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# taz.de -- Sportliches Besäufnis: Achtung! Im Dublierschritt marsch!
> Das größte Schützenfest der Welt und damit der Hannoveraner liebstes
> Kulturevent begann am Freitag. Seit dem Jahr 1468 gibt es das Fest und
> was so alt ist, hat sich über die Jahre doch sehr verändert.
Bild: Schießen, Schnaps und schnelle Fahrgeräte: Das "größte Schützenfest …
Schützengesellschaften: In Meyers Lexikon stehen sie zwischen "Schutzengel"
und "Schützengraben", in der deutschen Öffentlichkeit seit Winnenden unter
schwerem Beschuss. Nur eine von unbeugsamen Ballermännern und -frauen
bevölkerte Landeshauptstadt hört nicht auf, den Verächtern des Schießsports
Paroli zu bieten. In Hannover steht das Schützenwesen seit 1468 (erste
urkundliche Erwähnung) Gewehr bei Fuß, bis alljährlich am ersten
Juli-Sonntag das Kommando erschallt: "Achtung! Im Dublierschritt marsch!"
Dann defilieren die Grünröcke in geschlossener Formation an
Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) und Oberbürgermeister Stephan Weil
(SPD) vorbei, um dem "größten Schützenfest der Welt" die Krone aufzusetzen.
Der werbeträchtige Status war allerdings lange umstritten. Das
australischen Adelaide und Neuss am Niederrhein warfen vor Jahren die Hüte
in den Ring, wurden aber von Hannovers Oberbürgermeisterdenkmal Herbert
Schmalstieg souverän in die Schranken gewiesen. Schließlich können zwei
Millionen Besucher im Jahr nicht irren. Seitdem feiert Adelaide "das
zweitgrößte Schützenfest des Universums" und Neuss darf "das größte
Schützenfest Deutschlands" ausrichten.
Kein Wunder, dass in der Ex-EXPO-Stadt gestern wieder die Sau, pardon, der
laufende Keiler herausgelassen wurde. Was bei dem hier heimischen
Menschenschlag allerdings eher moderat ausfällt. "In Köln schreit man
Alaaf, in Hannover gibt es im Allgemeinen jedoch Beifall, wenn etwas
besonders gut gefällt", skizzierte das Ehepaar Zimmermann in seinem
Standardwerk "Hannover - Schützenstadt" (1965, Fackelträger-Verlag) die
spröde Leine-Mentalität, deren gröbste Ausfälle im Hemdbekleckern beim
Lüttje-Lagen-Trinken besteht. Diese über die Stadtgrenze hinaus kaum
bekannte Mixtur aus Schnaps und Bier wird mit einer Hand aus zwei Gläsern
getrunken und ist von Ortsfremden nur mit Vorsicht zu genießen. Es haut
selbst Einheimische regelmäßig aus den Socken.
Schon in den unordentlichen Zeiten nach dem Dreißigjährigen Krieg musste
sich der Magistrat während des Schützenfestes ernste Sorgen machen "um
allerley Gesöff und Schwelgerey". Beklagen durften sich die Ratsherren
nicht. Immerhin ist schon 1393 verbürgt, dass sie den treffsichersten
Armbrustschützen "eine Tonne Einbecker Bier" spendierten.
Dem aufgeklärten Besatzer Napoleon war die promillegestützte
Volksbewaffnung ein Dorn im Auge. Sie blieb verboten, bis er 1814 sein
Waterloo erlebte und die Hannoveraner ihr Schützenfest wieder hatten.
Darüber waren sie so froh, dass sie im Revolutionsjahr 1848 vergaßen, ihrem
König heimzuleuchten. Im Gegenteil. Vier Bürgerwehrbattaillone huldigten
Ernst August, dem welfischen Autokraten und Quälgeist der Göttinger Sieben.
Hatten die patriotisch bewegten Bürger im offiziellen Teil wenigstens noch
zu singen gewagt, "Was ist des Deutschen Vaterland", hieß es am Abend
schlicht "Bumsfalera, die Welt ist schön".
Solch mentale Verfasstheit prägte das Schützenfest noch bis in die späten
1980er Jahre. Die meisten Musikbeiträge waren "bei der inferioren Qualität
der Spieler oft recht zweifelhafter Natur" (1818) und die Kondition der
Schützenbrüder reichte gerade für zehn Tage, wovon schon Hermann Löns ein
Lied zu singen wusste: "Schön war das Fest, jedoch noch länger/ zu feiern,
das ging wohl nicht an,/ soviel Vergnügen auszuhalten/ kann nicht der
allerstärkste Mann."
Als berüchtigt galt damals vor allem der Donnerstagabend. Da wuchtete der
singende Krankenpfleger "King" Wolf Evers seine 130 Kilo auf die
Festzeltbühne und ließ mit einem "Hallo, ihr lieben Popfreunde!" lokale
Metallbands von der Kette. Wenn der talentfreie Trumm am Ende seinen
Smashhit "Ein Streichholz zündet ganze Nächte an" zum Besten gab, liefen
selbst härtesten Alt-Punkern die Tränen über die perforierten Backen.
Anschließend brannten ein paar Mülltonnen.
Heute ist das vorbei. Heute darf die jugendpolitische Sprecherin der
Ratsgrünen das Schützenfest straffrei als "sportliches Besäufnis"
titulieren, was prompt ein wölfisches Aufheulen der Waffenträger
provozierte und tatsächlich eine glatte Lüge ist. Das postmoderne
Schützenfest bietet hektoliterweise alkoholfreies Bier, Nikotinentzug,
"Dinner-Events" im Riesenrad, Sommerbiathlon, behindertengerechte
Autoskooter, den ökumenischen Schützengottesdienst, ein Gay-Peoples-Zelt
ohne Sitzplätze (warum auch immer) und (der Herrenhäuser-Brauerei sei Dank)
eine fassartige "Location für Hannovers starke Frauen", was Damen meint,
die "in unserer Gesellschaft, in Familie und Kultur, Wirtschaft und
Verwaltung eine tragende Rolle spielen". Das ist natürlich erfreulich und
politisch topkorrekt, aber irgendwie nicht mehr dasselbe.
3 Jul 2009
## AUTOREN
Michael Quasthoff
## TAGS
Napoleon
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