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# taz.de -- Schriftsteller David Wagner: Engagiert wider Willen
> Was ist Literatur? Wie genießt man? David Wagner über große Fragen und
> seinen demnächst erscheinenden neuen Roman.
Bild: Beim Spaziergang am Berliner Schlachtensee: Schriftsteller David Wagner.
Stürmisch ist es am Berliner Schlachtensee um die Mittagszeit. Immerhin hat
der Wind die Regenwolken vom Vormittag vertrieben. David Wagner hat den Weg
entgegen dem Uhrzeigersinn eingeschlagen, eindreiviertel Stunde dauert es,
den See mit ihm einmal zu umrunden. Wagner geht langsam, nicht weil er
nicht schneller könnte. Er schlendert, genießt das Laufen. Mit seinem
dunkelblauen Mantel, der schwarzen Armani-Brille und dem perfekt
geschnittenen Haar trägt er ein wenig von der Eleganz des großstädtischen
Flaneurs auf den von Wald gesäumten Uferweg.
Gehen und genießen - das hängt bei Wagner nicht ohne Grund zusammen. Dem
1971 Geborenen, der nach seinem Romandebüt "Meine nachtblaue Hose" im Jahr
1999 als einer der wichtigsten jungen Autoren gehandelt wurde, ist vor
knapp zwei Jahren eine neue Leber transplantiert worden. Fast 20 Prozent
derjenigen, die eine neue Leber bekommen, überleben das erste Jahr nicht,
erzählt Wagner, der das Laufen in Reha-Aufenthalten erst langsam wieder
lernen musste. Seit er zwölf ist, hat er von seiner Autoimmunhepatitis
gewusst, einer Krankheit, bei der das Immunsystem körpereigene Leberzellen
für fremdes Gewebe hält und autoimmune Antikörper bildet, die zu
Leberentzündungen führen. Eine medizinische Erklärung dafür gibt es bis
heute nicht. "Irgendwann würde meine Leber nicht mehr funktionieren, das
war klar", sagt Wagner. "Nur, ob dann eine Spenderleber da sein würde, das
war gar nicht klar."
Dass sich durch so eine Erfahrung der Blick auf das eigene Leben verändert,
ist kaum anders denkbar. Nahe liegend ist die Frage, ob auch die Bedeutung
des Schreibens eine andere ist. Wagner lacht, jungenhaft, wenn es um die
ganz großen Fragen geht. Warum schreibt man? Was ist Literatur? Im Café
würde einem die Ernsthaftigkeit solcher Fragen ein wenig peinlich sein.
Hier draußen, während man nebeneinander her stapft, geht das irgendwie ganz
gut. "Ein, vielleicht zwei Stunden gute Unterhaltung, die man dem Leser
beschert", antwortet Wagner, lacht noch ein bisschen mehr und stiehlt sich
ein paar Schritte nach vorne.
Natürlich bedeutet Schreiben noch viel mehr. Aber Wagner ist niemand, der
auch nur in die Nähe der selbststilisierenden Geste kommt. Eher ist es eine
leise, feine Ironie, die das Sprechen über seine Arbeit durchzieht. Das ist
nicht unangenehm, sondern wirkt wie der Versuch, eine gewisse Distanz auf
das eigene Tun zu bewahren.
Auch wenn Wagner also die Formel von der Unterhaltung ins Gespräch bringt,
ist seinen Büchern doch etwas gemeinsam, das man ein Bewusstsein für die
Vergänglichkeit, für das Verschwinden von Dingen und Menschen nennen
könnte. Dieses Bewusstsein schlägt sich nicht etwa in Sentimentalität
nieder, sondern in einer Genauigkeit des Blicks, die Wagners Texten, den
literarischen wie den kulturjournalistischen, vorausgeht und sich in sie
eingeschrieben hat.
Das machte schon seinen ersten Roman aus, der die Erinnerungen an das
Aufwachsen in der westdeutschen Provinz in den Siebziger- und
Achtzigerjahren, an das Einfamilienhaus-Idyll, mit all seiner halb
bedrückenden, halb wohligen Aufgeräumtheit und Trägheit noch einmal ganz
gegenwärtig werden lässt. Wer etwas über die mit der Wende untergegangene
Bundesrepublik lesen will, der kann sich mit "Meine nachtblaue Hose" auf
Spurensuche begeben.
Kaum ein Autor wird gern Chronist genannt, auch Wagner hadert ein bisschen
mit der Formulierung. Vermutlich deshalb, weil dem Chronisten das
Ästhetische weitgehend abzugehen scheint. "Schreiben", sagt Wagner aber,
"das ist vor allem Arbeit an der Form." Das Material müsse immer und immer
wieder überarbeitet, geschliffen und arrangiert werden.
Im Februar ist der schmale Band "Spricht das Kind" erschienen,
Prosaminiaturen über die ersten Lebensjahre seiner Tochter, denen man
anmerkt, wie viele dieser Überarbeitungs-, und Schleifungsprozesse sie
hinter sich haben: Spielplatz- und Freibadbesuche, abendliche
Ins-Bett-Bring-Rituale, die Wagners lakonische Sprache poetisch werden
lässt, ohne dass sie dadurch verklärend oder weniger genau beobachtet
wären. Und immer wieder ist es der Prozess des kindlichen Sprechenlernens,
den er in seinen kleinen Skizzen einfängt, aber nicht kommentiert, sodass
der verwunderlich klare und manchmal einfach nur schön alberne Blick
aufblitzt, den Kinder auf ihre Umgebung haben. Wagners Buch wurde von der
Kritik mit Walter Benjamins "Berliner Kindheit um 1900" verglichen. Nicht
zu Unrecht.
Beim Lesen dieser Miniaturen stellt sich ein sonderbarer Effekt ein, der
vielleicht für Wagners Schreiben insgesamt charakteristisch ist. Indem er
das Besondere beschreibt und es in eine gleichsam verdichtete wie
durchkomponierte Form bringt, verbleiben die Texte in einer Art
Schwebezustand, der zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen hin- und
herklappt. Wer Kinder hat, dem wird das bei "Spricht das Kind" besonders
auffallen. Was Wagner nämlich an seiner Tochter beschreibt, das hat man
auch an den eigenen Kindern erstaunlich identisch beobachten können. Das
ist lustig, manchmal auch ein wenig erschreckend.
Bloß Marmelade
Das Erstaunliche daran ist, wie Wagner auf diese Weise das Kindsein in
seiner anthropologischen Dimension sichtbar macht - ohne aber dass dessen
Zauber vergehen würde. Für die Bemerkung, dass sich seit "Meine nachtblaue
Hose" sein Stil, das melodiöse, manchmal ineinander verschachtelte
Arrangement der Sätze und Gedanken verdichtet habe, bedankt sich Wagner mit
einem leicht süffisanten Hochziehen der Augenbrauen. Es lägen immerhin auch
zehn Jahre zwischen den beiden Büchern.
Langsam haben wir uns warm gelaufen. Nur vereinzelte Hundebesitzer und ein
paar Mütter mit Kinderwagen können sich leisten, unter der Woche hier
entlangzuspazieren. Die stören nicht. Also einfach noch mal eine der ganz
großen Fragen: die nach dem Selbstverständnis als Autor. "Das Schlimmste,
das sind doch engagierte Schriftsteller?", fragt Wagner zurück. "Die sich
selbst so furchtbar gern über Politik und die Welt philosophieren hören."
Fast hat man den Eindruck, dass er sich ein wenig schütteln muss, aber
vielleicht ist ihm auch nur der Wind in den Mantel gefahren.
Mehr Spaß macht ihm, über seinen neuen Roman zu sprechen, dessen Manuskript
er gerade beendet hat und der im September im Rowohlt Verlag erscheint.
"Vier Äpfel" heißt er - und spielt in einem Supermarkt. Ein Mann will vier
Äpfel kaufen und stellt beim Abwiegen fest, dass sie zusammen exakt tausend
Gramm schwer sind. Wie als seien durch diesen eigentlich gar nicht
bedeutsamen Zufall seine Sinne geschärft, schaut der Mann plötzlich anders
auf die Regale und Waren, und es entspinnt sich eine melancholische
Reflexion darüber, wie sich innerhalb weniger Jahre nicht nur sein eigenes
Leben, sondern auch die Dinge um ihn herum verändert haben. Eine Kritik der
Konsumwelt? Kann schon sein. Wagner bleibt kurz stehen. "Vielleicht bin ich
doch ein wenig so etwas wie ein engagierter Autor?" Wir kommen an einem
Restaurant vorbei, dessen mit Wolldecken bestückte Liegestühle
verführerisch auf der leicht erhöhten Terrasse herumstehen. Wenn Wagner so
genüsslich isst, wie er geht, macht es sicher Spaß, mit ihm hier
anzuhalten. Andererseits: In "Meine nachtblaue Hose" sind es vor allem
Butterbrötchen mit unanständig viel Marmelade, die verzehrt werden. Aber
die Abmachung war ja ohnehin zu laufen, und es ist noch ein gutes Stück,
bis der See einmal umrundet ist.
Es war übrigens nicht nur die Marmelade (selbst gemacht, vom Vater des
Erzähles), die Wagner von der Generation Nutella, wie spätestens nach
Florian Illies "Generation Golf" die Autoren der westdeutschen
Wohlstandsjugend gern genannt wurden, unterschieden hat. Anders war an
Wagner ein Blick auf die Dinge, der zwar aus der Zeit kam, zeitgenössisch
war, aber nie den Impuls hatte, Marken, Trends oder Schlagworte zu
kreieren.
Eine Art gegenwartsverankerte Zeitlosigkeit findet man in seinen Büchern.
Eine Zeitlosigkeit, die Wagner auch als Typ ausstrahlt. Wer ihn nicht
kennt, wird sein Alter kaum schätzen können. Plötzlich fällt ihm etwas ein,
er kramt in seiner Tasche und holt einen Organspendeausweis hervor. "Es
fällt mir wirklich schwer zu verstehen", sagt er, "dass so etwas nicht
jeder besitzt. Ich lebe noch, weil jemand so einen Ausweis hatte." Bei dem
Berliner Verlag Sukultur, bei dem Wagner hin und wieder kleinere Arbeiten
publiziert, ist gerade ein Bändchen erschienen, in dem man die Geschichte
von Wagners Krankheit nachlesen kann. Davon, wie er eines Abends literweise
Blut spuckte, als Krampfadern in seiner Speiseröhre platzen, wie er auf die
Intensivstation gefahren wurde und wie er wusste: Jetzt muss sehr bald eine
neue Leber kommen.
In dem kleinen gelben Bändchen ist hinten auch so ein Organspendeausweis
eingelegt. "Ich befürchte", sagt Wagner, als wir den See verlassen und die
Treppen zur S-Bahn hinaufsteigen, "ich bin wirklich ein engagierter Autor."
Er versucht, dabei möglichst entrüstet zu gucken, was unweigerlich zum
Lachen reizt - und meint das doch auf seine hintergründige Art sehr ernst.
1 Jul 2009
## AUTOREN
Wiebke Porombka
## TAGS
David Wagner
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