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# taz.de -- Versuchter Ehrenmord in der Türkei: Brutal und gnadenlos
> Ein neuer Versuch eines Ehrenmordes erschüttert die Türkei. Das
> 17-jährige Mädchen schwebt in Lebensgefahr. Besonders furchterregend ist
> das Ausmaß der Brutalität.
Bild: Das Mädchen schwebt nach fünf Messerstichen ihres Onkels in Lebensgefah…
BERLIN taz | Gut sechs Wochen nach dem Massenehrenmord in der kurdischen
Provinz Mardin, bei dem Bewaffnete eine Verlobungsfeier stürmten und 44
Menschen erschossen, erschüttert ein neuer Fall von patriarchaler Gewalt
die Türkei. In der Provinzhauptstadt Siirt, ebenfalls im kurdisch
dominierten Südosten des Landes gelegen, wurde die 17-jährige N.E. zum
Opfer eines versuchten Ehrenmordes. Das besonders Erschütternde an dieser
Tat ist das Ausmaß an Brutalität und Unbarmherzigkeit.
Dem Vernehmen nach war die junge Frau gegen ihren Willen mit einem deutlich
älteren Cousin verlobt worden, weswegen es immer wieder zu Streitereien
kam. Offenbar schöpfte die Familie Verdacht, folgte am Freitagabend
heimlich der jungen Frau - und wurde fündig. An diesem Abend nämlich
besuchte N.E. ihren Freund, den 18-jährigen Ö.F.E., der in dem lokalen
Radiosender 56 FM als DJ arbeitet. Der Vater, mehrere Brüder und weitere
Verwandte stürmten die im sechsten Stock eines Wohnhauses gelegene
Redaktion des Senders, wo sie sofort auf den DJ einzuschlagen begannen. Als
sie sich der jungen Frau zuwenden wollten, sprang sie in Panik aus dem
Fenster. Glücklicherweise fing das Vordach eines Ladens ihren Sturz auf,
und Nachbarn verständigten Rettungskräfte, die N.E. mit Knochenbrüchen und
inneren Blutungen ins städtische Krankenhaus brachten.
Dort versammelten sich auch andere Verwandte, die davon gehörten hatten,
dass N.E. ins Krankenhaus gebracht worden war. Unter dem Vorwand, beim
Transport helfen zu wollen, packte N.E.s Onkel Abdürrahim E., die Bahre an,
auf der die junge Frau lag - und stach sofort mit einem Messer auf sie ein.
Er verletzte sie mit fünf Messerstichen, ehe Sanitäter und Sicherheitsleute
ihn mit Mühe festhalten konnten. "Ich werde dieses Mädchen sicher
umbringen", soll Abdürrahim E. gebrüllt haben.
N.E. wurde mit schweren Verletzungen in die Universitätsklinik Diyerbakir
verlegt und schwebt noch immer in Lebensgefahr. Ihr Vater Süleyman E., der
Onkel Abdürrahim E., zwei Brüder und ein Cousin wurden festgenommen; gegen
den älteren Bruder Abdurrahman E. erging Haftbefehl.
Der Radiosender 56 FM hat seit dem Überfall den Sendebetrieb eingestellt.
Aus Angst, Angehörige von N.E. könnten den Sender abermals angreifen,
würden die Mitarbeiter nicht am Arbeitsplatz erscheinen, zitieren türkische
Medien den Eigentümer des Radios, Sait Demir. N.E. habe ihm erzählt, dass
sie sich der geplanten Zwangsheirat widersetzt habe und die Stadt verlassen
wollte.
Erst in der vergangene Woche hatte der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte der Klage der heute 37-jährigen Nahide Opuz Recht gegeben
und den türkischen Staat zur Zahlung von 36.500 Euro Schmerzensgeld
verurteilt, weil die staatlichen Stellen sie nicht vor ihrem gewalttätigen
Ehemann geschützt hätten. Die in Diyarbakir lebende Frau war jahrelang von
ihrem Mann verprügelt und misshandelt worden, am Ende hatte er mit einem
Messer auf sie eingestochen und sie mit einem Auto angefahren. Doch jedes
Mal wenn sie ihn anzeigte, ließen ihn die Behörden wieder auf freien Fuß.
Als sie schließlich im Jahr 2002 zusammen mit ihrer Mutter in einen anderen
Landesteil fliehen wollte, erschoss der Mann Nahide Opuz' Mutter. Nicht die
Gesetze seien das Problem, wohl aber ihre mangelhafte Anwendung, befanden
die Richter. Bei Fällen häuslicher Gewalt sei "eine allgemeine Passivität
des Justizsystems und Straffreiheit für Täter" zu beklagen. Im Gegensatz zu
vielen anderen Urteilen aus Straßburg wurde dieses Urteil in der türkischen
Öffentlichkeit begrüßt.
15 Jun 2009
## AUTOREN
Deniz Yücel
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