# taz.de -- Stasi und Westberlins Linke: Anarchisch und kleinbürgerlich | |
> Die Stasi hatte es enorm schwer, unter den Westberliner radikalen Linken | |
> Einflussagenten und Informanten zu gewinnen. | |
Bild: Mit der SED und Stais konnten die radikalen antiautoritären Studenten vo… | |
Wie der "Fall Kurras" erweist, war die Staatssicherheit der DDR ziemlich | |
zielsicher, was die Platzierung ihrer Leute im Westberliner | |
Sicherheitsapparat anbelangt. Aber konnte sie die gleichen Erfolge auch in | |
den Organisationen und Vereinigungen der oppositionellen Linken aufweisen? | |
Entgegen dem ersten Anschein einer ideologischen Nähe zwischen der | |
Westberliner Linken und der SED gestaltete sich der Versuch der Stasi, in | |
diesem Milieu Einflussagenten und IMs zu gewinnen, außerordentlich | |
schwierig. | |
Am ehesten gelang dies im Fall des Westberliner Republikanischen Klubs, wo | |
einige honorige Figuren für Spitzeldienste gewonnen werden konnten. Zu | |
ihnen zählten der altliberale Politiker William Born und einer der | |
führenden jüngeren DDR-Spezialisten, Dieter Staritz. Immer dann, wenn ihre | |
Gewährsleute "Enthüllungen" über die politischen Eliten der Bundesrepublik | |
lancierten, konnte die Stasi auf Aufmerksamkeit hoffen. Die Stasi | |
scheiterte aber darin, den Republikanischen Klub in wichtigen politischen | |
Fragen auf die Linie der SED zu bringen. | |
Noch schwieriger war es für die Stasi, die Reihen der Westberliner | |
radikalen Linken, insbesondere den Sozialistischen Deutschen Studentenbund | |
(SDS), zu unterwandern. Die antiautoritären radikalen Linken hatten | |
kulturell wie politisch überhaupt nichts am Hut mit dem SED-Sozialismus. | |
Sie träumten von der sozialistischen Produzentendemokratie und von den | |
Räten als Ausdruck der unmittelbaren Volksherrschaft. Sie lehnten auch die | |
Haltung der SED zum vietnamesischen Befreiungskampf als ungenügend und | |
heuchlerisch ab. Ein Versuch der frühen 1960er-Jahre, eine kontroverse | |
Diskussion zwischen der SED-dominierten FDJ und dem SDS zu führen, war | |
bereits nach dem ersten Anlauf an den Realsozialisten gescheitert. | |
Wenig vorteilhaft für die Staatssicherheit war auch, dass führende | |
Vertreter des SDS in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre als Schüler | |
Bekanntschaft mit dem DDR-Sozialismus gemacht hatten und anschließend aus | |
der DDR geflohen waren. SDS-Militante wie Dutschke, Rabehl und Rambausek | |
entwickelten ihre Anschauungen gerade als Gegenbild zum | |
bürokratisch-tyrannischen und überaus spießigen realen DDR-Sozialismus. Dem | |
steht nicht entgegen, dass die Antiautoritären zur Unterstützung des | |
vietnamesischen Volkes auf eine internationale Einheitsfront unter | |
Einschluss der sowjetisch beherrschten Länder drängten. Aber gerade der | |
Westberliner Vietnamkongress von 1968 erbrachte eine scharfe Abgrenzung | |
seitens der radikalen Linken von den Sowjets und ihren Satrapen. | |
Mit der sowjetischen Besetzung der CSSR im August 1968 wurde jede | |
Aktionseinheit beendet. Seitens der SED wurde die radikale Linke in | |
Westberlin als kleinbürgerlich, pseudolinks, also im Kern rechts kritisiert | |
und abgelehnt. Vielmehr stützte sich die SED in den späten 1960er-Jahren | |
auf linke Studentengruppen in der Bundesrepublik mit einem konventionell | |
"traditionalistischen" Zuschnitt. Aus ihnen entwickelte sich später der MSB | |
Spartacus. In dessen Reihen fanden sich, wie aus den Akten der | |
Gauck/Birthler-Behörde hervorgeht, auch eine Anzahl IMs als | |
Überzeugungstäter. Dieses Umfeld war es, das Walter Ulbricht zu der | |
Einschätzung brachte, die Studentenbewegung sei, "von | |
anarchisch-kleinbürgerlichen Obertönen" abgesehen, ein fortschrittliches | |
Unternehmen. Es waren aber gerade diese Obertöne, die - Pech für die Stasi | |
- in Westberlin die Musik machten. CHRISTIAN SEMLER | |
23 May 2009 | |
## AUTOREN | |
Christian Semler | |
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