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# taz.de -- Ersatz für Antibiotika: Bakterienkiller in der Käserei
> Um gesundheitsschädigende Bakterien in Lebensmitteln zu vernichten,
> werden neuerdings spezielle, vorab gezüchtete Bakteriophagen eingesetzt.
Bild: Bakteriophagen besitzen eine begrenzte Wirtsspezifität und infizieren me…
Eine Lebensmittelvergiftung gehört zum Scheußlichsten, was uns widerfahren
kann. Mitunter endet sie tödlich. Viel Aufsehen erregte 1987 ein Fall in
der Schweiz, bei dem über 30 Menschen nach dem Genuss von Weichkäse
starben.
Erreger waren in diesem Falle sogenannte Listerien. Heute sind diese
Bakterien im Vormarsch. Als einzige von allen gefährlichen Erregern sind
sie aus Produktionsanlagen für Milch, Fleisch und Fertiggerichte mit
herkömmlichen Methoden kaum zu vertreiben. Resistent inzwischen auch gegen
Kühlung und Sauerstoffmangel, sind sie der Albtraum aller
Nahrungsmittelproduzenten.
Eine mögliche Lösung des Problems atmen wir täglich millionenfach mit der
Luft ein, trinken sie mit dem Wasser, sie haust in unserem Gedärm. Es
handelt sich um die natürlichen Feinde der Bakterien, sogenannte
Bakteriophagen. Diese sind Viren, die zur Vermehrung auf Wirtszellen
angewiesen sind. Phagen infizieren nur Bakterien und keine "höheren"
Organismen wie etwa Tiere oder Pflanzen.
Im Frühjahr hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA)
ein Gutachten für die EU-Kommission verfasst, in dem sie den künftigen
Einsatz von Bakteriophagen in der europäischen Lebensmittelindustrie
grundsätzlich für sinnvoll erklärt. Gleichzeitig stellt sie aber einen
beträchtlichen Forschungsbedarf auf diesem Gebiet fest und spricht sich
dafür aus, die dazu notwendigen Gelder zu bewilligen.
Wie die Bakteriophagen wirken? Mit ihren dicken, schraubenschlüsselähnlich
abgekanteten "Köpfen" und einigen dürren Extemitäten nehmen sie sich unter
dem Mikroskop aus wie der Außerirdische ET. Dabei sind sie keine Lebewesen
im eigentlichen Sinne, sie haben keine einzige Zelle. Ohne Wirtszelle
zerfallen sie in ihre Bestandteile.
Gewöhnlich bohrt die Phage ein Loch in die Zellwand der Bakterie, in der
sich ihre Gene dann vermehren. Sind genug Nachwuchsphagen herangereift,
zersetzen sie diese Zellwand, töten so die Wirtsbakterie und gelangen
wieder ins Freie. Diesen Prozess nennt man Lysis.
Bakteriophagen sind die zahlreichsten Mikroorganismen der Erde. Da sie uns
ohnehin allseits umgeben, ohne uns zu tangieren, ist es höchst
unwahrscheinlich, dass wir allergisch auf sie reagieren. Zudem kann man sie
dank ihrer hohen Spezialisierung außerordentlich gezielt einsetzen.
Bakteriophagen besitzen eine begrenzte Wirtsspezifität und infizieren meist
nur eine Bakterienspezies. So schädigen zum Beispiel listerienfeindliche
Phagen die für die Reifung von Milch und Käse notwendigen Mikroorganismen
kein bisschen. Das Lebensmittel bleibt wie es war und schmeckt wie es soll.
Phagen hinterlassen also keinen ökologischen Fußabdruck. Im Enderzeugnis
sind sie meist kaum noch vorhanden. Ihr Einsatz bildet also einen "grünen"
Weg zur Lebensmittelsicherheit.
Besonders geht das EFSA-Gutachten auf die Frage ein, ob einmal auf diese
Weise gereinigte Lebensmittel dank der Bakteriophagen auch bei einer
erneuten Infektion mit den selben Bakterien weiter geschützt sind. Sind die
Bakterien einmal zerstört, fehlt den Phagen eigentlich ihre
Existenzgrundlage.
Aber, so argumentiert Stefan Hertwig, wissenschaftlicher Mitarbeiter der
Fachgruppe Diagnostik und Genetik beim Bundesinstitut für Risikobewertung
(BfR) und Mitglied der EFSA-Arbeitsgruppe: "Phage ist nicht gleich Phage.
Manche zerfallen schneller als andere, die wieder aktiv werden können, wenn
sie einem geeigneten Wirt begegnen". Das salomonische Urteil der Komission
lautet daher: jeder Fall ist einzeln zu entscheiden.
Anlass für das Gutachten bildete ein Antrag der niederländischen Firma EBI
Food Safety an die Europäische Kommission auf Zulassung ihres Präparates
"Listex P100". Es handelt sich um eine versprühbare Suspension von gegen
Listerien wirkenden Phagen. Die Firma aus dem Universitätsstädtchen
Wageningen am Niederrhein erhielt schon 2007 den Oskar der
Lebensmittelindustrie, den Gold Award der weltweit größten Messe für
Lebensmittelinhaltsstoffe, der FI (Food Ingredients) in London.
Firmengeheimnis ist die Methode, mit der man ein und die selbe
Phagenspezies in so hoher Konzentration gewinnen konnte. Wichtig ist dem
aus rund 20 Mitarbeitern bestehendem Unternehmen, dass dabei keinerlei
Genmanipulation vorgenommen wurde: "Unsere Phagen sind 100 Prozent
naturbelassen", betont EBI-Pressesprecherin Jolanda van Haarlem. In den USA
hat die Lebensmittelbehörde den Verkauf von Listex P100 bereits erlaubt.
Das Phagenprodukt erhielt dort das GRAS-Zertifikat (Generally Recognized As
Safe). Auch in der Schweiz und in den Niederlanden wurde das Mittel für
bestimmte Produktionsbereiche freigegeben.
Die heute wieder neue Desinfektionsmethode mit Bakteriophagen ist schon
fast ein Jahrhundert alt. Der Kanadier Felix d'Herelle (1917) und der Brite
Edward Twort (1915) isolierten unabhängig voneinander als erste
Bakteriophagen. Doch über den 2. Weltkrieg hinaus wurden sie nur in
Osteuropa eingesetzt, vor allem in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion,
wo man sich Antibiotika kaum leisten konnte. Gerade gegen letztere haben
bekanntlich inzwischen zahlreiche Bakterienstämme Resistenzen entwickelt.
Deshalb erscheinen Phagen auch in der Medizin wieder als attraktive
Alternative. Könnten Bakterien aber nicht auch gegen diese, langfristig
Abwehrmechanismen entwickeln, gäbe es schon heute keine Bakterien mehr.
29 May 2009
## AUTOREN
Barbara Kerneck
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