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# taz.de -- Blogeintrag aus Teheran: "Die schicken ja Kinder!"
> Eine Frau berichtet von ihren Erlebnissen auf den Straßen von Teheran.
Bild: Bedrängt: Frau am Boden, umringt von Sicherheitskräften in Teheran.
Dienstag, den 23. Juni. Halb vier Uhr morgens. Es ist merkwürdig, was für
eine Achterbahn der Gefühle man in diesen Wochen, Tagen, Stunden, Minuten
durchmacht. Am Samstag hatte ich wahnsinnigen Schiss wegen der
herumwütenden Milizen und möglicher Schießereien. Sie bewirkten auch so ein
Gefühl von Hoffnungslosigkeit und Machtlosigkeit. Heute wollte ich
eigentlich zu keiner Demonstration gehen. Ich war zum Abendessen eingeladen
und wollte früher losgehen, um nicht in irgendwelche Schwierigkeiten zu
geraten. Es hieß, am Ferdowsiplatz sei eine Demonstration im Gange, weshalb
ich weiter oben über die Karim Khan-Straße gehen wollte. Meine Freunde
meinten, der Hafte-Tir-Platz wäre ruhig. Ich nahm ein Sammeltaxi zum Hafte
Tir über die Umgehungsstraße. Wir blieben im dichten Verkehr stecken, der
Fahrer wollte deshalb durch kleinere Straßen fahren. Doch auch dort kamen
wir nicht voran. Langsam näherten wir uns dem Hafte Tir, als plötzlich
Leute auf uns zugerannt kamen. Sie liefen mitten auf der Straße zwischen
Autos und Bürgersteig. Verfolgt wurden sie von schwarzen Motorrädern, auf
denen Männer in Camouflage- und schwarzer Kleidung mit Knüppeln und
Paintball-Gewehren saßen. Es waren große Kerle, und ihre Gesichter waren
verzerrt von dem Wunsch nach Zerstörung. Sie wirkten, als hätten sie Kokain
genommen. Mit großer Geschwindigkeit rasten sie über den Bürgersteig, um
einzelne Personen herauszugreifen und zu verfolgen. Die Männer auf den
Rücksitzen schossen mit orange Paintballs. Die Jungs hinten im Taxi wollten
zur Demonstration, sie kommentierten die Vorgänge draußen sarkastisch.
Einer sagte: "Mister, ich glaube, es wäre besser, das Fenster zu
schließen." Dann beklagten sie sich über das Orange der Paintballs. Es
würde nicht zu ihren T-Shirts passen.
Draußen hatten die Motorradmänner einen jungen Mann gegriffen. Er versuchte
zu fliehen, ein Mann fuhr ihm mit dem Motorrad zwischen die Beine. Der
Junge stürzte ziemlich übel kopfüber über das Motorrad, während sie
gleichzeitig mit Knüppeln auf ihn eindroschen. Mir entschlüpfte ein Schrei.
Es sah echt übel aus. Gleichzeitig hatten die Paintball-Gewehre etwas
Absurdes, sie reizten zum Lachen. Der Junge entkam auf wundersame Weise.
Das Taxi fuhr weiter, und wir kamen an einem anderen jungen Mann vorbei,
den sie erwischt hatten. Es war schrecklich zu beobachten. Vier Männer
hielten ihn fest, während vier andere auf ihn einknüppelten, ihn traten und
und schubsten. Ich weiß nicht, was mit ihm passiert ist, weil wir
weiterfuhren. Alle Autos hupten aus Protest.
Nach einiger Zeit meinte der Taxifahrer, er würde es nicht bis zu dem Platz
schaffen. Zusammen mit einer Frau im Tschador beschloss ich, auszusteigen
und zu laufen. Wir waren ganz in der Nähe vom Hafte Tir. Als ich dort
ankam, war ich erst mal geschockt. Überall Milizen und bewaffnete Männer
aller Art. Einige von ihnen sahen gefährlich aus, andere wirkten eher
mitleiderregend und fehl am Platz. Dann marschierte diese Gruppe von
Jugendlichen ein. Chicken Bassidschi: junge Milizionäre. Sie waren an der
Grenze zur Pubertät, einige hatten einen zarten Flaum auf der Oberlippe,
andere noch gar nichts. Sie waren vielleicht 12, 13, 14. Ich hatte das
gleiche seltsame Gefühl wie in dem Moment, als ich die Paintball-Cops mit
ihrem surrealen Vidospielauftritt beobachtete. Es war zu absurd, um wahr zu
sein. Ich wollte gleichzeitig lachen und schreien. Die schickten ja Kinder!
Ich sah ihre Augen. Sie waren verängstigt, versuchten dies aber zu
verstecken. Sie wollten Männer sein. Als ich auf den sehr großen Platz kam,
sah ich, dass er voll war und sie dabei waren, zu schlagen, zu verhaften,
Pfefferspray zu sprühen. Eine dicke Tränengaswolke verstärkte die
kriegsähnliche Szenerie. Wundersamerweise gelang es mir, mitten
hindurchzulaufen, ohne Schläge einzustecken. Ich machte die Entdeckung,
dass Frauen unbehelligt auf dem Bürgersteig laufen können, während jüngere
Männer sofort Ärger bekommen. Vielleicht eine Folge des Videos von Nedas
Tod. Das Bild hat wie eine Bombe eingeschlagen. Sie wollen so hässliche
Belege ihrer Gewalt sicher künftig vermeiden. Sie brachten ständig junge
Männer zu Bussen, die in den Nebenstraßen warteten, und fuhren sie zu einer
Moschee, die als Hautquartier zu dienen schien. Die Moscheen halten in
diesen Tagen für alle möglichen Zwecke her, auch als Gefängnis. Vor ein
paar Tagen zeigte das iranische Fernsehen Bilder von einer brennenden
Moschee in der Nähe des Navabplatzes. Die machten die protestierenden
"Terroristen" dafür verantwortlich. Nun gibt es nichts Schlimmeres als eine
brennende Moschee in der schiitischen Religion. Was sie nicht zeigten oder
erwähnten, war, dass ihre eigenen Leute aus der Moschee heraus auf Menschen
schossen.
Ich lief auf dem Bürgersteig auf der nordöstlichen Seite des Platzes
entlang. Ich musste auf die entgegengesetzte Seite. Ich hatte keine Ahnung,
wie ich da durchkommen sollte. Wer weiß, was auf der anderen Seite los war.
Ich fragte einen Soldaten. Er sah mich nicht an, versuchte, mich zu
ignorieren. Ich fragte noch mal. Er sah mich mit verwirrtem, ängstlichem
Gesichtsausdruck an, und ich dachte: "Junge, du solltest nach Hause gehen."
Er sagte: "Ich weiß es wirklich nicht." Ich sah mich um, und es blieb mir
nichts anderes übrig, als einfach zu gehen. Ich ging also über den Platz
und konnte die Menge von Nahem beobachten. Ich war völlig ruhig. Es war
interessant und widerwärtig zugleich. Der Platz schien nahezu den gesamten
faschistischen (mittlerweile bin ich reif für das Wort) Apparat
aufzubieten. Ein aufgeblasener Körper, der aus den ganzen verschiedenen
Schichten an Wohltätern besteht, die ihren Willen und gesunden
Menschenverstand aufgegeben haben, um dem System zu dienen, das sie mit
verschiedenen Dingen wie Essen, Geld, Macht, dem vagen Versprechen auf eine
spätere Beförderung versorgt. All diese Männer, die unrasierten Männer in
einfachen Klamotten mit Kopfhörern, die ich persönlich ziemlich abstoßend
finde, diese bewaffneten Kräfte, die Kinder, die Tagelöhner, die nicht mal
wissen, wie man einen Knüppel hält - sie bilden diesen Apparat, der ein
sinnloses System am Leben hält, an das nur sehr wenige Menschen wirklich
glauben. Als ich auf der anderen Seite des Platzes eintraf, sah ich
Milizionäre im Gras sitzen, sie picknickten. Ich traute meinen Augen nicht.
* Der Name der Verfasserin ist der Redaktion bekannt
24 Jun 2009
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