat | |
diese Gag Rule außer Kraft gesetzt, aber die Republikaner kündigten bereits | |
an, diese Entscheidung rückgängig machen zu wollen. | |
"In den USA propagieren die Mainstream Medien den Rassismusvorwurf | |
normalerweise nicht", sagt Leslie Graham von PP/Maryland. Dennoch ist die | |
Lobbyarbeit der Abtreibungsgegner erfolgreich. In ganz Mississippi gibt es | |
auf 125.434 Kilometern nur noch eine Klinik, die Abtreibungen durchführt. | |
Vor dieser stehen jeden Tag AbtreibungsgegnerInnwn, um Frauen am Zutritt zu | |
hindern, wie Raney Aronson in ihrem Dokumentarfilm "The last Abortion | |
Clinic" zeigt. Dramatisch ist, dass der Rassismusvorwurf nicht nur gegen | |
Abtreibung benutzt wird, sondern auch gegen Verhütung, worauf Ingrid | |
Husisian von PP/New York hinweist. | |
In Deutschland hingegen bietet es sich vor dem Hintergrund von Debatten um | |
Eugenik und Nationalsozialismus an, Spätabtreibung zu skandalisieren, um | |
die gesellschaftliche Stimmung gegenüber Abtreibungen zu beeinflussen. Die | |
derzeitigen Diskussionen führten leider nicht zu der längst fälligen | |
Forderung, Abtreibungen generell zu entkriminalisieren, sondern geben | |
AbtreibungsgegnerInnen ein Werkszeug an die Hand, um in den nächsten Jahren | |
weitere Gesetzesverschärfungen zu fordern. | |
13 May 2009 | |
## AUTOREN | |
Sarah Diehl | |
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