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# taz.de -- Erstarkender Rechtsradikalismus: Hatz auf Roma in Ungarn
> Ungarn ist in eine gravierende wirtschaftliche Schieflage geraten. Mit
> der Existenznot der Bürger erstarken die Radikalen. Gewalt gegen Roma ist
> nahezu alltäglich.
Bild: Völkischer Aufmarsch: Rechtsradikale in Budapest.
In den Vorgärten hocken kleine, bösartige Kläffer. Beim Anblick fremder
Passanten geraten sie außer sich. Entfesselte Tobsucht zwischen Geranien
und Stiefmütterchen. Eine Eigenheimsiedlung am Rand der Industriestadt Györ
in Nordwestungarn. Támas und Tímea Sz., beide 33 Jahre alt, Eltern zweier
kleiner Mädchen, sitzen in der Wohnküche ihres Hauses und fragen sich, wie
es weitergeht. Sie müssen Raten für einen Hypothekenkredit und zwei Pkws
zahlen. Seit Ausbruch der Finanzkrise hat die ungarische Währung ein
Viertel ihres Werts verloren, die Raten der Sz. verdoppelten sich, sie
haben kaum noch Geld, um einzukaufen.
Tamás Sz. ist Automechaniker, ein bulliger Typ mit kahl geschorenem
Schädel, seine Frau Tímea Angestellte bei den Stadtwerken. Sie ist zutiefst
verbittert und redet sich in Rage. Schuld an der Krise seien die
amerikanischen Banken und die Juden, sagt sie. Jeden Tag sehe sie, wie
kleine Firmen pleitegingen, während sich die ungarischen Politiker
bereicherten. Dann zieht sie plötzlich über Roma her. "Sie können nicht
lesen und schreiben, aber sie haben einen Führerschein und holen ihre
Sozialhilfe im Mercedes ab", sagt sie mit wütendem Gesicht, ihr Mann nickt
dazu. "Man sollte diese arbeitsscheuen Zigeuner ins KZ zur Zwangsarbeit
schicken."
Verbitterung und Hass: Im Ungarn dieser Tage sind sie so verbreitet wie nie
zuvor in den letzten Jahrzehnten. Viele verzweifeln an wirtschaftlichen
Schwierigkeiten, viele denken ähnlich wie die Eheleute Sz.
Einst galt Ungarn als die "lustigste Baracke" im Ostblock, nach dem Ende
der Diktatur als Musterland in Osteuropa. Jetzt ist es an einem Tiefpunkt
seiner postkommunistischen Geschichte angelangt. Die politische Elite
genießt kaum noch Vertrauen, der Staat steht vor der Pleite, Rechtsextreme
erstarken, und rechtsterroristische Gewalt gegen Roma ist nahezu
alltäglich.
In den letzten anderthalb Jahren wurden acht Roma ermordet, Ende Februar
zwei auf besonders hinterhältige Weise: In Tatárszentgyörgy südlich von
Budapest zündeten Unbekannte das Haus einer Roma-Familie an. Als der
27-jährige Familienvater mit seinem 4-jährigen Sohn aus den Flammen
flüchtete, erschoss einer der Täter die beiden mit einer Schrotflinte.
Der Philosoph und frühere antikommunistische Bürgerrechtler Gáspár Miklós
Tamás, 60, stellt eine düstere Diagnose: "Das Eis der Zivilisation ist in
Ungarn dünn. Es bricht gerade ein."
Vorausgegangen sind dem fast zwei Jahrzehnte verfehlte Wirtschaftspolitik
und innenpolitische Dauerkrise: Ungarn hat einen riesigen Schuldenberg
angehäuft. In den letzten Jahren haben sich mehrere sozialistisch-liberale
Regierungen als unfähig erwiesen, die tiefen Strukturprobleme im
Verwaltungs-, Bildungs- und Gesundheitswesen zu lösen. Die
Nationalkonservativen des Bundes Junger Demokraten, derzeit in der
Opposition, vergiften die öffentliche Stimmung schon seit Mitte der
Neunzigerjahre mit ultrarechter Rhetorik. Gleichzeitig machen Politiker
aller Parteien durch Korruptionsaffären von sich reden. Hinzu kommt nun die
globale Finanzkrise: Einen Staatsbankrott konnte Ungarn nur durch
Notkredite von EU, IWF und Weltbank abwenden.
Ein Klima, wie geschaffen für den Aufstieg der Rechtsextremen. Die Partei
Jobbik, "Bewegung für ein besseres und rechteres Ungarn", die mit Abstand
stärkste Rechtsaußenkraft, hat vor allem in den letzten Monaten viele
kommunale Wahlerfolge erzielt, im Schnitt kam sie auf 10 Prozent. Anfang
Juni will die Partei nun ins Europaparlament einziehen, im nächsten Jahr
ins ungarische Parlament.
"Ungarn den Ungarn!" lautet das Motto von Jobbik. Ihre Werbespots zeigen
eine Faust, die auf den Tisch haut. Dazu zackige Worte: "Verbrecher ins
Gefängnis! Ordnung, Ruhe, Wachsamkeit!" Die Partei ist gegen die "liberale
Lahme-Enten-Demokratie", gegen die "Vormacht multinationaler Konzerne",
gegen "die Leere der Konsumgesellschaft" und für einen "starken,
christlichen Staat" aus einem "nationalen Netz lebensstarker kleiner
Gemeinschaften".
Es sind keine randständigen Existenzen, die mit solchen Parolen hausieren
gehen. Die Mitglieder der Jobbik-Parteielite stammen aus dem Bürgertum, sie
sind Lehrer, Ingenieure, Juristen, Beamte oder Studenten, sie pflegen das
Image sauberer, unverbrauchter Patrioten. Sie sind Vertreter eines "von
hysterischer Absturzangst und Moralpanik erfassten Mittelstandes", wie
Gáspár Miklós Tamás sagt.
Budapest an einem Frühlingsnachmittag, eine Jobbik-Wahlkampfveranstaltung
am Rande des Parlamentsplatzes. Es spricht Krisztina Morvai, die
Jobbik-Spitzenkandidatin für das Europaparlament. Die 46-Jährige ist eine
smarte, dauerlächelnde Juristin, dreifache Mutter, sie lehrt Strafrecht an
der Budapester Universität. In ihrer Rede spricht sie von "unsereins" und
"ihresgleichen". Letztere sind im suggestiv-verklausulierten Duktus der
modernen ungarischen Antisemiten die Juden. "Ihresgleichen Zeit ist
abgelaufen", ruft Morvai unter tosendem Beifall.
Eine "lebensstarke Gemeinschaft" marschiert auf: zweihundert Uniformierte,
schwarze Hosen und Westen, weißes Hemd, perfekt eingeübter Gleichschritt.
Auf Befehl des Kommandanten halten sie an. "Ungarische Garde, gebs Gott!",
schreit er heiser. "Schöne Zukunft!", brüllen die Gardisten zurück.
Die Ungarische Garde, gegründet im August 2007 von Jobbik-Chef Gábor Vona,
ist ein paramilitärischer Trupp schwarz uniformierter
Möchtegernordnungshüter. Ganz im Gegensatz zur Jobbik-Elite kommen die
Gardemitglieder vor allem aus der Schicht der Armen und wenig Gebildeten.
Die Gesellschaft hat immer weniger Verwendung für sie. Die Garde bietet
ihnen zwar keine Perspektive, aber immerhin eine Rolle. Nahezu täglich
marschieren Einheiten der schwarz Uniformierten irgendwo in Städten und
Gemeinden auf, sorgen angeblich für mehr öffentliche Sicherheit und weniger
"Zigeunerkriminalität".
Das ist nur die sichtbarste Seite einer regelrechten Blockwartmanie im
Land. Außer der Garde gibt es zahlreiche lokale und nationale Not-, Volks-
und Bürgerwehren, neben den Ortsschildern vieler Gemeinden und Städte ist
zu lesen: "Hier arbeitet eine Bürgerwache." Die haben den Status einer Art
freiwilligen kommunalen Polizei. Bürgerwächter zu sein ist ein Ehrenamt,
man zahlt Vereinsbeiträge und darf dafür zusammen mit örtlichen Polizisten
Streifendienst leisten. Jüngst legte die sozialistisch-liberale
Regierungskoalition einen Gesetzentwurf vor, nach dem Bürgerwachen ihre
Mitglieder mit Gummiknüppeln und Tränengasspray ausrüsten dürfen.
Von einer starken Bürgerwache träumen auch die älteren, gut gekleideten
Herren in einem Villenvorort der westungarischen Stadt Székesfehérvár. Sie
scharwenzeln um den jungen Mann mit den unschuldigen braunen Augen und dem
Haifischlächeln herum. Sie haben begeistert geklatscht zu seinem Vortrag,
zu dem Journalisten nicht zugelassen waren, nun verabschieden sie den
"Herrn Vorsitzenden" devot.
Die älteren Herren sind führende Unternehmer aus der Region. Der junge Mann
ist Gábor Vona, 30, der Jobbik- und Garde-Chef.
Er hat sich und seine Partei präsentiert, jetzt blickt er unsicher auf die
dienernden Herren und scheint selbst überrascht, wie gut er in den besseren
Kreisen ankommt. Immerhin, klagt er, werde er ja in den "liberalen
Vaterlandsverrätermedien" ständig als "Nazi, Faschist und Extremist
beschimpft", dabei sei er ein "Nationalradikaler".
Vona ist eigentlich Geschichtslehrer, arbeitet aber als Produktmanager für
Sicherheitstechnik. Überall in und um Ungarn wittert er Kriminelle, die das
Land zerstören wollen. "Die öffentliche Empörung wächst", sagt Vona, "man
will, dass endlich jemand Ordnung schafft; deshalb erhalten wir immer mehr
Unterstützung."
Jenö Radetzky hat Vonas Vortrag mit stillschweigendem Wohlwollen angehört.
Der 62-jährige Unternehmer und Chef der örtlichen Industrie- und
Handelskammer hütet sich vor eindeutigen Positionen. Er sei gegen Gewalt,
aber man müsse den Hintergrund verstehen. "Der Staat schützt seine Bürger
und Unternehmer nicht mehr. Ständig wird in Firmen eingebrochen, auch in
meine. Da kommt irgendwann dieser Selbstschutzreflex."
Ist die Hinrichtung kleiner Kinder Teil dieses Reflexes? Radetzky zuckt die
Schultern. "Seit es die Garde gibt, konnte man nicht in einem einzigen Fall
beweisen, dass sie irgendetwas mit Gewalt zu tun hatte."
Tamás Sz. wäre selbst gern in die Garde eingetreten. "Meine Frau hat es
nicht erlaubt", sagt er. "Die Garde ist das Einzige, wovor die Zigeuner
Angst haben. Aber Tamás ist ein aufbrausender Mensch. Ich will nicht, dass
er gewalttätig wird und Probleme mit der Polizei bekommt. Wir haben Familie
und müssen an unsere Kinder denken", sagt Tímea Sz.
4 Jun 2009
## AUTOREN
Keno Verseck
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