# taz.de -- Hintergrund zum Absturz des Air France-Jets: Eine Flut von Fehlerme… | |
> Noch immer muss spekuliert werden, was den Absturz auslöste. Die Piloten | |
> versuchten offenbar, ein Unwetter zu umfliegen. Dazu gibt es Hinweise auf | |
> technisches Versagen. | |
Bild: Spärliche Spuren: Diese Kerosinspur stammt offenbar von der Unglücksmas… | |
PORTO ALEGRE taz/dpa | Während die französischen Behörden nach wie vor | |
eindringlich davor warnen, über die Unglücksursachen zu spekulieren, ist es | |
natürlich interessant, genau das zu tun. Nach den Informationen, die | |
bislang vorliegen, ist ein Blitzschlag ebenso unwahrscheinlich wie ein | |
Bombenattentat. | |
Und das obwohl vor einer Woche eine telefonische Bombendrohung gegen einen | |
anderen Air-France-Flug in Buenos Aires einging. Denn die Air | |
France-Maschine funkte eine Reihe von automatischen Fehlermeldungen ab, | |
bevor sie abstürzte. | |
Als der Airbus vom Typ A330-200 durch ein heftiges Tropengewitter flog, kam | |
es offenbar zu einer Pannenkette, die zum freien Fall der Unglücksmaschine | |
führte. Nach den Regeln der Internationale Zivilluftfahrtorganisation Icao | |
ist Frankreich für die offiziellen Ermittlungen zuständig. | |
In Paris dämpfte Paul-Louis Arslanian, der Direktor des Amts für | |
Unfallanalysen, die Hoffnung auf eine lückenlose Aufklärung. Er könne nicht | |
ausschließen, dass man am Ende zu „wenig ausreichenden Schlussfolgerungen“ | |
kommen könne, sagte Arslanian. | |
Die spärlichen Nachrichten aus Paris hängen mit den strikten Regeln zur | |
Geheimhaltung bei der Untersuchung von Flugzeugunglücken zusammen – und | |
wohl auch mit der Absicht, mögliche Zweifel an der Verlässlichkeit von | |
Airbus-Passagierflugzeugen klein zu halten. | |
## Binnen Minuten geriet die Situation außer Kontrolle | |
Dennoch wird in Expertenkreisen durchaus über die Ursachen spekuliert. Dort | |
kursieren auch Informationen von Air France, wie der Hamburger | |
Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt erklärt. | |
Um 4.10 Uhr deutscher Zeit am Montagmorgen habe das System demnach | |
gemeldet, die Crew habe den Autopiloten abgeschaltet, um das Flugzeug von | |
Hand zu steuern. | |
"Dann gab es zwei bis drei Minuten lang eine Flut von Fehlermeldungen: Das | |
Navigationsgerät fiel aus, die Bordbildschirme wurden schwarz und anderes." | |
Die letzte Information kam demnach um 4.14 Uhr: "Der Kabinendruck fiel ab. | |
Das war die letzte Meldung, die vom Flugzeug automatisch über Satellit an | |
die Unternehmenszentrale gefunkt wurde", sagte Großbongardt. | |
Binnen Minuten spitzte sich die Lage zu. Vier Minuten vom Abschalten des | |
Autopiloten bis zum Abfall des Kabinendrucks seien "dann doch eine eher | |
lange Zeit". Das zeige, so der Experte, "dass die Piloten versucht haben, | |
das Problem in den Griff zu bekommen". | |
Einen Gewitterblitz als Ursache schloss Großbongardt ebenfalls aus: "Ein | |
Blitzschlag holt kein Flugzeug dieser Größe vom Himmel." Vermutlich seien | |
die Piloten in ein schweres Tropengewitter geraten. "Das ist ein | |
Hexenkessel." | |
Da gehe es mit Tempo 185 senkrecht rauf, kurze Zeit später wieder runter. | |
Sei der Flug dann erst einmal instabil, könne eine weitere Turbulenz zur | |
Überlastung der Struktur der Maschine führen. | |
Die Piloten wollten laut Großbongardt offennbar schnell durch das | |
Unwettergebiet hindurch fliegen, denn man könne dieses nicht umfliegen. | |
Aber: "Zum Zeitpunkt des Unglücks sind über dem Atlantik zwei große | |
Gewitterzellen sehr schnell zusammengewachsen." Das Wetter habe die Piloten | |
"wohl überholt". | |
## Abweichung von der Flughöhe | |
Dafür sprechen auch inoffizielle Informationen, die in den brasilianischen | |
Medien kursieren: Offenbar hielten sich die Piloten eine halbe Stunde vor | |
dem letzten Signal nicht an die vorgegebene Flughöhe. Nach Angaben der | |
Tageszeitung Folha de São Paulo, die sich auf Quellen der brasilianischen | |
Luftwaffe berief, flog der Airbus beim letzten Kontakt mit der | |
brasilianischen Flugaufsichtsbehörde, um 3 Uhr 48 MESZ, aus "unbekannten | |
Gründen" auf 35.000 Fuß (rund 10.700 Meter). | |
Auf dem vor dem Start erstellten Flugplan war für diese Stelle jedoch eine | |
Flughöhe von 37.000 Fuß (11.300 Meter) vorgesehen. Solche Abweichungen | |
seien durchaus üblich, schreibt das Blatt, aber normalerweise würden sie | |
der Bodenkontrolle mitgeteilt. Zuvor hatte die Luftwaffe das Zentrum des | |
Sturms auf einer Höhe von 37.000 bis 38.000 Fuß verortet – und entsprechend | |
gewarnt. | |
Die Fehlermeldungen deuteten unter anderem darauf hin, dass Kontrollen, die | |
für die Stabilität des Flugzeugs gebraucht werden, zu diesem Zeitpunkt | |
bereits beschädigt waren. Außerdem ertönte ein Alarmsystem, was auf eine | |
weitere Verschlechterung der Flugsysteme hindeutet. | |
## Versagte das Kontrollsystem für Flugdaten? | |
Weitere automatische Warnungen deuten darauf hin, dass das Kontrollsystem | |
Adiru (Air Data Inertial Reference Unit) ausfiel, mit dem die Piloten | |
Geschwindigkeit, Höhe und Flugrichtung überwachen. Dann gab es eine ganze | |
Flut von anderen elektrischen Ausfällen in den Systemen. | |
Die letzte lautete: "Cabin vertical speed". Sie weist auf einen Abfall des | |
Kabinenluftdrucks und einen Ausfall der Elektrik hin. Dem Estado zufolge | |
könne dies einen plötzlichen Druckabfall bedeuten oder auch heißen, dass | |
das Flugzeug schon in den Ozean stürzte. Das Internetportal Aviation Herald | |
zitiert ebenfalls diesen [1]["Ausfall mehrerer Computerkontrollsysteme"] | |
innerhalb kürzester Zeit. | |
Da lag es auf der Hand, wie die Folha de São Paulo die zwei Pannen von | |
A330-200-Maschinen der australischen Fluglinie Qantas im letzten Jahr zu | |
rekapitulieren. Natürlich, schränkt die Folha ein, gehe es dabei nur um die | |
"Vermutung eines Faktors, der zu dem Unfall beigetragen haben könnte – | |
selten kommt es aus einer einzigen Ursache zu einem Absturz". | |
Bei zwei Qantas-Flügen zwischen Perth und Singapur am 7. Oktober und am 27. | |
Dezember hatte das Kontrollsystem Adiru "verrückt gespielt" und falsche | |
Angaben über Flugrichtung, Geschwindigkeit und Höhe an den zentralen | |
Bordcomputer gesendet. | |
Am 7. Oktober sackte der Airbus um 200 Meter ab, wobei zahlreiche | |
Passagiere an die Gepäckfächer geschleudert wurden. Es gab über 100 | |
Verletzte, wie auch die Time [2][berichtet]. Im Dezember, als der Autopilot | |
abgeschaltet wurde, ging es glimpflicher ab, aber wie schon zweieinhalb | |
Monate zuvor entschlossen sich die Piloten zu einer Notlandung. | |
Daraufhin gab die Europäische Agentur für Flugsicherheit mehrere | |
Notdirektiven an Airbus-Piloten heraus, [3][die letzte] am 15. Januar. | |
Demnach solle im Störfall eines Adiru-Systems dieses nicht nur | |
ausgeschaltet, sondern "unter allen Umständen" von der Stromversorgung | |
abgekoppelt werden. | |
In wie weit dieses System zum Unglück beigetragen hat, ist freilich im | |
Moment noch reine Spekulation. Klar ist aber auch, dass mehr hinter dem | |
Absturz stecken könnte, als nur eine reine Verkettung von Unglücksfällen. | |
## Rettungsmaßnahmen gehen weiter | |
Der Absturz ist jedenfalls das größte Unglück in der Geschichte der | |
französischen Luftfahrt. Insgesamt 228 Menschen aus 32 Ländern kamen dabei | |
um, unter ihnen 72 Franzosen, 59 Brasilianer und 28 Deutsche. | |
In der Absturzregion gut 1.000 Kilometer nordöstlich von Brasiliens Küste | |
geht die Suche nach den Resten des Airbus vom Typ A330-200 weiter. Die | |
brasilianische Luftwaffe ortete weitere Wrackteile sowie Öl und Kerosin auf | |
einer Strecke von 20 Kilometern. Die Existenz des Ölteppichs spreche gegen | |
eine Explosion, sagte Brasiliens Verteidigungsminister Nelson Jobim. | |
Am Mittwochabend traf das erste von fünf Schiffen der brasilianischen | |
Marine ein. Frankreich schickte ein Spezialschiff mit einem Tiefseeroboter | |
mit einem U-Boot. Außerdem beteiligen sich Militärflugzeuge aus Brasilien, | |
Frankreich und den USA an der Suche. | |
Die Chancen, die beiden Black Boxes des verunglückten Airbus in einer | |
Meerestiefe von mehreren tausend Metern zu finden, halten Experten | |
allerdings für minimal – zumal die Absturzregion nördlich des | |
São-Pedro-e-São-Paulo-Archipels von Unterwasserbergen zerklüftet ist. | |
4 Jun 2009 | |
## LINKS | |
[1] http://avherald.com/h?article=41a81ef1&opt=0 | |
[2] http://www.time.com/time/world/article/0,8599,1902421,00.html | |
[3] http://ad.easa.europa.eu/blob/easa_ad_2009_0012_E.pdf | |
## AUTOREN | |
Gerhard Dilger | |
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