# taz.de -- Gleichstellung: TU-Kanzlerin fordert Umdenken: "An der Uni wird ein… | |
> Die Kanzlerin der Technischen Universität fordert ein radikales Umdenken | |
> an Hochschulen und plädiert dafür, Sichtweisen und Bedürfnisse von Frauen | |
> stärker zu berücksichtigen. Zum Wohle der Frauen - und der Wissenschaft. | |
Bild: Forschende Frauen sind an deutschen Universitäten noch in der Minderheit | |
taz: Frau Gutheil, warum wollen Sie Frauen an der Uni besonders | |
unterstützen? | |
Ulrike Gutheil: Wir sind davon überzeugt, dass wir längerfristig mehr für | |
Frauen in Natur- und Ingenieurwissenschaften tun müssen. Denn uns wird zwar | |
2012 ein Segen an Abiturientinnen und Abiturienten ereilen - dank des | |
doppelten Abiturjahrgangs. Aber die demografische Entwicklung wird dahin | |
gehen, dass es irgendwann einen Mangel an Wissenschaftlern geben wird - | |
sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen. Wir brauchen schlichtweg | |
mehr Frauen. | |
Aber grundsätzlich steht doch Frauen jede Tür offen. | |
Frauen werden jedoch zum Teil nicht richtig angesprochen. Während man zum | |
Beispiel "Life Science", also Biowissenschaften, gut bei Frauen vermitteln | |
kann, muss man das inhaltlich selbe nur mit einem anderen Begriff belegen - | |
dann interessiert das Frauen nicht mehr. Frauen möchten wissen, wofür sie | |
etwas machen, sie fragen: Was ist mein Beitrag für die Gesellschaft? Selbst | |
bei den Studieninhalten müssen wir diese Sicht mehr im Blick haben. Das | |
geht! | |
Das heißt, sie scheitern nicht an von Männern geprägten Seilschaften, | |
sondern an sich selbst? | |
Mir ist wichtig: Nicht die Frauen müssen sich verändern, sondern das | |
System. Meine Vermutung ist auch: Frauen sind in gewisser Weise | |
pragmatisch. Sie sehen den wissenschaftlichen Karriereweg als Weg mit | |
ständiger Unsicherheit, also von Befristung zu Befristung. Bis sie dann mit | |
Mitte 30 eventuell auf einer Professur stehen. Das ist für die meisten | |
nicht hinnehmbar. Die Frage ist ja auch, ob der Professorenberuf heute noch | |
so attraktiv ist, wie wir glauben. Wir müssen also Fakultäten und | |
Fachgebiete ins Boot kriegen. Pauschale Schülerinnen-Infotage, das wird | |
nicht mehr reichen. | |
Was tun Sie konkret? | |
Wir werben Schülerinnen an, wir machen etwas für | |
Nachwuchswissenschaftlerinnen, wir haben seit Jahren ein Programm für | |
angehende Professorinnen laufen: Wir gehen das Thema von mehreren Seiten | |
an. Wir kümmern uns im Audit familiengerechte Hochschulen sehr stark um | |
Work-Life-Balance. Das sind nicht mehr Diskussionen darüber, ob wir fünf | |
Wickeltische anbauen. Sondern es geht darum, die Grundstimmung dafür zu | |
sensibilisieren, dass man eben doch beides kann, Kinder haben und Karriere | |
machen. Das wird einen Kulturwandel in der Universität bedeuten müssen. | |
Der bislang auf sich warten lässt. Die Forderungen und einige Programme | |
sind doch nicht neu. Und immer noch geht enorm viel Potenzial verloren, | |
wenn man sich die Studentinnenzahlen im Vergleich zur Zahl der | |
Habilitandinnen anschaut. | |
Wir haben vor zwei Jahren, als die Exzellenzinitiative gestartet ist, | |
Gender-Politik als zentrales Zukunftsthema für die TU aufgegriffen, als | |
Gesamtphilosophie. Sicher müssen wir mehr noch als bisher empirisch | |
arbeiten, wir müssen schauen, wo genau wir Potenzial verlieren. Da müssen | |
wir mehr Karrierewege verfolgen, um die richtigen Antworten zu kriegen. | |
Beispielsweise liegt mir eine Studie vor, in der Habilitandinnen antworten | |
sollen, ob sie sich das Erreichen einer Professur vorstellen können. Zwei | |
Prozent bejahen dies! | |
Und die anderen 98 Prozent? | |
Ja, das weiß ich auch nicht. Da ist man völlig von den Socken. Aber so | |
etwas müssen wir uns wirklich genauer angucken, solcher Frustration auf den | |
Grund gehen. Dann gibt es weitere Phänomene: Im Maschinenbau etwa bleibt | |
eine Frau bis zum Schluss, wenn sie sich erst für das Fach entschieden hat | |
- aufgeben tut da keine. Oder: Warum finden wir keine Studentinnen für | |
Informatik und Elektrotechnik - liegt das an den Begrifflichkeiten oder am | |
Inhalt oder am Image? Wir müssen uns fragen, wie wir mehr und früher | |
begeistern können. | |
Wann rechnen Sie damit, dass eine Veränderung erkennbar ist? Die | |
Frauen-Zahlen in technischen Studienfächern stagnieren doch seit Jahren. | |
Das Thema Frauen ist jetzt ein Thema, durchgängig von den Studierenden bis | |
zu den Professoren. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hilft uns im Grunde | |
genommen sehr. Sie hat zum Ziel erklärt, dass die Universitäten eine | |
sogenannte Selbstverpflichtung eingehen, gezielt mit Evaluierung arbeiten | |
und die Gemeinschaft sagt: Also, wenn ihr nichts unternehmt und euch nicht | |
bewegt und das mit Maßnahmen unterlegt, dann werden wir bei | |
Gleichrangigkeit der Anträge den bevorzugen, der das bessere | |
Gleichstellungskonzept hat. Und plötzlich wird das auch ein Thema! | |
Wie steht Berlin im bundesweiten Vergleich da? | |
Ich weiß von vielen Hochschulen, die sich völlig zerstritten haben über | |
dieses Thema. In Ber- lin ist das glücklicherweise nicht der Fall. Die | |
Freie Universität Berlin liegt auf Platz eins beim Gleichstellungsranking, | |
die Technische Universität folgt auf dem zweiten Platz: Gleichstellung hat | |
eine lange Tradition in Berlin. Daher ist das Thema hier wohl etwas | |
präsenter als womöglich in anderen Bundesländern. Nichtsdestotrotz: Wir | |
wollen weiter ran. Ich glaube, dass wir in den nächsten fünf Jahren Erfolge | |
zeigen und den Anteil von Frauen weiter erhöhen können. | |
12 Jun 2009 | |
## AUTOREN | |
Kristina Pezzei | |
## TAGS | |
Studium | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Gleichstellung an Berliner Unis: Ab jetzt „Studierendenwerk“ | |
Das Berliner Studentenwerk ändert seinen Namen. Insgesamt rund 800.000 Euro | |
könnte die Umstellung auf „Studierendenwerk“ kosten. |