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# taz.de -- Studenten im Dauerstress: Arbeit ist das halbe Studentenleben
> Obwohl Studierende wegen der Bachelorstudiengänge deutlich weniger
> Freizeit haben, arbeiten sie nebenbei - viele setzen sich so teilweise
> massiv unter Druck. Auf Dauer mache das krank, warnt ein Unipsychologe.
Bild: In Ruhe studieren: für viele unmöglich
Auf den ersten Blick sieht Sandra Mücke nicht gestresst aus. Eher
geschäftig, konzentriert. 15 Minuten, dann beginnt das nächste Seminar.
"Also noch Zeit genug fürs Mittagessen", sagt die Studentin, stößt die Tür
des Schnellrestaurants auf und bestellt am Tresen. Nach dem Seminar geht es
sofort weiter, erzählt sie, sandwichkauend: "Zum Alexanderplatz, Erdbeeren
verkaufen." Neben den 30 Stunden Uni pro Woche arbeitet die 24-Jährige, die
an der Humboldt-Universität (HU) Asienwissenschaften studiert, zusätzliche
40 Stunden für einen Erdbeeranbaubetrieb. Um das Studium zu finanzieren,
wie sie sagt. "Meine Eltern können mich leider nicht ausreichend
unterstützen, und Anspruch auf Bafög habe ich so gut wie gar nicht."
Sandra Mücke ist kein Einzelfall. Laut der 2006 herausgegebenen 18.
Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks zur wirtschaftlichen und
sozialen Lage der Studenten, einer Studie, die alle drei Jahre neu
durchgeführt wird, gehen zwei Drittel der Studenten in Deutschland einer
Nebentätigkeit nach. Die seitdem angelaufene Umstellung der Studiengänge
auf Bachelor und Masterabschlüsse dürfte daran wenig geändert haben.
Die Nachfrage nach Nebenjobs jedenfalls sei groß, so Daniel Cohn von den
"Heinzelmännchen", der Arbeitsvermittlung des Berliner Studentenwerks. Die
Heinzelmännchen vermitteln seit fast 60 Jahren Nebenjobs an Studenten, laut
Cohn rund 30.000 im Jahr. "Und in der Regel gibt es auch genug Angebote."
Besonders häufig seien Bürojobs, Haushaltshilfen, Service in der
Gastronomie und Tätigkeiten im IT-Bereich. "Wir versuchen, möglichst
langfristige Jobs zu vermitteln. Idealerweise bekommen die Studenten eine
Arbeit, bei der sie Kenntnisse aus dem Studium anwenden können", erklärt
Cohn.
Auch Michael Derieth kennt sich gut mit aus mit Studentenjobs. Der
25-Jährige, der ebenfalls noch studiert, arbeitet für Jobmensa, ein
Web-Portal für Studierende und Unternehmen, das im November 2008 online
gegangen ist. In 13 deutschen Städten vermittelt die Plattform Jobs,
darunter auch in Berlin.
"Die Unternehmen registrieren sich auf unserer Seite", erklärt Derieth das
Konzept von Jobmensa. "Die Studenten können sich dann mit Hilfe einer
Suchmaschine für den Nebenjob bewerben, der ihnen am meisten zusagt." Der
Zulauf sei immens - auch weil es verstärkt Studenten gebe, die arbeiten
müssten, um über die Runden zu kommen. "Nicht jeder bekommt genügend Geld
von den Eltern oder vom Staat", so Derieth. Zwar gebe es in Berlin keine
Studiengebühren, aber auch hier würden die Lebenshaltungskosten stetig
steigen. Laut Derieth sind auf Jobmensa.de zurzeit 6.200 Berliner Studenten
registriert. Dem gegenüber stünden 230 Jobangebote, hauptsächlich im Werbe-
und Bürobereich. Immerhin: die Tendenz sei steigend.
Kaum seriös zu beantworten ist derzeit die Frage, inwieweit sich die
Wirtschaftskrise auf das Angebot an Studentenjobs auswirkt. Derieth zufolge
gibt es deswegen mehr Nebenjobs: Arbeitgeber würden in Zeiten der Rezession
zunehmend Studierende einstellen, weil diese weniger Geld kosten und
"schnell wieder auf die Straße geschickt werden können". Bei der
Studentenvermittlung der Berliner Agentur für Arbeit bekundet Sprecher René
Dreke derweil, dass die Wirtschaftskrise das Angebot an Jobs nicht
beeinflusse. "Die Anzahl der bei uns gemeldeten Studentenjobs ist
gleichbleibend hoch", sagt er. Angewiesen auf studentische Arbeitskräfte
seien die Betriebe dabei aber nicht. "Auch andere Jobsuchende können die
ausgeschriebenen Tätigkeiten erledigen", so Dreke.
Daniel Cohn dagegen berichtet, dass bei den Heinzelmännchen seit der Krise
ein "Einbruch" an Angeboten deutlich zu spüren sei. Dazu kämen die straffen
Studienpläne der Studenten in den Bachelor- und Masterstudiengängen: "Trotz
Arbeitswille können sich viele Studenten keinen Job nebenher erlauben",
sagt er. "Und viele Arbeitgeber wollen, dass die Jobber mindestens 20
Stunden in der Woche arbeiten - für die meisten Studis ist das unmöglich."
Dass die Kombination von Studium und Nebenjob Stress verursacht, im
Extremfall sogar psychisch krank machen kann, weiß Holger Walther,
zuständig für die psychologische Beratung der Studierenden an der HU. Seit
15 Jahren betreut der Psychologe Studierende, hauptsächlich bei
Prüfungsängsten und Motivationsproblemen. Eines hätte sich, so Walther,
seit der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge erheblich
verändert: "Die Studierenden beklagen sich immer mehr über Zeitdruck und zu
hohe Leistungsanforderungen", sagt er. "Sie stellen ihren Nebenjob und das
Studium in den Vordergrund und vernachlässigen Hobbys und Freunde." Durch
diese "Werteverschiebung" könnten die Studenten zwar trotz Bachelor
Nebenjob und Studium unter einen Hut bringen. "Aber wer sich keine
Erholungsphasen mehr gönnt, wird auf Dauer psychisch krank."
In der Regel, so der Psychologe, rate er gestressten Studenten, sich
innerlich dem Zeitdruck zu entziehen. Zudem ermutige er sie, das Studium
auf eigene Weise und mit eigener Zeiteinteilung zu absolvieren. "Manchmal
hilft es den Studenten schon, wenn ich sie auf die Möglichkeit des
Teilzeitstudiums hinweise oder ihnen andere Wege der Studienfinanzierung
aufzeige, als nebenher zu jobben", sagt er. "Das Studentenwerk bietet zum
Beispiel eine Sozialberatung an, die auch Kredite berücksichtigt."
Für Martin Weigelt ist derweil die Finanzierung seines Studiums klar
geregelt: Der 21-Jährige bekommt regelmäßig Geld von seinen Eltern. Weigelt
studiert Geowissenschaften an der Freien Universität, ein
Bachelorstudiengang. "Letztes Semester hatte ich sechs Klausuren",
berichtet er. "Und habe noch in einer Bar geschuftet." Seinen Job hat
Weigelt nun sausen lassen. Er würde gerne neben dem Studium arbeiten - an
Möglichkeiten, in Berlin einen Nebenjob zu finden, mangele es nicht. "Aber
im Moment ist das einfach nicht drin."
Derweil nippt Sozialwissenschaftsstudentin Silke Brosinski im Café an der
HU an ihrem Chai-Tee. Wie Sandra Mücke ist sie auf ihre Nebentätigkeit
angewiesen. Zwölf Stunden in der Woche arbeitet die 26-Jährige in einer
privaten Arbeitsvermittlung, als "Mädchen für alles". "Natürlich wäre es
leichter, wenn ich nicht arbeiten müsste", räumt sie ein. Doch durch den
Job lerne sie, sich ihre Zeit einzuteilen. Manchmal, so Brosinski, treffe
sie Studenten, die nicht arbeiten, und die seien "viel gestresster". "Bei
mir stellt sich nicht die Frage, nicht zu arbeiten. Ich habe keine Wahl."
30 Jun 2009
## AUTOREN
Nora Grosse-Harmann
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