# taz.de -- Neue Eels-Platte "Hombre Lobo": Hurra, wir leben noch | |
> Eels-Frontmann Mark Oliver Everett ist vom Schicksal gebeutelt und | |
> schlägt daraus künstlerisches Kapital: Auf "Hombre Lobo" macht er sich so | |
> nackig wie kaum ein Musiker zuvor. | |
Bild: Schildert sein systematisches Leiden in einem schillernden Spektrum an Gr… | |
Sterben, sollte man meinen, ist doch gar nicht so schwierig. Hat bisher | |
noch jeder hingekriegt. Auch Mark Oliver Everetts Verwandtschaft: der | |
Vater, die Mutter, die Schwester, alle tot. Genauso wie die kleine Rumänin | |
von gegenüber, die Vermieterin mit dem zweiten Gesicht und die verehrte | |
Nina Simone. Zu allem Unglück sitzt die letzte verbliebene Verwandte, eine | |
Cousine namens Jennifer, auch noch in jenem Flugzeug, das am 11. September | |
2001 ein ziemlich großes Loch im Pentagon verursacht. | |
Mark Oliver Everett allerdings lebt. Noch. Aber nicht mehr lange, glaubt | |
er. Und wenn, dann ganz und gar nicht glücklich. Doch bis Freund Hein auch | |
ihn heimholt, macht sich Everett nackig, wie kaum jemand zuvor in der | |
Popgeschichte sich nackig gemacht hat. | |
Die aktuelle Entblößung heißt "Hombre Lobo", erscheint wie gewohnt als | |
Album unter dem Bandnamen Eels, darf aber als kompromissloser Egotrip des | |
46-jährigen Einzelgängers verstanden werden. | |
Diesmal schlüpft der US-Amerikaner für die "Songs of Desire", die der | |
Untertitel verspricht, in die Rolle eines Werwolfs, um sein | |
lebenslängliches Ausgestoßensein zu verarbeiten. Das Leiden daran, kein | |
normales Leben führen zu können, und die Sehnsucht, in die | |
Menschengemeinschaft aufgenommen zu werden, bekommen hier vielerlei | |
Gestalt. Und klingen ganz nebenbei auch noch ziemlich großartig. | |
"Hombre Lobo" ist also ein Konzeptalbum. Das allerdings waren die meisten | |
der zehn Platten, die Everett seit 1992 als "E", oder eben Eels | |
herausgebracht hat. Systematisch behandelt wurden: Außenseiter auf | |
"Souljacker" (2001), Amokläufer mit "Shootenanny!" (2003) und natürlich | |
sehr ausführlich der Tod seiner Verwandtschaft, vor allem der Selbstmord | |
der geliebten Schwester, nicht nur auf "Daisies of the Galaxy" (2000). | |
Es ist schon wahr: Die Verarbeitung privater Tragödien zu künstlerischem | |
Ausdruck ist keine allzu innovative Methode. Nur hat sie kaum jemand so | |
radikal und in allen verfügbaren medialen Formen umgesetzt wie Everett. | |
Zusätzlich zur Musik hat er sein Schicksal nun auch verarbeitet in erstens | |
einem BBC-Dokumentarfilm über seinen Vater, einen berühmten Quantenphysiker | |
und großen Schweiger, unter dessen Desinteresse der kleine Mark sehr litt. | |
Und zweitens in der Autobiografie "Things the Grandchildren Should Know", | |
die sein Schaffen weitgehend interpretiert als Reaktion auf | |
zwischenmenschliches Scheitern und private Tragödien. | |
Das Werk ist nun unter dem Titel "Glückstage in der Hölle" auch auf Deutsch | |
erschienen und wird, obschon allgemein gefeiert, kaum in die | |
Literaturgeschichte eingehen. Doch als Dokument eines romantischen | |
Künstlerschicksals schlägt einen die weitgehend kunstlose, aber humorvolle | |
Rekapitulation seines Lebens durchaus in den Bann. | |
Musik, Buch und Film fügen sich zu einem Gesamtkunstwerk, in dem alle | |
Facetten der Verzweiflung immer wieder neu ausgeleuchtet werden. Wo | |
allerdings die Inszenierung aufhört und der wahre Mark Everett beginnt, das | |
bleibt auch in diesem konsequenten Seelenstriptease fraglich. Manchmal | |
scheint es auch, als wisse sogar der Schausteller in Everett nicht mehr | |
genau, was er der selbstgeschaffenen Kunstfigur "E" noch aufbürden kann: | |
Seit er sich pünktlich zu 9/11 einen Fundamentalistenbart hat wachsen | |
lassen, sieht er aus wie Catweazle auf Abwegen und wird an Flughäfen | |
besonders liebevoll kontrolliert. Von den Medien wird er nun als Sonderling | |
einsortiert oder gar als Waldschrat, als wäre er ein verwirrter | |
Naturliebhaber. Dabei ist Everett eher das Gegenteil: Ein völlig normal | |
durchgeknallter Großstadtneurotiker, wie man sie in den Psychiaterfauteuils | |
unserer Großstädte zu Tausenden finden kann. | |
Psychologisch bietet "Hombre Lobo" keine neuen Erkenntnisse zum Patienten | |
Everett, aber dafür einen guten Überblick über seine musikalische | |
Bandbreite: Schwer stampfende Songs wie "Tremendous Dynamite", die gern auf | |
zähen Bluesriffs beruhen und mit einer Stimme wie durchs Megaphon gesungen | |
werden, wechseln sich ab mit zerbrechlichen Balladen wie "In My Dreams" | |
oder "The Longing", deren Romantik gebrochen wird durch eine meist morbide | |
Volte. Der Grusel und die Spannung solcher Lieder changieren dabei galant | |
zwischen Ironie und Schrecken und illustrieren das systematische Leiden | |
Everetts in einem schillernden Spektrum an Grautönen. | |
Trauern, sollte man meinen, ist gar nicht so schwer. Großartige Musik draus | |
zu machen, das allerdings kriegt kaum jemand so hin wie Mark Oliver | |
Everett. | |
12 Jun 2009 | |
## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
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