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# taz.de -- Mit 81 Jahren in linkem Hausprojekt: Senior Hausbesetzer
> Alfred Kulhanek ist 81 und wohnt im linken Projekt Brunnenstraße 183.
> Doch das früher besetzte Haus soll geräumt werden. Kulhanek müsste dann
> ins Altersheim.
Bild: Hier halten Hausbesetzer ihr Heim noch in Beschlag, in der Brunnenstraße…
Manchmal ist Alfred Kulhanek pingelig. So muss sein Betreuer Jens Herrmann
an diesem Nachmittag als Allererstes den Fernseher anheben, damit er einen
länglichen Styroporklotz richten kann. "Das nervt mich schon die ganze
Zeit", meint der 81-Jährige mit leiser, aber fester Stimme, als habe er
schon den ganzen Tag darauf gewartet, dass ihm jemand dabei hilft. Aber vom
kleinkarierten Spießbürger ist der Rentner aus Tschechien dennoch weit
entfernt: Er lebt im linken Hausprojekt in der Brunnenstraße 183, länger
als jeder andere der derzeit noch rund 30 Bewohner.
In dieser Gemeinschaft mit jungen Leuten, die allesamt seine Enkel sein
könnten, ist er alt geworden. Er war schon länger nicht mehr draußen; auch
in der Kneipe im Hinterhof lässt er sich seltener blicken. Einzig in die
Küche einen Stock höher geht er noch jeden Tag. Alfred Kulhanek isst nicht
gerne allein.
Seit ein Passauer Arzt das stark renovierungsbedürftige Haus vor drei
Jahren gekauft hat, ist auch die Zukunft von Kulhanek ungewiss. Denn der
neue Eigentümer erkannte die mündlichen Mietverträge der Bewohner mit den
Vorbesitzern nicht an. Er will sie alle aus dem Haus haben, um es in ein
altengerechtes Mehrgenerationenprojekt umzubauen.
Weil die Eigentumsfrage jahrelang ungelöst blieb, war es für Manfred
Kronawitter - so heißt der Arzt - einfach, einen Bewohner nach dem anderen
herauszuklagen. Jetzt soll auch der Rentner Alfred Kulhanek weichen. Dafür
zog Kronawitter vors Landgericht. Erfolgreich. Kulhanek muss bis Ende Mai
ausziehen. Die vollständige Räumung des Hauses rückt damit näher.
Weil Kulhanek aber als einziger Bewohner einen schriftlichen Mietvertrag
vom vorherigen Eigentümer vorweisen kann, hat der Rentner mithilfe seiner
Hausgemeinschaft Berufung gegen das Urteil eingelegt. Er sei wegen seines
Alters ein Härtefall, so die Begründung. Nun hofft er, wenigstens ein paar
Monate länger in seiner Wohnung bleiben zu können, in der er schon
mindestens acht Jahre lebt. Wie lange genau, weiß niemand mehr. Nicht mal
er selbst.
Nach dem Fall der Mauer fuhr Kulhanek nach Berlin, um ein paar Ostmark zu
tauschen. Er blieb und schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch: verkaufte
etwa Souvenirs an Touristen und sammelte Flaschen, lange bevor andere die
Not dazu zwang. Eine Absicherung durch den Staat hatte der Tscheche nicht,
also lebte er von der Hand in den Mund. Zum Essen ging er meist in die
sogenannten Volksküchen der besetzten Häuser. Bald wohnte er auch in einem,
erst in der Kastanienallee, später zog er dann in die Brunnenstraße.
Warum er sein früheres Leben in Tschechien so abrupt hinter sich gelassen
hat, darüber schweigt Kulhanek, und auch niemand aus seinem Umfeld weiß
darüber Bescheid. Nur einmal ist er zurück nach Prag gefahren: Als
Tschechien vor fünf Jahren der EU beitrat, konnte er endlich Rente
beziehen. Dafür musste der Aussteiger aber zuerst der tschechischen
Rentenbehörde seine Existenz erklären, schließlich war er ja vor mehr als
einem Jahrzehnt einfach von der Bildfläche verschwunden.
Der Arzt Kronawitter ist sich offenbar bewusst, mit Kulhanek einen
besondern Fall vor sich zu haben. Im Januar hat er sich an das Amtsgericht
gewendet, weil er den Eindruck habe, Kulhanek könne nicht mehr für sich
allein sorgen. Als Arzt fühle er sich verpflichtet, dass eine Fachkraft
sich ein Bild von den Lebensumständen des 81-Jährigen macht, sagt er.
Handelt hier nun ein mitfühlender Mediziner oder ein Eigentümer, der seinen
Mieter loswerden möchte?
Wohl eher Letzteres, meint Moritz Heusinger, der als Anwalt die
Hausgemeinschaft vor Gericht vertritt. Wenn sich eine gesetzliche Betreuung
um Alfred Kulhanek kümmern würde, die für ihn das Leben regelt, dann käme
das einer Entmündigung gleich, sagt der Anwalt.
Bei Kulhanek kündigte sich ein Amtsarzt an, der prüfen wollte, ob er
hilfebedürftig sei. Die gesetzliche Fürsorge soll eigentlich Mittellose vor
der Verelendung bewahren - doch im diesem Fall nehme das Züge einer
Zwangsmaßnahme an, findet Jens Herrmann, der zwei- bis dreimal in der Woche
bei dem Rentner vorbeischaut und sich um ihn kümmert. Bereits vor zwei
Jahren habe Kulhanek vorgesorgt und ihm eine Vollmacht erteilt, erklärt
Herrmann.
Wenn er Hilfe benötige, dann möchte er sie im Kreise seiner Freunde aus dem
Haus empfangen, betont Kulhanek. Das Betreuungsverfahren wurde vor zwei
Wochen eingestellt. Für den Eigentümer Kronawitter indes steht fest, dass
die Hausbewohner den Rentner instrumentalisieren, um ihre "persönlichen
Ziele als Hausbesetzer zu verwirklichen", so der Arzt zur taz.
Kulhaneks Wohnung ist schlicht. Zwei Räume, an den Wänden roher Putz. Die
Wand hinter der Couch im Zimmer zum Hof ist speckig. Seit er die Wohnung
bezogen hat, hat niemand renoviert - und davor auch lange nicht. 60 Euro
Miete zahlt Kulhanek. Von seiner Minirente aus Prag kann sich der Tscheche
keine andere Wohnung leisten. Mit der Finanzkrise hat sich zudem der
Wechselkurs der Krone verschlechtert: Kulhanek bekommt gerade mal 300 Euro
im Monat überwiesen.
Er ist kein besonders redseliger Mensch. Durch die buschigen, schlohweißen
Augenbrauen blickt ein scheuer Mann, der allenfalls durch seine
Bescheidenheit auffällt. Er wünscht sich nichts sehnlicher als seine Ruhe.
Doch die jüngste Entwicklung nimmt keine Rücksicht mehr auf ihn - Alfred
Kulhanek ist doch zwischen die Fronten in diesem Häuserkampf geraten.
Am liebsten würde Kulhanek natürlich den neuen Eigentümer loswerden, wie
alle anderen im Haus auch. Dann würden sie das Haus selbst kaufen. Das
hätte auch fast geklappt. Nachdem Bezirkspolitiker für Kronawitter ein
brachliegendes Ersatzgrundstück in der Ackerstraße 28 aufgetan hatten,
hätte der Arzt sich auf einen Neubau eingelassen. Als dann aber auch die
Designerin Henriette Joop Interesse an dem Grundstück signalisierte - sie
will mit ihrer Firma Jette von Hamburg nach Berlin übersiedeln -, zerschlug
sich der Deal. Der Senat, der über das landeseigene Grundstück indirekt
verfügen kann, ließ keinen Zweifel daran, dass es sich für Joop und gegen
Kronawitter entscheidet. Kronawitter selbst wundert sich, dass sich Rot-Rot
nicht für das Projekt einsetzt: "Der Senat hat an einer Problemlösung kein
Interesse. Mich lässt man im Regen stehen. Ich habe dann den Auftrag, das
illegale Wohnen zu beenden", sagte er der taz.
Die Unterstützer des im Haus ebenfalls ansässigen Umsonstladens können sich
noch recht gut daran erinnern, wie der Regierende Bürgermeister Klaus
Wowereit bei ihnen vorbeikam - vor der letzten Abgeordnetenhauswahl 2006
auf einem Kiezspaziergang durch die Rosenthaler Vorstadt. Da drückte er
seine Sympathie mit dem Laden aus, in dem ausgediente Gegenstände getauscht
werden können. Wowereit sagte, er wolle sich für den Erhalt des Ladens
einsetzen. Das ist er bislang schuldig geblieben.
Im Haus schimpfen sie jetzt auf den Regierenden Bürgermeister. Nur Alfred
Kulhanek hält sich zurück. Seit einigen Monaten fällt ihm der Alltag
zunehmend schwer. Früher arbeitete er in Tschechien im Uranbergbau und
erkrankte an Krebs. Einen Lungenflügel schnitten ihm die Ärzte heraus. Das
macht ihn kurzatmig, und nun japst er mehr und mehr durch die Wohnung. Im
Haushalt hilft ihm jetzt neben Jens Herrmann auch Tobias Haupt, der seine
Kleidung wäscht und die Zimmer aufräumt. Die Forderung nach Solidarität auf
den Transparenten vor den Fenstern wird in die Praxis umgesetzt.
## Reisen - der große Traum
Vor einem Jahr konnte sich Kulhanek mit der nach schier endlosem Warten
endlich eingetroffenen Nachzahlung seiner Rente einen Traum erfüllen: eine
Reise nach New York. Er legt eine DVD ein, wie eine Art Beweis. Jens
Herrmann hat die Aufnahmen gemacht. Das Video zeigt Kulhanek auf dem Empire
State Building, den Broadway entlang schlendern und auf einem
Kreuzfahrtschiff. Für 800 US-Dollar fuhren die beiden über den Atlantik
zurück. Heute würde er das nicht mehr schaffen - "zu alt", sagt Alfred
Kulhanek ohne Wehmut. Er ist müde geworden.
Alfred Kulhanek streift sich eine Strickjacke über und zündet eine
Zigarette an. Sein Radiator hatte vor einigen Tagen einen Kurzschluss, das
Ersatzgerät schafft an kühlen Abenden keine wohlige Wärme, fängt aber laut
an zu summen, wenn es anspringt. Sobald im Umsonstladen im Erdgeschoss ein
Heizgerät abgegeben wird, bekommt er es.
Muss er ausziehen, dann bleibt ihm wohl nur der Weg ins Altersheim.
19 May 2009
## AUTOREN
Stefan Otto
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